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Literaturempfehlungen: Gazprom: ein Demokratie gefährdendes Imperium; Wie Deutschland durch Korruption heruntergewirtschaftet wird

Zwei Buchbesprechungen mit Interviews zu einem lang bekannten Problem:

Vorsicht! Jürgen Roth hat wieder zugeschlagen: mit einem sehr eigenen Beitrag zur Energiewende, einem Faktenthriller über Gazprom, über das weit verzweigte russische Firmengeflecht, dem der streitbare Pfeifenraucher aus Frankfurt eine gepfefferte Strafpredigt hält: Im Zentrum, Wladimir Putin, mit dem Konzern-Bediensteten Gerhard Schröder.

Gazprom gehört zu mehr als 50 Prozent dem russischen Staat. Für Roth eine unheilvolle Allianz von wirtschaftlicher und politischer Macht: "Gazprom ist im Inneren deswegen gefährlich, weil es die Machtstrukturen der jetzigen Kreml-Clique – also von Putin – abstützt.
Ohne Gazprom wäre Putin nicht das, was er ist. Und Gazprom wäre nicht das – als riesiger Energiekonzern, der eben nicht nur ein Energiekonzern, sondern der auch eine politische Waffe ist.
Ohne Vladimir Putin, das heißt die beiden sind nicht zu trennen – Gazprom und Putin."

400.000 Mitarbeiter! 23,8 Milliarden Euro Gewinn im Jahr 2010! Gazprom mit Stammsitz in Moskau ist der wohl wichtigste Energielieferant Europas, der – wenn wir Roth glauben - seine Vormachtstellung ziemlich skrupellos ausnutzt, seine Kritiker zumindest mundtot zu machen versucht und seine Kunden erpresst.

Jürgen Roth: "Staaten werden erpresst, weil wenn sie sich nicht dem Willen des Kreml bzw. von Gazprom unterwerfen, wird einfach der Gashahn zugedreht, oder man droht den Gashahn zu zu drehen. Wie in der Ukraine!
Oder die Preise werden plötzlich erhöht, dass der Normal-Sterbliche das nicht mehr bezahlen kann.
Ich zeige Beispiele aus Bulgarien, wo man gesagt hat: Entweder Gazprom kann hier in Bulgarien investieren und wo Putin dann sagt, wenn das nicht geschieht, dann werdet ihr einen kalten Winter erleben. Das sind diese politischen Machenschaften, die mit Gazprom verbunden sind."

Das sind fürwahr geharnischte Vorwürfe. Wir hätten dem Gazprom-Konzern, der sogar über eigene Fernsehkanäle verfügt, gern die Gelegenheit zur Gegenrede gegeben. Doch die Deutschland-Direktion sagte "Njet". Zu Roth äußere man sich aus prinzipiellen Erwägungen nicht. Schade.

Roth, der sich seit Jahren mit der Achse Gazprom und Putin befasst, ahnt: Gazprom wird nichts unversucht lassen, um gegen seine akribische, mit Dokumenten und Fußnoten gespickte Abrechnung vorzugehen:
"Das ist die Angst, dass man zu Tode, sozusagen durch die Justiz mundtot gemacht wird und Bücher nicht erscheinen. Das wird nun aber extrem von Anwälten untersucht und man muss ja gucken –
Frage: Ihr Buch?
Jürgen Roth: Dieses Buch, ja ja. Damit nichts – und wenn sie die Fahnen sehen, was alles korrigiert worden ist, da bekommen Sie einen Nervenzusammenbruch, weil Sie eigentlich nur noch im Prinzip schreiben können, oder nicht schreiben können."

So argumentiert Roth in seinem neuen Buch überaus sachlich, auch wenn er sich spürbar ärgert, etwa über die Kicker von Schalke, die einmal für ehrliche Arbeit standen und nun, seit 2007, für einen dubiosen Energiekonzern Reklame laufen.

