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Rabindranath Tagore * Wer bist du Leser, der meine Lieder heut über hundert Jahre lesen wird

  • Am Wegrand unter dem Baum sitzt der Bettler. Ach, er sieht mein Gesicht mit zager Hoffnung... (Der Gärtner; Rabindranath Tagore, 1861-1941).
  • Foto: Quelle: Wikimedia Commons & Malanurya, Südindien
  • hochgeladen von Reinhild Paula Margarethe Kuhn (geb. Weber-Lucks)

"Wer bist du Leser, der meine Lieder heut über hundert Jahre lesen wird", fragt Rabindranath Tagore am Ende seiner Dichtung "Der Gärtner".

Vor einigen Jahren habe ich eine Ausgabe, die der Münchener Kurt Wolff Verlag 1923 bei Poeschel und Trepte in Leipzig - "im Frühling" - drucken ließ, gefunden. Auf der Straße. Sie lag zwischen allerlei anderem Lesekram in einem Schuhkarton.

Auf den ersten Seiten findet sich eine in überaus feiner Handschrift und in Gedichtform geschriebene Übereignung des Bandes - vom 2. Dezember 1948:

"Meine! Zwei rote Herzen an seidenem Band sind mit dem "Gärtner" zu Asche verbrannt, in Kriegesglut. Die Flammen verschwelten, die graue Not hat uns mit Mühsal und Stumpfheit bedroht, tief sank der Mut. Es wandern die Seelen: Im Werktagskleid steht wieder am Beete zum Säen bereit der Gärtner da. Ob auch von den Herzen ein milder Schein aufs Neue leuchte? Die Antwort sei dein - ich sage ja! Erich."

Es scheint, dass der mit Bedacht Schenkende diesen Band nach Holocaust und Krieg nochmals für eine, für seine große Liebe besorgte. Wohl in der Hoffnung, dass nicht allein Zeit die geschlagenen Wunden heilen möge; dass trotz erfahrenen Leids, trotz erlittener Verletzungen und wohl auch erworbener Schuld Liebe zwischen Menschen möglich wird. Wie viel Mut zur Offenbarung liegt in Erichs Worten.

Ob Rabindranath Tagores Liebesdichtung wohl zu Gehör kam? Schon zur Weihnachtszeit? Oder erst im Frühjahr 1949?

"Hände schlingen sich in Hände, und Augen hangen an Augen: So beginnt die Geschichte unserer Herzen. Es ist helle Märznacht; die Luft ist erfüllt vom süßen Duft der Hennablüten..."

"Sprich zu mir, Geliebter! Sag mir mit Worten, was du gesungen hast. Die Nacht ist dunkel. Die Sterne haben sich hinter den Wolken verloren. Der Wind seufzt durch die Blätter. Ich will mein Haar lösen. Mein blauer Mantel wird mich umschmiegen wie die Nacht. Ich will dein Haupt an meine Brust drücken; und hier in der süßen Einsamkeit lass dein Herz reden.
Ich will meine Augen schließen und lauschen. Ich will nicht in dein Antlitz schaun. Wenn deine Worte zu Ende sind, wollen wir still und schweigend sitzen. Nur die Bäume werden im Dunkel flüstern. Die Nacht wird bleichen. Der Tag wird dämmern. Wir werden einander in die Augen schauen und jeder seines Weges gehen. Sprich zu mir Geliebter! Sag mir mit Worten, was du sangest."

"Würdest du deinen Kranz aus frischen Blumen um meinen Nacken legen, Schöne? Aber du musst wissen, dass der Kranz, den ich gewunden habe, für die vielen ist; für jene, die flüchtig an einem vorübergehen, die in unerforschten Ländern wohnen oder in Liedern der Dichter leben.
Es ist zu spät, mein Herz zum Tausch für deines zu verlangen. Es gab eine Zeit, da mein Leben wie eine Knospe war: All sein Duft lag aufgespeichert in ihrem Kern. Nun ist er in alle Weiten verschwendet.
Wer weiß den Zauber, der ihn sammeln und wieder einschließen kann? Mein Herz gehört nicht mehr mir, um es nur einer zu schenken; es ist den Vielen geschenkt".

