Ein zartes Pflänzchen des Engagements: Baumscheiben-Patenschaften in der Hermann-Steinhäuser-Straße
Ein altgedientes Eimerchen, ein blauer Besen und ein Kehrblech – mehr braucht es nicht, um vor der eigenen Haustür... Zu kehren? „Das mach ich schon immer“, sagt Ida Spanuth. „Schauen ob Dreck da liegt vor dem Haus.“ Und Karl-Heinz, den lindgrünen Eimer schwenkend, lächelt verschmitzt: „Dafür, dass wir jetzt auch auf der Straße die frisch gepflanzten Berberitzen wässern, ist sie verantwortlich.“
Seit 1969 leben Spanhuths in der Hermann-Steinhäuser-Straße, in Offenbachs östlicher Innenstadt. Die Schreinerei, die Schreinermeister Karl-Heinz Spanuth in der Wirtschaftblüte der Nachkriegszeit hier gründete, wird von einem der beiden Söhne heute noch betrieben. Verantwortlich gefühlt hat sich Familie Spanuth schon immer: für das eigene Auskommen; auch für ein gutes nachbarschaftliches Miteinander. Als Erklärung dient Karl-Heinz Spanuth ein schlichter Satz, über den nachzudenken sich lohnt: „Wir sind mit nichts hierhergekommen.“ Das klingt so einfach. Wie es auch selbstverständlich klingt, wenn Ida Spanuth sagt: „Als ich auf der Höhe vom Penny-Markt die ersten Baumscheiben-Paten beim Gießen sah, habe ich sie angesprochen.“ Was mit den Baumscheiben-Patenschaften vor zwei Jahren von der Bürgerinitiative Östliche Innenstadt ins Leben gerufen wurde, gefiel ihr auf Anhieb.
Was aber tun Baumscheiben-Paten? „Nichts Kompliziertes“, lacht Peter Ambros, Sprecher der Bürgerinitiative der Östlichen Innenstadt. „Sie schauen, dass sich auf der Grünfläche rund um die Bäume, den sogenannten Baumscheiben, kein Müll ansammelt, der Hundekot mitgenommen wird und dass die Bepflanzung regelmäßig gewässert wird.“ Ambros selbst fühlt sich seit einigen Jahren auch verantwortlich. Für die frisch bepflanzten Baumscheiben und für mehr. „Schließlich lebe ich in diesem Stadtteil“, meint er. Binnen Kurzem von Bürgern der Östlichen Innenstadt geschätzt und bei Politikern im Rathaus respektiert gilt er als wertvolle Stimme für die positive Entwicklung und Gestaltung des Kernbezirks „Östliche Innenstadt“. Wie kam
das?
Peter Ambros lebt seit den 70-er Jahren mittendrin in dem historisch gewachsenen, ursprünglich solide-kleinbürgerlichen Arbeiterviertel Östliche Innenstadt. Bis in die 90-er Jahre waren hier große Firmen wie z.B. Meyer und Sohn mit ihrer Produktion angesiedelt. Lebensmittelläden und Geschäfte in der Austraße und Karlstraße prägten den betriebsamen Stadtteil als Ambros hier seine Wohnung bezog. „Beruflich häufig auf Reisen bemerkte ich erst im Ruhestand wie sehr sich das Quartier verändert hat“, wundert sich Ambros heute. „Über Jahrzehnte verdreckte Stromkästen hatten gründliche Säuberung und einen neuen Anstrich nötig; leer stehende Hinterhöfe mussten dringend entmüllt werden.“ Als sommers Betrunkene in der Karlstraße auf Matratzen campierten griff Ambros kurzer Hand zum Telefon. Er rief die Medien an und bat um Berichterstattung über Missstände eines sich selbst überlassenen Viertels. Das funktionierte. Mit rhetorischem Geschick und elegantem Nachdruck seinerseits wurden die öffentlich kundgetanen Mängel relativ umgehend behoben. Durch die Aktion war schnell der Kontakt zu der bereits bestehenden Bürgerinitiative Östliche Innenstadt (BI) geknüpft. Vom „verantwortlich fühlen“ zum „verantwortlich sein“ dauerte es für Peter Ambros genau eine Sitzung lang: vor 4 Jahren wurde er zu ihrem Sprecher gewählt.
Vor zwei Jahren spendierte die Stadt dann auf Anregung der Bürgerinitiative das erste frische Grün für sechs Baumscheiben zwischen Karlstraße und Austraße. Zwei lange Jahre standen interessierte Baumscheiben-Paten mit Schäufelchen und Eimerchen tatendurstig bereit, um endlich auch im unteren Teil der Hermann-Steinhäuser-Straße bei fünf Grüninseln Hand anlegen zu können. Im Mai diesen Jahres lieferten SOH und ESO die lang ersehnten Berberitzen; und auch sehr zartblättrige, kleinwüchsige Rosen. Jahrzehntealte Erde wurde von Engagierten umgegraben und teils abgetragen. Auch die in ein Zementbett abgesenkte Steinumrandung der Baumscheiben wurde eigenhändig vorgenommen. Dann wurde unter fachgerechter Anleitung durch einen Mitarbeiter der ESO gepflanzt. Seitdem wird täglich rund um jeden Buchenstamm liebevoll gezupft, gegossen und ggf. auch der Müll privat mitgenommen.
