Einmal, als ich die Ziegen gehütet habe
An meinem Geburtstag, als ich fünf Jahre alt geworden bin, ist der Großvater zu uns zu besuch gekommen. Dem habe ich zeigen wollen, wo die schönsten Veilchen wachsen.
Und wie wir nun an der Hecke sind, und wie die Mutter das saftige grüne Gras gewahr wird, sagt sie: "Schade daß die Ziegen heute im Stall bleiben müssen , unser Ziegenhirt, der Fritz, ist krank."
"Mutter", sag ich da, "Mutter, laß mich doch die Ziegen hüten, ich kann´s , sollst du sehen !" Und dann hat´s die Mutter auch zugegeben.
Wir haben 2 Ziegen gehabt, eine Weiße und eine Schwarze, und die Schwarze hat eine weiße Blässe vor der Stirn, und die weiße hat Liesken geheißen und die schwarze Wiesken. Nun binden sie mir das Liesken und das Wiesken an ein Seil, und ich nehme mir den Hütestecken und ich ziehe mit den beiden fröhlich aus dem Stall.
Als die Ziegen auf den Hof kommen, tanzen sie wie toll unter lustigem Meck, meck, meck auf den Hinterbeinen das der Hahn auf dem Mist vor Schreck zusammen fährt und ausruft: "Haste mich erschreckt, haste mich erschreckt !"
Und dann fliegen mit einemmal die Schwalben um mich herum, und zwitschern und zwatschern in einem fort: "Willste Ziegen hüten, willste Ziegen hüten?"
Und ein ganzer Haufen Spatzen kommt herbei geflogen, und alle schreien wüst durcheinander: "Werr, werr, werr, werr ?", daß man kaum sein eigenes Wort verstehen kann.
Und die Hühner gackern: "Wenns nur gut geht, gut geht, gut geht." Und die Enten schnattern: "Man wacker, man wacker den Stecken, den Stecken !"
So bin ich den endlich auf die Straße gekommen.
Ein paar Sperlinge rufen mir nach: "Bliew, bliew !" Ich bin aber doch nicht geblieben, und da hör´ich, wie einer auf dem Zaun noch ganz leise hinter mir her piepst: "Tru nit, tru nit Peter, tru nit Peter !" Und die Schwalben sind noch ein gutes Stück Weges mit mir gezogen, immer dichter am Boden hin, neben mir her und zwischen den Ziegen durch und haben garnicht aufhören wollen mit ihrem Gezwitscher.
"Peter, hüt die, hüt die! Peter, hüt die, hüt die !" Und dann hat die eine immer noch gesagt: "Hüt die vorm Liesken !" und die andere: "Hüt die vorm Wiesken!"
Und dann haben sie wieder beide gezwitschert: "Peter, Peter, hüt di, hüt di ! Hüt di vorm Wiesken ! Hüt di vorm Liesken !"
Es hat nun garnicht lange gewährt, da fangen Liesken und Wiesken an zu zanken. Das Wiesken will nach rechts an die Hecke, wo zartes, frisches Laub im Überfluß ist, das Liesken aber möcht´ links zum Wegrain ins grüne Gras.
An die Hecke wollte auch ich gerne, denn dort haben gerade die schönen Veilchen gestanden, und die hab ich, derweil die Ziegen grasen pflücken wollen.
Und ich hab eigentlich das Wiesken ein klein bißchen lieber gehabt als das Liesken, ich weiß aber eigentlich nicht warum. Und so geh ich mit, wo das Wiesken hin will, und treib das Liesken mit dem Stecken an, damit es mitkommt, und verderb es so mit ihm.
Wie wir nun an der Hecke sind, ist das Wiesken gar so gierig über das Laub hergefallen, als ob es nicht genug bekommen könnte, und drängt so rasch vorwärts, daß das Liesken nicht mit kann. Darum halt´s ich am Seil zurück, und weil daß nicht hilft, gebrauch ich zu guter Letzt den Stecken, und verderb es nun auch mit Wiesken.
Da, ich weiß selbst nicht wie es gekommen ist, fällt mir der Hirtenstecken aus der Hand. Und wie ich mich nach ihm bücke ihn aufzuheben, da fallen beide Ziegen über mich her, und stoßen mit ihren Hörner auf mich ein, auf Kopf, Rücken, Brust, Bauch und Bein, so daß ich mich ihrer nicht erwehren kann, bis ich am Boden liege.
Und das Lieseken stampft sogar mit den Vorderbeinen auf mir herum. Da habe ich dann aus Leibeskräften um Hilfe gerufen.
Zum Glück ist Nachbars Margarete des Weges gekommen. Das hat mich unter den Ziegen hervor gezogen, und die störischen Tiere nach Hause in den Stall getrieben.
Die Mutter hat mir ein großes Stück Geburtstagskuchen gegeben und der Großvater einen Silbergroschen, damit ich meine Schmerzen vergäße. Mir ist aber auf lange Zeit die Lust auf Ziegenhüten vergangen.
(Quelle: Theodor Krausbauer)
Danke, Jürgen.