Jürgen Roth: "Das ist für mich immer fatal, wenn sie sagen: 'Schalke 04 – Gazprom sieht man darauf'. Das ist ja sozusagen, da macht man Propaganda für ein politisches System, das wir in Europa eigentlich nicht wollen – dafür steht Gazprom im Grunde genommen.
Das wird alles mehr oder weniger unkritisch hingenommen."

Dürfen wir, um an Energie zu kommen, all unsere ethischen Werte über Bord werfen? Gerhard Schröder - da kennt Roth, selbst Sozialdemokrat, wenig Zweifel - hat den Bogen überspannt. Er steht auf der Gehaltsliste des Putin-Unternehmens und preist ausgerechnet die autoritäre Staatsherrschaft in Russland als "lupenreine Demokratie". Ob der Exkanzler mit seinem Engagement den Namen Gazprom veredelt? Oder ruiniert er nicht vielmehr den seinen?

Jürgen Roth: "Wenn man das Grundsatzprogramm der SPD, des Parteigenossen Gerhardt Schröder nimmt, müsste er schon zig mal aus der Partei ausgeschlossen werden. Weil er mit seinem Handeln natürlich gegen die Programmatik der Partei, die er repräsentiert, permanent verstößt.
Frage: Konkret!?
Jürgen Roth: Na ja, ein Teil des Grundsatzprogramms ist sozusagen die Intransparenz von Großunternehmen, dass die Macht der Großunternehmen, die Einfluss auf den Staat haben sollen, diese Macht muss vermindert werden.
Und er arbeitet in einem Konzern, der genau dieses repräsentiert – ein undurchsichtiger Monopolist."

Putin und Schröder sind für Roth die Statthalter eines "unheimlichen Imperiums", zu dem gar ein eigener, bewaffneter Geheimdienst gehöre.
Von den Gazprom-Magnaten und ihren Freunden ist, gerade nach der Eröffnung der neuen Erdgas-Ostsee-Pipeline, auch Deutschland in hohem Maße abhängig. Immerhin wissen wir dank Roth genauer, mit wem wir es zu tun haben. Seine beklemmende Dokumentation ist Pflichtlektüre für nachdenkliche Demokraten und mündige Energie-Verbraucher.

Buch-Info Jürgen Roth "Gazprom – Das unheimliche Imperium"
Wie wir Verbraucher betrogen und Staaten erpresst werden
288 Seiten, € 19,99
ISBN 978-3864890000
Westend Verlag

Passend dazu:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=12769
Frank Überall: Wie Deutschland durch Korruption heruntergewirtschaftet wird
„Korruption geht uns alle an. Wir können jeden Tag Opfer solcher kriminellen Machenschaften werden.
Bestechung ist nicht nur die abstrakte Bedrohung, die uns bei spektakulären Fällen in den Schlagzeilen begegnet.
Dass Schmiergelder erwartet oder gezahlt werden, schadet uns allen: ob nun unser Kaffee teurer wird, ob der Ticketpreis für die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Höhe getrieben wird oder ob wir über höhere Steuern überteuerte Bauprojekte mitfinanzieren müssen.
Korruption wird in der Öffentlichkeit dennoch nur als vereinzelte Straftat wahrgenommen, ohne die Strukturen zu hinterfragen, die dazu führen.
Man gewinnt den Eindruck, öffentliche Kassen und anonyme Großunternehmen sind hierzulande zum Selbstbedienungsladen einer abgehobenen Klasse verkommen. Die Republik der Raffkes, so scheint es, stößt sich dabei den geschmierten Staat so zurecht, wie sie ihn braucht.“
Das schreibt Frank Überall in seinem neuen Buch mit dem Titel „Abgeschmiert“.
Auf den NachDenkSeiten beschäftigen wir uns regelmäßig mit „politischer Korruption“, Grund genug also, ein Gespräch mit dem Autor zu führen. Wolfgang Lieb

Herr Überall, vor fünf Jahren haben Sie eine Doktorarbeit über den kölschen „Klüngel“ verfasst, jetzt haben Sie ein neues Buch mit dem Titel „Abgeschmiert“ geschrieben, das sich mit der Korruption in Deutschland befasst.
Warum halten Sie die Bestechung für ein so wichtiges Thema und welche Botschaft wollen Sie Ihren Leserinnen und Lesern vermitteln?