"Ich sehne mich, die tiefsten Worte zu sprechen, die ich dir zu sagen habe; aber ich wage es nicht, aus Furcht, du könntest lachen. Darum lache ich über mich selbst und verrate mein Geheimnis im Scherz. Ich nehme meinen Scherz leicht, aus Furcht, du könntest es tun.
Ich sehne mich, zu dir die treuesten Worte zu reden, die ich zu sagen habe; aber ich wage es nicht, aus Furcht, du könntest sie nicht glauben. Darum verkleide ich sie in Unwahrheit und sage das Gegenteil von dem, was ich meine. Ich spotte über meinen Schmerz, aus Furcht, du könntest es tun.
Ich sehne mich, die kostbarsten Worte zu gebrauchen, die ich für dich habe; aber ich wage es nicht, aus Furcht, es könnte mir nicht mit gleicher Münze heimgezahlt werden.
Darum gebe ich dir hässliche Namen und prahle mit meiner harten Strenge. Ich tu dir weh, aus Angst, du würdest nie wissen, was Leid ist.
Ich sehne mich, schweigend bei dir zu sitzen; aber ich wage es nicht, sonst spränge das Herz mir auf die Lippen. Darum schwatze ich und plaudere leichthin und verberge mein Herz hinter Worten. Rauh fass ich mein Leid an, aus Angst, du könntest es tun.
Ich sehne mich, weg zu gehn von deiner Seite; aber ich wage es nicht, aus Angst, meine Feigheit würde dir offenbar werden. Darum trage ich meinen Kopf hoch und komme heiter in deine Gesellschaft. Unablässige Dolchstiche aus deinen Augen halten meine Wunde immer offen."

"Befrei mich von den Banden deiner Süße, Lieb! Nichts mehr von diesem Wein der Küsse. Dieser Nebel von schwerem Weihrauch erstickt mein Herz. Öffne die Türen, mach Platz für das Morgenlicht. Ich bin in dich verloren, eingefangen in die Umarmungen deiner Zärtlichkeit. Befrei mich von deinem Zauber und gib mir den Mut zurück, dir mein befreites Herz darzubieten."

"Uneingestandene Liebe ist heilig. Sie leuchtet wie ein Edelstein im Glühn des verborgenen Herzens. Im Licht des neugierigen Tags blickt sie jammervoll trübe. Ach, du durchbrachst die Hülle meines Herzens und zerrtest meine zitternde Liebe auf den offenen Platz und zerstörtest für immer den schattigen Winkel, wie sie ihr Nest hatte."

"Sag mir, ob das alles wahr ist, Liebster, sag mir, ob das alles wahr ist.Wenn diese Augen ihre Blitze sprühen, geben die dunklen Wolken in deiner Brust stürmische Antwort? Ist es wahr, dass meine Lippen süß sind wie die aufspringende Knospe der ersten eingestandenen Liebe? Säumen die Erinnerungen entschwundener Maienmonde in meinen Gliedern? Erschauert die Erde wie eine Harfe in Liedern, wenn meine Füße sie berühren?
Ist es denn wahr, dass die Tautropfen von den Augen der Nacht fallen, wenn ich mich zeige, und dass das Morgenlicht froh ist, wenn es meinen Körper rings einhüllt?
Ist es denn wahr, ist es wahr, dass deine Liebe einsam durch Zeitalter und Welten wanderte auf der Suche nach mir? Dass da du mich endlich fandest, dein langes Sehnen letzten Frieden fand in meiner sanften Rede, in meinen Augen und Lippen und flutenden Haaren? Ist es denn wahr, dass das Geheimnis des Unendlichen auf diese meine kleine Stirn geschrieben steht? Sag mir Geliebter, ist denn das alles wahr?"

"Geliebte, mein Herz sehnt sich Tag und Nacht nach einem Begegnen mit dir - einem Begegnen, das wie der alles verschlingende Tod ist. Feg mich hinweg wie ein Sturm; nimm alles, was ich habe; brich ein in meinen Schlaf und plündere meine Träume. Raub mir meine Welt. In dieser Verwüstung, in der letzten Nacktheit der Seele, lass uns eins werden in Schönheit.

Ach vergebliches Sehnen! Wo ist diese Hoffnung auf Vereinigung außer in Dir, mein Gott?"

...

Rabindranath Tagore spricht Sie, liebe Leserin und lieber Leser, am Ende seines Liebeszyklus sogar direkt an:

„Ich kann dir nicht eine einzige Blume schicken von diesem Frühlingsreichtum, keinen einzigen Streifen Gold aus den Wolken droben. Öffne deine Tür und blicke hinaus. In deinem blühenden Garten pflücke duftende Erinnerungen an die entschwundenen Blumen vor hundert Jahren. In der Freude deines Herzens magst du die lebendige Freude fühlen, die an einem Frühlingsmorgen sang und ihre frohe Stimme hinaussandte über hundert Jahre.“

Nicht allein indem er schreibend an uns heutige Leserinnen und Leser dachte, ist Rabindranath Tagore mit „Der Gärtner“ doppelt etwas gelungen: Die Liebe wird in seinem Werk zur zeitlosen, philosophischen Metapher des Lebens schlechthin. Lesen Sie nach, wie Tagore dieser Brückenschlag gelingt. Mit seiner in die Ewigkeit geschriebenen und reichenden Botschaft hat er sich zudem unter Zuhilfenahme magischer Worte deren Unsterblichkeit gesichert; und seine gleich mit. Das ist wortwörtlich wunderbar!

Mein Tipp heute: Machen Sie Rabindranath Tagores "Gärtner" zu Ihrer Frühlingslektüre 2012.

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1 Kommentar

Danke für den Tipp :)

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