Eurozone vor dem Kollaps
Vor dem Kollaps
BERLIN/ROM (Eigener Bericht) - Der drohende Kollaps der Eurozone lässt die nationalen Gegensätze zwischen dem dominanten Deutschland und den Staaten Südeuropas eskalieren. Weil Berlin weiterhin jegliche Krisenmaßnahmen blockiert, die - wie der Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB oder die Ausweitung des "Rettungsschirms" ESM - den Krisenstaaten rasch helfen könnten, nehmen insbesondere in Italien die Proteste gegen die deutsche Politik zu. Deutschland kehre zurück, "nicht mehr mit Kanonen, sondern mit Euro", heißt es in der italienischen Presse: Rom müsse sich "dem neuen Kaiser namens Angela Merkel unterwerfen" und die Berliner Diktate umstandslos erfüllen. Selbst treue Verbündete rücken mittlerweile von der Blockadepolitik der Bundesregierung ab. Man müsse dem "Rettungsschirm" ESM endlich eine Banklizenz verleihen, die es ermögliche, ihn zu "hebeln", verlangt der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann. Deutsche Politiker setzen ohne Abstriche ihren entgegengesetzten Kurs fort. Wie der bayrische Finanzminister Markus Söder (CSU) fordert, soll Deutschland stärkeren Einfluss in der EZB bekommen. Das würde es Berlin erlauben, seine - für die Krisenstaaten fatale - restriktive Geldpolitik noch fester zu zementieren.
Züge der Auflösung
Die Eurozone steht kurz vor dem Kollaps. Angefacht durch die sich zuspitzende Krise, eskalieren die nationalen Gegensätze zwischen der dominierenden Großmacht Deutschland und den südeuropäischen Krisenstaaten. Die längst öffentlich ausgetragenen Interessengegensätze entluden sich zuletzt in heftigen Angriffen deutscher Politiker und Massenmedien gegen den italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti, der davor gewarnt hatte, die Eurokrise zerstöre die "Grundlagen des Projekts Europa": "Die Spannungen, die in den letzten Jahren die Euro-Zone begleiten, tragen bereits die Züge einer psychologischen Auflösung Europas." Monti drängte Berlin kaum verhüllt zu wirksamen Krisenmaßnahmen und empfahl in diesem Zusammenhang den Regierungen, sich nicht "vollständig durch die Entscheidungen ihrer Parlamente binden" zu lassen.[1] Berlin, das ja maßgeblich das Spardiktat durchgesetzt hat, an dem die Eurozone gegenwärtig zerbricht, solle zumindest "jenen Staaten in der Euro-Zone etwas mehr Spielraum lassen, die den europäischen Vorgaben am genauesten folgen".[2]
Ressentiments schüren
Deutsche Koalitionspolitiker reagierten mit offenen Ressentiments auf die Mahnungen des "Technokraten" Monti, dessen Expertenkabinett letztes Jahr insbesondere auf Druck aus Berlin und Paris eingesetzt worden war und die gewählte Regierung Berlusconi abgelöst hatte. Der FDP-Politiker Frank Schäffler warf Monti vor, er wolle "seine Probleme auf Kosten des deutschen Steuerzahlers lösen und verpackt das in Europa-Lyrik".[3] "Die Gier nach deutschen Steuergeldern treibt bei Herrn Monti undemokratische Blüten", erklärte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt: "Herr Monti braucht offenbar die klare Ansage, dass wir Deutsche nicht bereit sein werden, zur Finanzierung der italienischen Schulden unsere Demokratie abzuschaffen." Vergleichbare Äußerungen waren nicht zu hören, als in Deutschland letztes Jahr in aller Öffentlichkeit mehrfach "weniger Demokratie" gefordert wurde (german-foreign-policy.com berichtete [4]). In Italien stießen die deutschen Invektiven auf scharfen Protest. Die Zeitung Libero etwa bemerkte zu den Ausfällen gegenüber Monti: "Die Nazideutschen wollen uns Lektionen in Demokratie geben."
Während der bayrische Finanzminister Söder noch weiter ging und in autoritärer Diktion forderte, an Griechenland ein "Exempel" zu statuieren und das sozioökonomisch kollabierende Land aus der Eurozone zu drängen [5], sah sich der deutsche Außenminister Guido Westerwelle angesichts der rhetorischen Eskalation und ihrer Rezeption im Ausland genötigt, seine bayrischen Koalitionsfreunde zur Mäßigung zu rufen: "Ressentiments schüren, um sich innenpolitische Stimmungsvorteile verschaffen, diese Zeit sollte in Europa endgültig vorbei sein."[6]…
Weiter: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/5...
[German Foreign Policy-Newsletter vom 09.08.2012]