Stehender Festzug zwischen Sommerseite und Winterseite
Der heutige Sonntag machte seinem Namen nicht unbedingt Ehre und so dauerte es bis zum Mittag bevor die Sonne den Regen ablöste. Die regenfreie Zeit war eine gute Gelegenheit zu einem Besuch in Schwabendorf. Seit dem Jahre 1971 ist die Gemeinde ein Stadtteil von Rauschenberg und im Jubiläumsjahr leben etwa 500 Einwohner hier.
Die Hugenotten- und Waldensergemeinde Schwabendorf feierte vom 04.07. bis 08.07.2012 ihr 325-jähriges Bestehen. Zum Abschluss der Festwoche hatte die Dorfgemeinschaft unter dem Motto "Wir feiern mit Freunden" zu einem Stehenden Festzug eingeladen. Von der alten Dorfschmiede, der Hugenottenkirche, dem Dorfmuseum bis hin zum Dorfgemeinschaftshaus verteilten sich 35 Stände mit den unterschiedlichsten Themen.
Bei meinem Rundgang kam mir das Lied "Wer will fleißige Handwerker sehen..." in den Sinn, da u.a. ein Hufschmied, Zimmerleute, Seilmacher und ein Korbflechter bei der Arbeit zu beobachten waren. Auf einem Hof war zu sehen, wie die Hausfrau früher die Wäsche noch per Hand mit einem Waschbrett und einem Stampfer waschen mußte. Ganz schön schweißtreibend - alleine vom zusehen !
Auf den Musik- und Tanzbühnen innerhalb des Dorfes präsentierten sich Volkstanzgruppen, Musikvereine und Chöre und trugen so zum Gelingen des Dorfjubiläums bei. Für Essen und Trinken war an diesem Tag auch für jeden Geschmack bestens gesorgt und so konnte der Besucher wählen zwischen Kaffee, Waffeln, Oweplätz und Würstchen aber auch frisch geräucherten Forellen, einem Ritteressen und zum Abschluß einem Eis vom Bauernhof.
Meine Eindrücke vom Stehenden Festzug in Schwabendorf habe ich auf meinen Fotos festgehalten. Kommen Sie mit auf einen kleinen Rundgang und ich bin überzeugt, dass er Ihnen ebenso viel Freude bereitet wie mir - zumal Sie keine nassen Füße bekommen !
Nun noch ein kleiner Überblick über die Gründungsgeschichte Schwabendorfs (Auszug aus dem Buch "Schwabendorf und Wolfskaute 1687 - 1987"):
"In den drei Bevölkerungsgruppen, die sich 'auf der Schwob' eine neue Heimat aufzubauen suchten - Waldenser, Hugenotten, Wallonisch-Reformierte -, stehen Menschen, die dramatische Erlebnisse von Flucht und Vertreibung, Not und Tod hinter sich hatten. Angst und Hoffnung zugleich haben sie auf ihrem Weg begleitet - und die Probleme waren nach der Ansiedlung noch keineswegs überwunden.
Aber diese Menschen haben Traditionen mitgebracht... . Gewiß haben sich diese nicht immer deutlich ausgeprägt, waren über die Jahrhunderte hin vielen Veränderungen unterworfen. ...
Das Oberfürstentum Hessen-Kassel war zunächst nicht für die Ansiedlung von rèfugiès vorgesehen. Trotzdem wurde Ende März 1686 befohlen, Wüstungen und öde Gegenden zu suchen und zu melden, was aber erst am 21. Januar 1687 geschah. Am 8. Juni 1687 schlug die Vizeregierung in Marburg zwei Plätze vor, davon einen bei Rauschenberg. ...
Da sich im Raum Hofgeismar eine allzugroße Anzahl von Hugenotten, Waldensern und Wallonen eingefunden hatte, wurde am 30. Juni 1687 aus Kassel befohlen, 'etwa etliche und zwanzig Familien' aus Hofgeismar und Umgebung nach Rauschenberg zu verlegen.