Frank Überall: Bestechung ist Gift für die Gesellschaft. Das Schlimme aber ist: Viele reden sich und uns ein, dass Korruption im Einzelfall gar nicht so schlimm ist. Sie erhalte Arbeitsplätze, ist das eine Argument, oder: Es entsteht doch gar kein richtiger Schaden.
Tatsächlich sind wir immer wieder Opfer solcher Praktiken: Wenn man eine Genehmigung oder einen Ausweis im Rathaus erst nach Gewährung einer „kleinen Aufmerksamkeit“ bekommt, was selten passiert. Oder – was überall verbreitet ist – wenn Preise für Produkte durch Korruption teurer werden oder die Kosten für öffentliche Bauprojekte unangemessen steigen, weil Schmiergeld refinanziert wird.
Dagegen müssen wir doch was tun! Die meisten haben aber kaum eine Vorstellung davon, wie man sich dem komplexen Problem der Korruptions-Bekämpfung und vor allem auch ihrer Vorbeugung nähern soll.
Ich möchte meinen Leserinnen und Lesern dazu Denkanstöße geben und den öffentlichen Diskurs zum Thema befördern, damit endlich mehr getan wird gegen Korruption im Lande.

Sie sprechen davon, dass sich in Deutschland eine „Kommunikationsethik“ etabliert habe. „Ethik“ im Zusammenhang mit illegitimem, ja kriminellem Verhalten ist das nicht ein Widerspruch in sich?

Frank Überall: Das ist ja gerade das Problem: Diejenigen, die Korruption betreiben, haben meist keinerlei Unrechtsbewusstsein.
Das ist ja keine offensichtlich grausame Tat wie etwa ein Mord oder eine Geiselnahme.
Man ist ja auch nicht alleine: Der eine besticht, der andere lässt sich bestechen. Man muss das nur vor den anderen geheim halten, sonst gibt`s Ärger. Deshalb versucht man, eine rechtfertigende Ethik über das eigene verwerfliche Handeln zu legen.
Man legt sich gemeinsam eine Sonder-Moral zu Recht. Das geht hin bis hin zu sprachlichen Codes.
Da werden Schmiergelder als „Beraterhonorare“ oder „Provisionen“ deklariert, da wird mit breitem Grinsen die kriminelle Kumpanei angedient unter dem Motto „Es soll Dein Schaden nicht sein…“ Aber den Schaden haben eben andere… Die „Korruptionsethik“ hilft, sich so was schön zu reden. Nur, wenn wir Korrupte verstehen, können wir ihr kriminelles Handeln bekämpfen!

Was verstehen Sie überhaupt unter Korruption und wo liegt für Sie die Grenze zwischen einem „Freundschaftsdienst“ oder einer „Aufmerksamkeit“ und einem kriminellen Delikt?

Frank Überall: Es gibt ganze Bücher über die Definition von Korruption und die verschiedenen Experten sind sich im Detail nicht einig.
Klar ist, dass jemand Vertrauen (in der Regel ein Amt) missbraucht, um sich einen unberechtigten Vorteil zu verschaffen.
Daran sieht man aber schon, wie schwierig das in der realen Welt zu beurteilen ist: Wenn sich private Freundschaften und „amtliche“ Funktionen vermengen, wenn „Aufmerksamkeiten“ verteilt werden, die mal wertlos, mal unheimlich teuer sein können.
Man muss sich deshalb jeden Einzelfall anschauen – man hat aber zunehmend den Eindruck, dass viele in Führungspositionen gar nicht mehr wissen, was sich gehört und was anständig ist. Ob Politiker oder Manager: Die „Korruptionsethik“ greift um sich.

