Wilhelm Neurohr: Europa neu begründen
Europa neu begründen
Wohin steuert die EU? Und wem gehört Europa?
von Wilhelm Neurohr
Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU sowie die erneute Griechenland-Hilfe haben zwiespältige Reaktionen ausgelöst und erneut die Frage virulent werden lassen: Wohin driftet Europa? Die sogenannte „Euro-Krise“ oder „Schuldenkrise“ mit dem hilflosen Krisenmanagement der „Finanzexperten“ und den uneinigen Nationalstaaten mit ihren Egoismen lenkt von der eigentlichen Zukunftsfrage Europas ab, anstatt jetzt die entscheidende Frage aufzuwerfen: Wie sieht eigentlich die Zukunftsvision und Leitidee für Europa jenseits der anhaltenden Finanzmarktkrisen und des neu zu gestaltenden Bank- und Geldwesens aus? Ist Europa ohne politischen Kurswechsel und ohne inhaltliche und institutionelle Neuorientierung noch zu retten? Die soziale Frage stellt sich angesichts der Bedrohung des sozialen Friedens in Europa ganz neu und ist eng mit der Demokratiefrage verknüpft, vor allem aber mit der Frage einer überfälligen kulturellen Erneuerungsbewegung durch die europäische Zivilgesellschaft.
Die Kritik aus der europäischen Zivilgesellschaft und den sozialen Bewegungen in Südeuropa erscheint berechtigt, dass Europa nicht zuletzt unter dem politischen Einfluss Deutschlands zu einem autoritären neoliberalen Projekt verkommen ist, das europaweit zu der höchsten Arbeitslosigkeit und Armutsquote seit Bestehen der EU geführt hat. Mit dem binnenmarktorientierten EU-Projekt der Staatsmänner und Eliten von oben war den Menschen dagegen ursprünglich eine stetige Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse in Aussicht gestellt worden, während es mittlerweile für immer mehr Menschen sozial bergab geht, und das nicht nur in den südeuropäischen Krisenländern. Die Diktate der Troika werden als Angriffe auf die Demokratie und den Wohlfahrtsstaat erlebt. Die „Finanzkrise“ ist in Wirklichkeit eine fundamentale politische Krise, eine Demokratiekrise und eine Kapitalismuskrise. Die EU selber ist in einer Sinnkrise. Die Wirtschaft dient nicht mehr den Menschen - und die herrschende, der Wirtschaft dienende Politik auch nicht mehr.
Wenige Gewinner der Umverteilung wissen mit ihrem Reichtum nicht wohin und sorgen mit ihrem von der Realwirtschaft abgekoppelten Spekulationsgeld für den Zusammenbruch des Systems. Der spekulative Umgang mit Geld, Immobilien, Wirtschaftsgütern, Bodenschätzen und Lebensmitteln ohne Rücksicht auf die konkret beteiligten Menschen hat die Krise hervorgerufen. Geld ist nicht dazu da, sich selber zu vermehren, sondern das Gemeinwohl zu vermehren. Ungeachtet dieser elementaren Erkenntnisse gehen fast alle Hilfsmaßnahmen und politischen Kriseninterventionen jedoch an diesen Kernproblemen vorbei. Stattdessen soll überall der Krise begegnet werden mit Einschränkung der Demokratie, mit Abbau der Sozialleistungen und der öffentlichen Infrastruktur, mit Stellenabbau und Lohnverzicht, mit finanziellen Belastungen der Bürgerinnen und Bürger, umso mehr, je weniger Einkommen und Vermögen sie haben…
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[zeitfragen-info-blog vom 17.12.12]