Wilhelm Neurohr: „ARMUTSZEUGNIS DER SPD IN DER RENTENDEBATTE“ (Leserbrief)
Leserbrief an die RZ zur Berichterstattung vom 10. und 11.9.2012 über die politische Rentendebatte:
„ARMUTSZEUGNIS DER SPD IN DER RENTENDEBATTE“
Die Rentendebatte nimmt immer absurdere Züge an, und die Urheber der Fehlentwicklungen waschen ihre Hände in Unschuld? Das Gedächtnis der Wählerrinnen und Wähler reicht weit genug zurück: Den damaligen SPD-Arbeitsministern Riester, Clement und Müntefering haben wir die Armutsrenten zu verdanken und der rotgrünen Koalition unter Schröder die Armutslöhne infolge der Agenda 2010. Deren Korrektur fordert Herr Gabriel nun scheinheilig von der CDU-Regierung ein, um mit dem Lohnniveau wieder das Rentenniveau zu sichern. Den SPD-Finanzministern Eichel und Steinbrück haben wir zudem die Steuersenkungen für Reiche, die Deregulierung der Finanzmärkte und die Einnahmeverluste für Staat und Kommunen zu Lasten der Sozialleistungen zu verdanken. Seither ist das reichste Land Europas vom einstmals vorbildlichen Sozialstaat auf das niedrigste Renten- und Lohnniveau und die höchste Armutsquote abgesackt, von Griechenland einmal abgesehen, die uns darin folgen sollen. Nirgendwo in Europa klafft seither die soziale Ungerechtigkeit und die Schere zwischen arm und reich schneller und größer auseinander.
Trotzdem ist die Führung der sozialdemokratischen Partei um Gabriel, Steinbrück und Steinmeier nicht bereit, die verfehlte Sozialpolitik der SPD als Kardinalfehler ihrer Regierungszeit einzugestehen und eine Kehrtwende vorzunehmen, im Gegenteil. Gegen den Willen der Parteibasis und der Betroffenen besteht Sigmar Gabriel im Stile der Schröder´schen Basta-Politik weiterhin auf Absenkung des Rentenniveaus, auf Nichtanhebung des Rentenbeitrages und Beibehaltung des Rentenalters 67. Für besonders dumm verkauft man die Beitragszahler: Gabriel lehnt eine Erhöhung des Rentenbeitrages von derzeit knapp 20% auf 24% bis 26 % ab, mit der das Rentenniveau deutlich verbessert und das erhöhte Rentenalter hinausgezögert werden könnte. Im selben Atemzug verlangt man aber von den Beitragszahlern, zusätzlich zu den 20% eine private Riester-Rente in Höhe von 4% bis 5% zur Sicherung des Lebensstandards ergänzend abzuschließen, also insgesamt dann 25% - trotz unsicherer und niedrigerer Rendite als bei der staatlichen Rentenversicherung.
Den gut verdienenden Lobbyisten Riester mit seinem Beratungsunternehmen wird es ebenso freuen wie die Spekulanten am Kapitalmarkt und die Versicherungskonzerne, die in der Statistik die Spendenliste an die Parteien anführen. Vor allem die Arbeitgeber wird es freuen, weil sie dann nicht paritätisch an der Rentenbeitragszahlung beteiligen müssen, sondern die Arbeitnehmer allein die Mehrkosten aufbringen sollen. Der NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) als ehemaliger DGB-Landesvorsitzender ließ im Interview mit dem Medienhaus Bauer die Katze aus dem Sack: Mit der SPD ist eine stärkere Beteiligung der Arbeitgeber und Unternehmen , wie vom DGB gefordert, nicht zu machen – obwohl sie durch massive Steuererleichterungen und zugelassene Niedriglöhne mehr als genug von den Arbeitskosten zugunsten der „Wettbewerbsfähigkeit “ entlastet wurden. Aber die Beteiligung an einer Betriebsrente will man ihnen abringen? Wie ein nachhaltiges, Zulagen finanziertes Rentensystem unter Einbezug aller aussehen könnte, hat Peter Geburek als Kommentator des Medienhauses Bauer trefflich skizziert.
Erst drei Jahre ist es her, als SPD-Parteichef Gabriel großspurig die Parteibasis mittels eines Fragebogens über den weiteren politischen Kurs der Sozialdemokraten an alle 30.000 Ortsvereine befinden ließ. Das einhellige Ergebnis: Die Agenda 2010 mit Hartz IV und die Rentenbeschlüsse müssen vom Tisch, um die Wähler zurückzugewinnen. Doch diese Botschaft der Basis ließ die Parteiführung in der Schublade verschwinden Stattdessen das deutliche Signal zur bevorstehende Bundestagswahl 2013: Mit den Schröder-Zöglingen Gabriel, Steinmeier und Steinbrück wird es keinen Politikwechsel geben, sondern eine Fortsetzung der Agenda 2010 – welch ein Armutszeugnis. Hatte das Trio nicht gerade den Wahlkampf des erfolgreichen französischen Sozialisten Hollande unterstützt, der eher im Sinne unserer Linkspartei gerade die Steuern für Reiche und Unternehmen drastisch erhöht, um das Rentenalter wieder auf 60 Jahre absenken zu können? Mit ihrem neoliberalen Kurs wird die SPD in Deutschland ihr kümmerliches Wahlergebnis von 2009 mit 23% noch unterbieten. Sie begnügt sich mit der Rolle des Juniorpartners der CDU und macht sich damit im Parteienspektrum gänzlich überflüssig – das nahende Ende der 150-jährigen Traditionspartei, die ihre Arbeitnehmerschaft in die Armut treibt?
Wilhelm Neurohr