Wolfgang Hetzer, Abteilungsleiter im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) schreibt in seinem Buch „Finanzmafia – Wie Banken und Banditen unsere Demokratie gefährden“: „Wenn Käuflichkeit den inneren Charakter eines Gemeinwesens prägt, degeneriert Rechtsgehorsam ohnehin zur lächerlichen Attitüde.“
Sie schreiben, dass sich bei uns längst die „Korruptionsethik“ etabliert habe, auf welchen gesellschaftlichen Handlungsfeldern hat sich die Käuflichkeit bei uns eingenistet?

Frank Überall: In nahezu allen Lebensbereichen. Wenn Sie morgens ihre Tasse Kaffee trinken, kann der Kaffee über Kartellabsprachen künstlich verteuert worden sein.
Wenn Sie zum Arzt gehen, wenn Sie Lebensmittel oder Elektrogeräte einkaufen, wenn Sie Ihr Telefon benutzen – überall lauert Korruptionsgefahr. Da müssen Sie gar nicht selber bestechen: Es reicht, wenn sich Zulieferer oder Dienstleister illegal miteinander abgesprochen haben.
Und als Steuerzahler wird indirekt jeder von uns ständig geschädigt: Durch Schmiergelder bei Bauprojekten, durch ergebene Lobby-Hörigkeit der Gesetzesmacher oder durch Spendentricksereien der Parteien.
Entscheidungen werden gekauft. Die Gefahr ist allgegenwärtig. Getan wird dagegen wenig bis nichts.

Hinter Korruption verbergen sich meist dunkle Geschäfte im Verborgenen, lässt sich das Ausmaß der Korruption und lassen sich die Schäden überhaupt einigermaßen realistisch einschätzen?

Frank Überall: Experten gehen davon aus, dass höchstens jeder zehnte Korruptionsfall überhaupt bekannt wird, manche meinen sogar, nur jeder zwanzigste Fall. Dass etwas wirklich von der Justiz aufgeklärt wird, ist noch viel seltener, vielleicht in jedem dreißigsten Fall.
Insofern sind offizielle Zahlen problematisch. Das Bundeskriminalamt beziffert in seinem aktuellen Lagebild den festgestellten (!) Schaden durch Korruption auf 176 Millionen Euro jährlich.
Tatsächlich dürfte der Schaden aber mehr als 30 Mal so hoch sein, nach realistischen Schätzungen über fünf Milliarden Euro. Wohlgemerkt, jedes Jahr. Alleine bei uns in Deutschland.

Sie haben sich ausgiebig mit dem einstmals mächtigen SPD-Fraktionsvorsitzenden im Kölner Rat unterhalten, der über so genannte „Dankeschön-Spenden“ nach der Vergabe eines Bauauftrags für eine umstrittene Müllverbrennungsanlage gestürzt und verurteilt worden ist. Norbert Rüther hat sich – soweit ich weiß – dabei nicht persönlich bereichert sondern die „Spenden“ an seine Partei weitergereicht?
Kann man das überhaupt als korruptes Verhalten bezeichnen?

Frank Überall: Wo ist der Unterschied, wenn illegale Schwarzgeld-Spenden NACH der Vergabe eines Projekts vergeben werden oder DAVOR? Norbert Rüther hat sich bestimmt nicht persönlich bereichert.
Wenn man aber in einer verantwortlichen Funktion ist, muss man besonders zurückhaltend sein. Es geht auch nicht, dass eine Partei, ein Fußballverein oder ein Club der Kaninchenzüchter unberechtigt Geld kassiert.
Dass Norbert Rüther sich als SPD-Politiker dafür verwendet hat, räumt er heute selbst als großen Fehler ein. Auch wenn er immer noch behauptet, die Sozialdemokraten im Kölner Rathaus seien damals nicht käuflich gewesen – Fakt ist, dass Unternehmen der Entsorgungswirtschaft unter anderem im Zusammenhang mit dem Bau der Müllverbrennungsanlage zumindest eine gewisse Gewogenheit herstellen wollten.

