Hohlglas – Ein Luxusgut in alten Zeiten?
Zur Frage des hiesigen Glas-Recyclings in der frühen Neuzeit.
Wenn der Bürger heutzutage regelmäßig sein restliches Altglas (Pfandflaschen und Plastikflaschen lassen wir hier einmal unberücksichtigt) mit gutem Gewissen an der Wertstoffinsel entsorgt, so ist das zwar etwas lästig, aber schont die Umwelt und spart der Glasindustrie Energiekosten. Nur selten verirrt sich Altglas heutzutage noch im Restmüll oder in der Landschaft. Oft belächelt vom „Westen“ war das auch schon in DDR-Zeiten gängige Praxis.
Wenn aber in Jahrtausenden die Geschichtsforschung aufgrund nicht mehr verwertbarer Speicher-Medien immer noch auf die archäologische Methode angewiesen sein sollte, so ergäbe sich doch wohl ein „schräges“ Bild hinsichtlich der raren Hinterlassenschaften aus Glas in unserer Epoche!
Gräbt man Müll-Deponien aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus, findet man noch reichlich Glas. Doch seit Jahrzehnten schon wird nunmehr das zu erwartende Fundspektrum für Glasverpackungen unserer Epoche verzerrt und die zukünftigen Archäologen könnten den falschen Schluss ziehen, dass Glas in unseren Tagen eine unübliche Rarität war, wenn sie denn den Aspekt des Recyclings nicht berücksichtigen.
So ähnlich waren auch die ersten Überlegungen der Altertumsforscher hinsichtlich des Stellenwertes des Glases im Späten Mittelalter und der frühen Neuzeit. Gebrauchs-Glas ist aber damals durchaus kein Luxusgut gewesen, wenn man einmal von den formschönen Importen aus Venedig, oder bemalten Gläsern absieht (Flachglas und Spiegelglas bilden hier ebenfalls eine Ausnahme). Unwidersprochen sind jahrhundertealte Glasobjekte heutzutage eher rar. Doch auch hier gilt, was in Zukunft zu erwarten ist: Das Fund-Spektrum wird letztlich nur durch einst gut organisierte Bruchglas-Rückführung verzerrt.
Neben dem eher kostbaren „weißem“ Glas (eigentlich nur entfärbtes, transparentes Glas), dominierte vor Jahrhunderten das „ordinäre“, grüne (Wald-)Glas. Letzteres wurde oft in abgelegenen Waldregionen in den sogenannten Glashütten produziert.
Flaschensiegelfunde bezeugen die Bruchglas-Rückführung
Jugendliche und oft auch Kriegsversehrte waren damals als Landgänger unterwegs und kauften Glasbruch bei den Konsumenten ab, um es in die Hütten zu transportieren, wo es zerstampft wurde und der Glasschmelze (Fritte) beigemengt wurde, was Energiekosten sparte, wie noch heutzutage. Funde von wüsten Hüttenplätzen belegen diese Praxis. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts war es üblich Flaschen zu siegeln. Diese durch den Wandungsrest verstärkten Glasmarken „überlebten“ oft das Zerkleinern der Flaschen und gelangten durch Entmischung in den Bodenbereich. In älteren Darstellungen wurden diese Marken oft der Hüttenproduktion zugeordnet, letztlich handelt es sich aber häufig um genau jenes „fremde“ Glas, das durch die Rückführung an die Hütten dorthin gelangte! Als zuverlässige Produktionsbelege dürfen daher nur Probesiegel (erkennbar an der glatten Rückseite) oder Petschafte (Stempel) von Hüttenplätzen gewertet werden.
1749 führt Braunschweig die Formbouteille ein
Wie die historische Abbildung einer Glashütte aus dem 16. Jahrhundert u.a. zeigt, waren es ebenfalls auch Landgänger die, oft schwer beladen, Glasprodukte verhandelten. Organisierte Bruchglasverwertung dürfte auch für die von Herzog Carl I. um 1744 gegründeten Braunschweiger Grünglashütten Schorborn und Holtensen (Holzen) gelten, die anfänglich auf Flaschen-Fertigung ausgerichtet waren. Äußerst modern führte Carl schon Mitte des 18. Jahrhunderts Landesflaschen ein, die mit seinem Monogramm markiert waren und in zweiteilige Metall-Formen geblasen wurden. Man kann das auch als frühe Form der Normung interpretieren, denn Querelen um unterbemessene Flaschen waren an der Tagesordnung! Diese Relieftext-Flaschen wurden alsbald reichlich nachgeahmt (siehe Tafel Formzeichen).
Aus der Latrine in die Vitrine
Wenn aber Archäologen beispielsweise in städtischen Kloaken einmal größere Mengen an Glasgefäßen bergen, so stammen sie zumeist tatsächlich aus gehobenen Verhältnissen und zeugen letztlich nur von einem leicht dekadenten Umgang mit dem Rohstoff, denn offenbar waren die einstigen Besitzer nicht auf den kleinen Zusatz-Verdienst angewiesen und warfen die Objekte (oft u.a. vergesellschaftet mit Tonpfeifen oder Münzen) nach Trinkgelagen gedankenlos in die Güllegruben, die zumeist wahre „Fundgruben“ für die Forscher sind!
Neben der nachgewiesenen Praxis der Glasbruch-Rückführung liegen auch Schriftquellen über Produktionszahlen vor, die ohne weiteres auf Millionen von Flaschen und Gläsern hindeuten, die man schon vor Jahrhunderten hergestellt hat. Selbst einfache Bauern tranken in den Wirtshäusern im 16. Jahrhundert bereits aus Gläsern an den sogenannte Nuppen oder Warzen oder gar Ringe angebracht waren, angeblich damit man sie besser greifen konnte, oder man führte mit hohen Stangengläsern mit horizontalen Bandauflagen (Paßgläser) Trinkspiele durch, wobei man sich möglichst genau von Markierung zu Markierung trinken musste. Rezente historische Gemälde belegen auch diese Praxis.
einzigartige Bilder und ein sehr spannender Text !
Wie aber ist eigentlich die Fundlosigkeit aus der Karolingerzeit zu verstehen ??