Sigruns Fragen zum Iran-Konflikt
Liebe Sigrun, in deinen Fragen stecken die ganzen Widersprüche der Gewaltproblematik. Wenn wir von einer Position des Pazifismus aus argumentieren – ich tue das seit 1954 und bin seit 1973 aktives Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft, gegründet 1892 –, dann sollte es für uns keinen Freund-Feind-Dualismus geben, dann stehen wir zwischen den Fronten, wie der aus Beckum im Münsterland stammende, israelische Friedensaktivist Uri Avnery, => http://www.uri-avnery.de/biografie , der im ersten Libanonkrieg (1982) eben da gestanden hat: zwischen den Fronten, um Jassir Arafat die Hand zu reichen und den langen, mühsamen Weg der Verständigung einzuschlagen.
Der Bellizismus („Wenn du mich haust, schlag ich zurück, also nimmt dich in Acht!) ist eine primitive Denk- und Verhaltensweise, die längst überwunden sein sollte. Ganze Zivilisationen sind daran zugrunde gegangen. In einem beendeten Krieg keimt bereits der nächste, und wieder leiden Menschen, Tiere, leidet unsere natürliche Mitwelt. Wenn wir aus diesem Teufelskreis heraus wollen, müssen wir endlich anfangen, unsere eingefleischten Denk- und Verhaltensmuster aufzugeben und „Techniken“ zu entwickeln, mit denen Konflikte zwischen Staaten friedlich gelöst werden können. Das Mindeste ist die gegenseitige Achtung (anstatt Verachtung und Abscheu, zumeist Projektionen unseres selbst), ist Verständnisbereitschaft (anstatt Voreingenommenheit, Missgunst und Ressentiments). Als Nächstes kommt die Suche nach Gemeinsamkeiten. Die negativen sind – bei ehrlicher Selbstkritik und Einsicht – schnell gefunden. Positive Gemeinsamkeiten können zusammen entwickelt werden. Das braucht Zeit und Geduld, aber wenn ein Anfang gemacht ist und die Richtung stimmt, kommt Bewegung in die festgefahrene Situation. –
Bevor ich gleich auf deine Fragen im Einzelnen eingehe, empfehle ich die „Erklärung aus der Friedensbewegung und der Friedensforschung“ zum Irankonflikt. Der bisher beste Beitrag zum Verständnis und zur Konfliktlösung, formuliert von namhaften Friedensforschern und –aktivisten. Die ältesten von ihnen haben 1967 in Berlin an den Protestaktionen gegen das diktatorische, mit dem Westen verbündete Schah-Regime teilgenommen => http://www.friedenskooperative.de/themen/iranerkg....
Übrigens, schon vor 60 Jahren warnte ein jüdischer Philosoph vor einem jüdischen Großstaat auf arabischem Boden => http://zeitfragen.blog.de/2008/05/17/vor-60-jahren...
Nun zu deinen Fragen:
1) Warum war es möglich – ohne einen solchen intellektuellen Aufschrei – sämtliche Golfkriege zu führen und Libyen zu bombardieren?
Antwort: Es hat keinen Aufschrei gegeben, aber offene Kritik auch von Intellektuellen der Friedensbewegung, Reden auf Protestkundgebungen (gegen die Golfkriege), Manifeste, Diskussionen etc. Die Massenmedien haben darüber, wie üblich, nur in wenigen Zeilen, Bildern und Worten berichtet. Die Argumente der Friedensbewegung wurden der Öffentlichkeit vorenthalten. Zu Libyen hat es kritische Stellungnahmen gegeben.
Hätte die „Erklärung aus der Friedensbewegung und Friedensforschung“ so viel Resonanz gehabt wie Grass, die Diskussion wäre sachlich(er) verlaufen und hätte mehr zur Aufklärung beigetragen.
2) Weshalb war der Irak-Krieg kein potenzieller Auslöser eines Dritten Weltkrieges?
Antwort: Gemeint ist wohl der Zweite Irak-Krieg (2003). Die Gefahr eines Dritten Weltkriegs bestand nicht, weil sich die von der US-Regierung behauptete Gefährdung der internationalen Sicherheit (Massenvernichtungswaffen) als haltlos erwies und der Irak, zwar reich an Erdöl, jedoch ohne große geopolitische Bedeutung ist.
3) Weshalb waren es wir Friedensaktivisten, die einzig dagegen friedlich demonstriert hatten und wo waren die Literatur-Nobelpreisträger, um diesen Krieg, wenn schon nicht zu verhindern, so doch wenigstens mit Worten in die Öffentlichkeit zu tragen?
Antwort: Doch, es waren Günter Grass => http://rotefahne.mlpd.de/rf0304/rfart8.htm , Orhan Pamuk, Doris Lessing und andere.
4) Weshalb macht es einen solchen Unterschied, wenn Israel sich vor iranischen Vernichtungsdrohungen schützen will, und weshalb ist es etwas anderes, wenn die Welt sich vor (ebenfalls niemals bewiesenen) Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein schützen wollte?
Antwort: Das frage ich mich auch. Die Drohungen richten sich nicht gegen Israel, das von Juden, Arabern, Christen und anderen bewohnt ist, sondern gegen ein System (Ordnungsmacht), das den Lebensraum der palästinensischen Bevölkerung immer mehr einengt.