Alle Parteien suchen doch händeringend nach Spendern, wo liegt für sie der Unterschied zwischen ganz normalen Großspenden an Parteien und einem nachträglichen „Dankeschön“?

Frank Überall: Im Fall des Kölner Müllskandals waren die „Dankeschön“-Spenden ja nicht offiziell gezahlt worden, sondern als Schwarzgeld. Norbert Rüther hat mir erzählt, wie komisch er sich gefühlt hat, als er die Bargeld-Scheine in der Schweiz abgeholt hat. Aber er dachte, im Sinne seiner Partei zu handeln.
In der Tat ist gerade auf kommunaler Ebene die Geldnot der Parteien groß: Wahlkämpfe wollen finanziert werden, es gibt für diesen Bereich aber keine staatliche Wahlkampfkostenerstattung.
Spenden sind immer nur dann rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie völlig transparent sind, ganz gleich, wann sie geleistet werden. Die Wählerinnen und Wähler müssen die Möglichkeit haben sich darüber zu informieren, wo eventuell „Gewogenheit“ hergestellt wird. Davon sind wir leider noch weit entfernt.

Vor ein paar Wochen ist der Bundespräsident von seinem Amt zurückgetreten, weil ihm in den Medien Vorteilsannahme vorgehalten wurde. Christian Wulff ist bis heute davon überzeugt, dass er zwar nicht alles richtig gemacht aber nichts Unrechtes getan habe.
Ist für Sie die Vergabe eines günstigen Kredits von einem befreundeten Ehepaar oder ein Urlaub in der Villa eines langjährigen reichen Freundes schon Korruption? Wo würden Sie die Grenze ziehen?

Frank Überall: Die Vorwürfe beziehen sich ja auf die Zeit, als Christian Wulff Ministerpräsident in Niedersachsen war. Damit war er aus juristischer Sicht unzweifelhaft Amtsträger.
Warum sollten für ihn andere Regeln gelten als für den „einfachen“ Sachbearbeiter in einem kommunalen Bauamt, für eine Polizistin oder für einen Lehrer? Die Annahme jeglicher Vorteile ist verboten, auch wenn keine konkrete Bestechungsabsicht dahinter steckt.
Wenn dann auch noch ein Interessenkonflikt entstehen kann, sind strafrechtliche Ermittlungen die logische Folge.
Ein Amtsträger darf sich nicht in Abhängigkeiten begeben. Und wenn Herr Wulff sich wirklich nur von „Freunden“ hat einladen und unterstützen lassen – warum hat er das dann nicht öffentlich getan? Ein Freund, den man versteckt, ist schon ein seltsamer Freund.
Insofern: Die Mischung aus Vorteilen, beruflichen Verquickungen und Geheimhaltung macht den Korruptionsverdacht aus.

Herr Maschmeyer, der berüchtigte frühere Chef von AWD, eines großen Finanzdienstleisters, hat gerade ein Buch veröffentlicht, sozusagen eine Art Bedienungsanleitung für geschäftlichen Erfolg. Er beschreibt dabei wie entscheidend das Knüpfen von Netzwerken ist.
Wo sehen Sie die Demarkationslinie zwischen „Networking“ und Korruption als überschritten an?
Oder anders: Wo hört legitimer Lobbyismus auf und wo fängt Korruption an?

Frank Überall: „Netzwerken“ ist elementar wichtig, auch in einer Demokratie.
Da aber, wo Netzwerke intransparent werden, wo sie sich gegen Außenstehende abschotten und im Geheimen arbeiten, wird es schwierig: Nur ein Höchstmaß an Transparenz kann dazu beitragen, dass Politiker nicht weiter unter Generalverdacht geraten.
Deutschland hat da noch großen Aufholbedarf. Man glaubt ja gar nicht, mit welchen perfiden Mitteln Lobbyisten zuweilen versuchen, politische Entscheidungen zu beeinflussen. Sie geben sich als freundliche Netzwerker aus, verführen aber mit Reise-Einladungen, noblen Dinner-Terminen oder dem Versprechen lukrativer Posten.