Wo immer Ambros durch das Viertel schlendert wird er fröhlich gegrüßt. Der harte Kern von 10 Aktiven der Bürgerinitiative um Peter Ambros hat in den vergangenen Jahren viel bewegt. Die mit unermüdlichem Engagement betriebene Initiative genießt im erweiterten Kreis der ca. 60 Engagierten, Freunde und Unterstützer große Anerkennung. Wolfgang Wirthmann, Wohnhausbesitzer einer fachkundig restaurierten, ehemaligen Bäckerei gehört ebenfalls zu den von Ambros gewonnen Baumscheiben-Paten. Wirthmann selbst hat in seinem idyllischen Innenhof eine von Feigen- und Olivenbäumchen beschattete Grüninsel mit kleinem Springbrunnen angelegt. „Baum und Bewuchs da draußen gehören für meine Frau und mich einfach mit dazu“, sagt der ehemalige Kundendienstleiter der Firma Hoh & Hahn, später Berthold Hoh Lux in Berlin.“Da gießen wir ganz einfach mit.“ Nach vielen Jahren überrascht es ihn immer noch, wie achtlos einige Nachbarn ihre Kippen aus dem Fenster schnipsen. Diese werden von ihm am Straßenrand gehäufelt. Hinterlassenschaften der Hunde entsorgt er ebenso wie Flaschen, die auf den Pflanzen landen. „Wenn Sie viel selbst gemacht haben, dann haben Sie eine andere Einstellung zu den Dingen“, sagt er. Und er fügt hinzu: „Ich finde es gut, wenn Menschen auf dem Wilhelmsplatz Fahrräder bewachen oder freiwillig Müll sammeln. Wir brauchen den sorgenden Blick für unser Umfeld.“ Mit aktivem Engagement werde es auch besser, stellt Wirthmann fest. Die Baumscheiben-Aktion sei gut angekommen. „Die netten Schildchen, die im Erdreich zwischen den stacheligen Berberitzen stecken und Hundebesitzer freundlich darauf aufmerksam machen, das Geschäft woanders zu erledigen, - oder es ggf. im Tütchen mitzunehmen -, wirken auch.“ So klingt Zuversicht eines Mannes, der sich Ende der 80-er Jahre bewusst dafür entschied, in dieses spröde Viertel zu ziehen.
Gemeinsam mit Spanuths und Peter Ambros freut sich Wirthmann: „Die Stadt sieht unser Engagement modellhaft und möchte das auch anderswo etablieren.“ Darauf angesprochen, ob die Bewohner der unteren Hermann-Steinhäuser-Straße auch die Baumscheiben-Paten des oberen Straßenteils kennen sagen Ida und Karl-Heinz Spanuth wie aus einem Munde: „Wir kennen uns ja alle.“ Und wenn Spanuths „alle“ sagen, dann meinen sie auch „alle“. Jedenfalls diejenigen, die hier schon länger leben: die türkische Familie von gegenüber ebenso wie die Portugiesen und die griechischen Mitbewohner der Straße. „Auch Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage wirkten bei der Pflanzaktion engagiert mit“, berichtet Ambros. „Die junge Mutter Türkan Bitgül ebenso wie Bettina Urbas vom Café und Restaurant Stella“.
Ambros hat sogar die Vermutung, dass die Baumscheiben-Patenschaften zur Nachbarschaftshilfe anregen: Vor kurzem sah er einen ihm völlig Unbekannten am kostbaren Grün wirken. Ambros freut sich sichtbar, dass der Aktive ein gläubig gekleideter Moslem war. Engagement verpflichtet; Nachbarschaft und Freundschaften im Viertel ebenso. Offenbar tragen die zarten wie die stacheligen Pflänzchen zum vernetzten Austausch und zur Nachbarschaftshilfe bei. Denn einen viel zu lange still gehegten Wunsch haben hier viele: den gemeinsamen Stadtteil gemeinsam zu gestalten. Auf Umwegen hörte Ambros, der hilfsbereite Straßen-Gärtner sei ein Bekannter einer verreisten Nachbarin der verreisten Baumscheiben-Patin gewesen, die Bulgarin ist. Ob alt eingesessen oder neu dazugezogen - so sind „echte Offenbacher“: engagiert, hilfsbereit und wortwörtlich bodenständig.
Eigene Gestaltungsmöglichkeiten erkennen, engagiert, nachahmenswert und zu fördern, in dem Artikel zeigt sich verantwortliches Handeln von Stadtteilbewohnern, die im Brennpunkt des Geschehens leben. Politik ist oftmals nicht in der Lage, Dinge zu verändern, weil die Nähe nicht vorhanden ist, die Dinge zu erkennen, die einer Begleitung oder einer Änderung bedürfen. Da ist bürgerliches Engagement zu begrüßen und zu unterstützen, zu mal das Engagement von einer ehrenamtlichen Einstellung getragen wird.
Ähnlich wie im Artikel beschrieben, habe ich Menschen im New Yorker Stadtteil Harlem bei ähnlichen Aktionen getroffen. Mir wurde erzählt, das in den Bereichen selbstangelegter Gärten auf ehemals verwahrlosten Trümmergrundstücken, der Vandalismus nachgelassen habe und das Selbstwertgefühl der Menschen in den angrenzenden Wohnbereichen gestiegen sei und die Menschen in der Nachbarschaft näher gerückt seien.
Angesichts einer sich noch weiter verschlechternden Finanzlage der städtischen Kommune Offenbach, ist bürgerliches Engagement besonders stark gefragt, um ein Stadtviertel wie die östliche Innenstadt, vor dem abdriften in eine völlige, soziale Schieflage zu bewahren. Wenn unterschiedliche Kultur- und Glaubenseinrichtungen nichts trennendes sind, sondern durch verbindende Werte, Gemeinschaft entsteht, dann hat der Stadtteil eine große Chance, eine Blüte zu erleben durch das Engagement seiner Bewohner.
Mit freundlichen Grüßen
Uwe Kampmann