5) Warum darf das israelische Volk nicht dasselbe, was westliche Staaten schon seit Jahren für sich beanspruchen, sich selbst zu schützen?
Antwort: Natürlich darf es das. Kollektive Notwehr ist auch aus pazifistischer Sicht nicht verpönt. Es kommt aber auf die Angemessenheit der Mittel an. Repressalien, Demütigungen, Zwangsmaßnahmen, Racheakte beiderseits, dienen nicht dem Selbstschutz, sondern führen zu einer Eskalation der Gewalt.
6) Warum bekommen die Bush-Administratoren für ihre Golfkriege Standing Ovations und Israel wird weltweit als Aggressor diffamiert, wenn es sein Recht auf Selbstverteidigung ausübt?
Antwort: Das sollte man diejenigen fragen, die sich so verhalten. Ansonsten Pkt. 5.
7) Warum schaut die Welt weg, wenn tagtäglich Bomben aus Gaza und anderen Regionen Alte, Frauen, Männer und Kinder zerfetzen, verletzen, töten oder einfach nur gefährden, während sie mit Empörung verurteilen, wenn Israel militärisch zurückschlägt?
Antwort: Weil es meistens die Falschen trifft: Alte, Frauen, Kinder… So ist die Gewaltspirale nicht aufzuhalten.
8) Warum darf der Iran – beseelt von einem hasserfüllten Vernichtungswillen gegenüber Israel – ungehindert sein Atomprogramm fortsetzen; und wenn Israel mit einem militärischen Schlag gegen die iranischen Atomanlagen droht – wohlgemerkt nicht als Angriffskrieg gegen das iranische Volk –, dann wird entrüstet aufgeschrien?
Antwort: So, wie es keine Beweise für Saddam Husseins “Massenvernichtungswaffen“ gab, gibt es bis heute keine Beweise für Planung und Bau von Atomwaffen im Iran. Du sagst es selbst: Pkt. 4. Für einen Ökologen sind selbst zivile Atomkraftwerke in einem sonnenreichen Land wie Iran völlig überflüssig!
9) Warum ist die Welt so doppelmoralisch und heuchlerisch?
Antwort: Doppelmoralische und heuchlerische Menschen haben Angst vor einander. dst.
Ostermärsche 2012: Mehr als Günter Grass
Die Themen der Ostermärsche 2012 waren die Waffenexporte, Krieg in Afghanistan, Konflikt um das iranische Atomprogram und Günter Grass.
Wenn Tausende von Menschen bei eisigen Temperaturen, Regen, Hagel und Schnee überall im Land auf die Straße gehen, dann muss es ihnen Ernst sein mit ihrem Anliegen. Und das geht weit über das hinaus, was Günter Grass in seinem Poem "Was gesagt werden muss" angesprochen hat.
Es ist wahr: Im Konflikt um das iranische Atomprogramm gibt es nicht den einen Schurken (Ahmadinedschad) auf der einen und friedfertige Staaten auf der anderen Seite. Dass Israel über 250 einsetzbare Atomsprengköpfe besitzt, dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten ist, keinerlei internationale Kontrollen über seine Atomanlagen zulässt und zudem offen das Für und Wider eines "Präventivkriegs" gegen Iran diskutiert, sind Tatsachen, die Günter Grass auf seine Weise ins rechte Licht gerückt hat.
Der darüber entstandene Medien-Hype erstaunt, da doch die Fakten nicht nur in der Friedensbewegung lange bekannt sind. Und die Reaktion der israelischen Rechts-Regierung (Grass zur Persona non grata zu erklären) zeugt von derselben Geisteshaltung, mit der einst der israelische Atomphysiker Mordechai Vanunu wegen Hochverrats und Spionage zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, weil er einer britischen Zeitung gegenüber enthüllt hatte, dass Israel Atomwaffen hergestellt habe.
Nicht Günter Grass gehört an den Pranger, sondern diejenigen Politiker/innen, die weiterhin an der Eskalationsschraube im Nahen und Mittleren Osten drehen, indem sie den Iran mit Wirtschaftssanktionen immer mehr in die Enge treiben. Die logische Folge des Sanktionsregimes aber heißt Krieg. (...)
Die gegenwärtige Kriegspropaganda und Kriegsvorbereitung gegen Iran und Syrien muss und kann gestoppt werden, z.B. durch
ein Ende der Sanktionsspirale mit seiner finalen Kriegslogik,
der sofortigen Umsetzung eines umfassenden Waffenembargos gegen alle Kriegsparteien im Nahen Osten,
die Einstellung der Kämpfe und den Beginn von Verhandlungen,
die Einberufung einer internationalen Konferenz über die Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen/Mittleren Osten mit dem Ziel einer atomwaffenfreien Zone,
ernsthafte Schritte zur Zweistaaten-Lösung im israelisch-palästinensischen Konflikt, das setzt voraus den sofortigen Stopp des israelischen Siedlungsbaus, die Beendigung des Besatzungsregimes und die Aufhebung der Gaza-Blockade.
=>http://www.sonnenseite.com/Aktuelle+News,Ostermaer...
Quelle:
Bundesausschuss Friedensratschlag | Peter Strutynski 2012
[Sonnenseite Newsletter (Franz Alt) vom 15.04.12]