In Ihrem Buch zählen Sie seitenlang Politiker auf, die nach ihrer politischen Karriere durch die „Drehtür“ gegangen sind und lukrative Jobs in der Wirtschaft angenommen haben oder als „Berater“ tätig geworden sind.
Der „Seitenwechsel“ zwischen Politik und Wirtschaft und umgekehrt gilt doch geradezu als erwünscht. Was ist daran verwerflich, dass Spitzenpolitiker in einem Leben nach der Politik noch einmal richtig Geld verdienen möchten?
Und warum sollten Unternehmen nicht dafür bezahlen, dass sie die politische Kompetenz ehemaliger Politprofis nutzen?

Frank Überall: Man kann keinem Politiker verbieten, dass er nach seiner Karriere eine andere Tätigkeit ausübt und Geld verdient.
Aber in vielen Fällen drängt sich der Verdacht auf, dass es sich um etwas handelt, das ich „Vorratspostenspeicherung“ nenne:
Ein Politiker bevorzugt während seiner Amtsführung ein bestimmtes Unternehmen oder einen Konzern oder ein bestimmtes politisches Projekt und lässt sich im Gegenzug dafür einen späteren lukrativen Posten versprechen. Da verdient er dann – ganz legal – ein Vielfaches von einem Politiker-Gehalt, das kann in die Millionen gehen. Wenn er deshalb seine Amtspflichten verletzt, ist das Korruption.

Sie kritisieren solche „Seitenwechsel“, aber man kann ihn doch wohl kaum verhindern.
Wie stellen Sie sich eine Regelung vor, die den Verdacht einer – wie sie es nennen – „Job-Bonus-Bestechung“ vermeiden ließe?

Frank Überall: Vor allem sollte es eine Karenzzeit geben – man sollte nicht direkt von einem politischen oder Beamtenposten, bei dem man für ein Unternehmen zuständig war, zu genau dieser Firma wechseln dürfen. Außerdem brauchen wir mehr öffentlichen Diskurs über solche Seitenwechsler. Wie gesagt, prinzipiell ist das völlig in Ordnung und sogar wünschenswert.
Gleichwohl muss man die „schwarzen Schafe“ finden und anprangern. Denkbar wäre beispielsweise, dass sich auf Antrag der Ältestenrat des jeweiligen Parlaments mit anrüchigen Wechsel-Wünschen beschäftigt und notfalls eine öffentliche Missbilligung aussprechen kann.
Damit wäre der Wechsel zwar nicht verboten, er würde aber unter der gesellschaftlichen Kontrolle eines demokratisch legitimierten Gremiums stehen und schon deshalb potenzielle „Vorratspostenspeicherer“ abschrecken.

In den Parlamenten sitzen viele Abgeordnete, die Mandate in Aufsichtsräten oder Beiräten von Firmen wahrnehmen. Üblicherweise wird das mit dem Erwerb von Praxiserfahrung gerechtfertigt. Was ist daran anstößig? Wie könnte ein Verhaltenskodex aussehe, der nicht in Verdacht einer unlauteren Interessenverflechtung geriete?

Frank Überall: Der Beratervertrag ist in der heutigen Zeit oft nur die Tarnkappe der Korruption. In einem ersten Schritt werden ja inzwischen schon bestimmte Angaben zu Politikern im Bundestag oder in verschiedenen Landtagen öffentlich gemacht.
Das geht aber noch nicht weit genug, die Angaben sind meist noch viel zu unkonkret.
Wenn Abgeordnete, die zum Beispiel Rechtsanwälte sind, nebenher noch ein Unternehmen politisch beraten, sollten die Wählerinnen und Wähler das wissen. Außerdem wäre es gut, wenn die jeweiligen Politiker ihre Befähigung zur Übernahme eines solches Amtes in einem formalen Verfahren nachweisen müssten: Was bedingt ihre Praxiserfahrung, welche theoretischen Qualifikationen haben sie?
Auch hier gilt: Transparenz ist die einzige Lösung. Wer sich dem verweigert, der muss empfindlichere (Geld-) Strafen bekommen als das bis dato der Fall ist.