Eine Abordnung der Flüchtlinge besichtigte mit dem Rentkammerschreiber Johann Henrich Buch die Gegend nördlich von Rauschenberg. Wegen der Nähe von Rauschenberg zogen sie den Platz südlich der Straße Marburg-Kassel, 'Auf den Schwabern' genannt, einer Waldfläche nordwestlich dieser Straße vor. Der Flurname gab später der neuen Siedlung ihren Namen Schwabendorf, ...
Man rechnete mit 130 Siedlern, von denen jeder einen Taler bekommen sollte. Am 4. Juli 1687 trafen 116 Personen in Rauschenberg ein. ...
Die Gründer von Schwabendorf setzten sich aus fünf verschiedenen Gruppen zusammen. Von den 124 Gründer von Schwabendorf stammten
63 Personen aus dem Dauphinè, 19 Personen sonst aus Frankreich, 2 Personen mit unbekannter Herkunft und 40 Wallonen.
Die Ankommenden wurden zunächst in Rauschenberg einquartiert. Am 19. August 1687 ging es um Holz für zu erstellende Baracken. Dann wurde befohlen, ihnen das nötige Stroh und die erforderlichen Stangen zu liefern.
Johann Henrich Buch fertigte eine Zeichnung für ein Modellhaus an, von dem er sechzehn für die Kolonie vonnöten hielt, und die auf 656 Taler kämen. ...
Das Dorf war in zwei Häuserreihen geplant, die durch einen fast 40 Meter breiten Anger voneinander getrennt waren. Die Sommerseite hatte große Hofgrundstücke mit mehreren Gebäuden (Bauernseite), die Winterseite dagegen bekam kleine Hofflächen mit nur einem Gebäude (Handwerkerseite). Nebengebäude wurden auf den Anger gestellt. Hinter jedem Haus gab es 100 Meter lange Gärten, dazu einen Anteil am Anger. ...
Über die ersten Siedler der Gründungszeit ist bekannt, daß es sich meist um des Ackerbaus unkundige Handwerker und Kaufleute handelte, welche die Hoffnung, in ihre französische Heimat zurückzukehren, noch nicht ganz aufgegeben hatten. ... Sehr bald aber sollten die Kolonisten erkennen, daß eine Rückkehr ebenso unmgölich war, wie ganz auf den Ackerbau und die Viehhaltung in der neuen Heimat zu verzichten. ... Im 19. Jahrhundert hielt zunächst neben den alten Handwerksberufen (Textilgewerbe) auch die positive Entwicklung der Landwirtschaft an. So wurde gerade in dieser Zeit von Schwabendorf oft als einem Handwerker- und Kleinbauerndorf gesprochen.
Ein 'temple' (der hugenottische Ausdruck für Kirche) wird in den Kirchenbucheintragungen schon im September 1688 erwähnt, anläßlich einer Trauung. ... Nicht erst zum überlieferten Datum 1711, sondern bereits seit 1688, ein gutes Jahr nach Ansiedlung, steht ein Gotteshaus zur Verfügung. ..., bis 1711 wurde ein fester Bau nach dem Muster der zunehmend im Ort entstehenden festen Häuser - Fachwerk auf Bruchsteinsockel - errichtet. ... Ein rechteckiger Bau mit Glockenturm in der Mitte auf dem Dach. Im Innenraum auf der einen Seite Bankreihen, auf der anderen der Gang, dazu besondere Bänke für das Presbyterium, einen Tisch als Altar und dahinter in erhöhter Position an der Stirnwand, über eine seitliche Treppe zu erreichen, die Kanzel, außerdem war eine Empore vorhanden. Die Kirche hatte 180 Sitzplätze.
Am 27.9.1711 wurde sie in einem feierlichen Gottesdienst... eingeweiht. ..."
Brauchtum ist halt doch was feines !!