Häufig wird zur Rechtfertigung zur Wahrnehmung von solchen Aufsichts- oder Beratungstätigkeiten in der Wirtschaft darauf hingewiesen, dass doch Abgeordnete Gewerkschaftsmitglieder seien oder sogar gewerkschaftliche oder kirchliche Wahlämter innehätten. Sehen Sie einen Unterschied zwischen solchen Aktivitäten?

Frank Überall: Ich sehe Abgeordnete ähnlich wie Amtsträger – wie es im Übrigen auch die Vereinten Nationen beurteilen. In erster Linie stehen sie im Dienst der Bürger. Wie bei jedem Beamten oder Angestellten sollten Nebentätigkeiten kritisch betrachtet werden.
Bei Aufsichtsräten ist die Argumentation im Zusammenhang mit gewerkschaftlichen oder kirchlichen Wahlämtern ja noch nachvollziehbar, im eigenen Familienunternehmen des Abgeordneten sicher auch, aber nicht bei bezahlter Beratung.
Es bleibt dabei: Wer so etwas macht, der soll es bitte öffentlich machen – unter Angabe der jeweiligen Tätigkeit und seines Verdienstes, einfach nachzuschlagen auf der Abgeordnetenseite des Parlaments im Internet.

Den Müllwerkern in Köln ist es neuerdings verboten, zwischen Weihnachten und Neujahr in den Haushalten zu klingeln und ein gutes Neues Jahr zu wünschen, natürlich in der Hoffnung dabei ein kleines Trinkgeld als Dankeschön zugesteckt zu bekommen.
Legte man diese Maßstäbe an Politiker an, dann dürften sie eigentlich keine Einladung zu einer Zirkus- oder Filmpremiere mehr annehmen. Andererseits sind die Veranstalter doch gerade froh, wenn sie ihre Eröffnungsveranstaltung mit einem „Promi“ schmücken können.
Was hielten Sie noch für zulässig?

Frank Überall: Der Besuch öffentlicher Veranstaltungen gehört zur Repräsentationspflicht von Politikern. Das ist sozial adäquat, wie man juristisch so schön sagt – auch wenn man dabei beachten muss, dass ein Unterschied zwischen dem Premierenbesuch eines kleinen Zirkus’ im Wahlkreis und der Einladung zu einer gigantischen Hollywood-Sause mit Flug, Übernachtungen und Galadinner besteht.
Das mit den „Neujährchen“ für Müllwerker ist übrigens nicht nur in Köln verboten, sondern in vielen anderen Kommunen, und das zu Recht.
Das Problem ist doch hier, dass eine Erwartungshaltung genährt wird, gerade wenn die Müllwerker auch noch bei den Bürgern klingeln. Ihre Dienstleistung wird von uns aus Abgaben bezahlt. Wollen wir Lehrern, Ärzten an öffentlichen Krankenhäusern und Politessen etwa künftig auch ein „Trinkgeld“ geben, wenn sie für uns tätig werden? Ich denke, nein! Und Politikern auch nicht…

In Ihrem Buch schildern sie zahllose Fälle von Korruption. Dennoch gibt es relativ selten Strafverfahren wegen Bestechung und noch seltener gibt es Verurteilungen. Ist der „hölzerne Handschuh“ (Heribert Prantl) des Strafrechts überhaupt geeignet, korrupte Verhaltensweisen zu packen? Müssten Strafgesetze straffer gefasst werden? Oder mit welchen anderen Mitteln ließe sich die Korruption eindämmen?

Frank Überall: Unsere Strafgesetze sind prinzipiell nicht schlecht. Das einzige juristische Problem, das ich hier sehe, ist die beschämend kurze Verjährungsfrist für Korruptionsdelikte. Während Steuerstraftaten erst nach zehn Jahren nicht mehr verfolgt werden können, sind es bei Korruption nur fünf Jahre. Hinzu kommt, dass auf dem Spezialgebiet der strafrechtlichen Regeln für Abgeordnete die Bundesrepublik Deutschland internationale Normen nicht umsetzt.
Aber das Hauptproblem liegt nicht bei der Legislative, sondern bei den anderen beiden, wichtigen Säulen unseres Rechtsstaats. In der Judikative stellen wir fest, dass Gerichte völlig überlastet sind.
Es fehlt an allen Ecken und Enden das Personal, so dass komplizierte Korruptionsprozesse kaum noch ordentlich geführt werden können.
Die Folge sind „Strafrabatte“ wegen überlanger Verfahrensdauer oder sogar der Verzicht, eine Anklage überhaupt zu verhandeln. In der Exekutive haben wir ähnliche Probleme: Die Beamtinnen und Beamten der Kriminalpolizei sind in weiten Teilen nicht in der Korruptionsbekämpfung ausgebildet, außerdem fehlt auch hier das Personal und zuweilen der politische Wille, daran etwas zu ändern.

Greift man nicht viel zu kurz, wenn man nur auf die strafrechtlich relevante Bestechung schaut? Ist die „politische Korruption“ nicht viel gefährlicher und bedrohlicher – also wenn z.B. die gesetzliche Rente zerstört wird, um der Finanzwirtschaft ein neues Geschäftsfeld bei der privaten Altersvorsorge zu eröffnen oder wenn die Finanzmärkte dereguliert werden, um Finanzhaien ihre kriminellen Machenschaften zu ermöglichen und wenn dazu Wissenschaftler „gekauft“, Medien und Journalisten über Netzwerke beeinflusst oder Politiker „ausgehalten“ werden?

Frank Überall: Als Politikwissenschaftler definiere ich Korruption ohnehin viel weiter als es die rein strafrechtlichen Vorschriften nahe legen. Es ist ja auch immer die Frage, was eine Gesellschaft für Korruption hält und was nicht. Das ändert sich im Laufe der Zeit. Vor 20 Jahren waren Schmiergelder hierzulande noch als „Nützliche Aufwendungen“ von der Steuer absetzbar und Kommunalpolitiker ließen sich noch zu Lustreisen etwa von der Energiebranche einladen. Vieles, was heute in den Bereichen Politik, Wirtschaften und Medien üblich ist, wird die Beteiligten irgendwann böse einholen. Die Menschen werden sensibler, was Korruptionsgefahren angeht. Und als Medienwissenschaftler weiß ich, dass engagierte Journalisten und ebenso engagierte Netz-Bürger sich gegenseitig optimal ergänzen: Es wird viel schwieriger, dubioses Verhalten zu verheimlichen.

Das Buch von Frank Überall „Abgeschmiert – Wie Deutschland durch Korruption heruntergewirtschaftet wird“ ist 2011 im Lübbe Verlag erschienen, hat 237 Seiten und kostet 19.99 Euro.

Der Autor:
Frank Überall (Jg. 1971) lebt als Journalist sowie Politik- und Medienwissenschaftler in Köln. Er lehrt an der Fachhochschule Düsseldorf und an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln.
Seit Jahren berichtet er für Radio- und TV-Redaktionen von WDR und ARD sowie diverse Zeitungen, Zeitschriften und Onlinemedien.
Im Internet findet man ihn unter www.politikinstitut.de.

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2 Kommentare

Was Gazprom betrifft:

Da wir immer mehr auf Solar&Wind OHNE Speicher setzen, brauchen wir immer mehr Reservekraftwerke, die einspringen - und das sind oft GasKWs...

Und es gäbe Alternativen, wenn wir uns auch Gas von anderen Anbietern besorgen (Nabucco sollte Gas aus Irak, Iran, etc. bringen)...

Eine weitere Alternative wäre der Atomstrom...

Wir sind selbst schuld, wenn wir uns anhängig machen.

...vielen Dank für diese Buchvorstellung!

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