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Wie die junge Frau mit Koffer zum Bahnhof kam

  • Endlich angekommen "Sie blickt hoffnungsvoll zur Stadt." Die Bildhauerin Stefanie Weskott erzählt die Geschichte zur Entstehung ihrer Steinskulptur
  • hochgeladen von Peter Schunke

Jeder der Naumburg mit dem Zug bereiste oder auch wieder verlassen hat, ist schon an ihr vorbeigelaufen. Die wenigsten aber wissen um die Geschichte der „Reisenden“ auf dem Bahnhofsvorplatz. So wird die Skulptur hier in der Stadt allgemein bezeichnet.
Die Bildhauerin und Schöpferin Stefanie Weskott selbst schrieb mir ein paar interessante Zeilen über die Entstehung des Steinbildes und ich möchte sie hier gern veröffentlichen:

Als am 9. November 1989 die Mauer fiel, freute ich mich mit allen Menschen in Deutschland. Dass sich auch für mich neue Möglichkeiten auftun würden, daran habe ich damals nicht gedacht. Anfang des Jahres 1990 erfuhr ich vom Aachener Kulturbüro, welches damals von Frau Dr. Reitz geleitet wurde, dass man in der Partnerstadt Naumburg für eine geplantes Bildhauersymposium noch einen Aachener Bildhauer suchen würde. Mit meiner Idee, eine osteuropäische Reisende mit schwerem Gepäck in Stein zu schlagen, wurde ich ausgewählt. Allerdings wussten die Veranstalter bis zum Beginn Anfang Juli nicht, ob auch die finanziellen Mittel aus Berlin genehmigt werden würden, denn die DM war bereits eingeführt und die Kosten mussten von der westdeutschen Regierung getragen werden.

Wir wurden im Lehrlingsheim einquartiert und hatten es nicht weit bis zum Arbeitsplatz im Rosengarten. Für unser Essen mussten wir selbst sorgen, was anfänglich mit unseren russischen und slowakischen Kollegen aufgrund von sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten zu Missverständnissen führte. Diese wurden nämlich bis dato bei ostdeutschen Symposien bestens versorgt. Nun wurde daran schon gespart. Allerdings gab es dafür westliches Geld, was bedeutend mehr wert war.

Der Arbeitsplatz war ideal zum Arbeiten. Jeder hatte genügend Platz und hohe Laubbäume schützten uns vor der Sonne, die während der acht Wochen reichlich schien. Wir hatten ein riesiges Lager an Steinmaterial aus dem Elbsandsteingebirge und ich hatte mit meiner Arbeit von ca. 1 m³ eher einen geringen Materialanspruch.

Die Idee diese Junge Frau mit Koffer zu schlagen kam mir, als ich darüber nachdachte, wie es den Ostdeutschen während der sowjetischen Besatzung erging. Sehnsüchtig blickten viele nach Westen, wo die Wirtschaft erblühte. Nun 1990, nach der Öffnung hat sich die Grenze zum goldenen Westen nach Osten verschoben und es sind nun diese Menschen, die mit ihrem ganzen Mut und Gepäck in den Westen ziehen, um ihr Glück und den Wohlstand zu finden.
Naumburg war eine große Garnisonsstadt und fast die Hälfte der Einwohner waren russische Soldaten. Deshalb konnte ich mir gut vorstellen, dass sich das Leben mit ihnen nicht immer einfach gestaltete. Mit der Öffnung der Grenzen nach Westen haben die Ostdeutschen mit den Russen die Rollen getauscht. Die Russen hatten nun politisch nichts mehr zu sagen und auch ein Leben in Wohlstand rückte in weite Ferne.

Es ist eine schöne, junge Frau in abgetragenen Kleidern. Sie blickt hoffnungsvoll zur Stadt. Sie hat ihr schweres Gepäck bei sich. Sie ist gerade mit dem Zug aus dem Osten angekommen.

Während des Arbeitens wurden wir Bildhauer gefragt, wo wir unsere Arbeiten platzieren wollten. Mir war schnell klar, dass meine junge Frau vor dem Bahnhof mit Blick zur Stadt den besten Standort hätte. Doch dieses Gelände gehörte der Deutschen Reichsbahn und die Stadt Naumburg konnte gar nichts für mich tun. Den halben August suchte ich nach einem Verantwortlichen, der mir eine Genehmigung geben konnte. Heute in Zeiten des Internets wäre es sicher schneller gegangen! Noch dazu in der Urlaubszeit hatte ich anfangs wenig Glück. Doch es gelang mir zum Schluss doch noch alles unter Dach und Fach zu bringen und in der letzten Woche wurde mit Hilfe des städtischen Bauhofs meine Figur am heutigen Standort fachmännisch versetzt.

Stefanie Weskott

1959 in Ulm/ Donau geboren, absolvierte Stefanie Weskott nach dem Abitur eine Steinmetz- und Bildhauerlehre. Nach der Gesellenzeit studierte sie an der Kunstakademie Maastricht Bildhauerei. Seit 1990 lebt sie zusammen mit ihrer Familie in Herzogenrath/ Städteregion Aachen. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Werner Huppertz entwickelt sie Konzepte für Kirchenausgestaltungen. In den Bistümern Aachen, Köln, Trier und Augsburg sind kirchliche Arbeiten von ihr zu sehen. In den Kirchenräumen sind dies Altar, Ambo, Sakramentshaus, Taufbecken, sowie die Fußboden- und Wandgestaltungen. Auch im öffentlichen Raum befinden sich ihre bildhauerischen Arbeiten. In Kevelaer, neben der Marienkapelle, steht seit 2002 die Steinskulptur „Die Pilgergesellschaft“. Für die Stadt Herzogenrath hat Stefanie Weskott gemeinsam mit ihrem Mann 2004 das Mahnmal für die ermordeten und vertriebenen Juden geschaffen.

  • Endlich angekommen "Sie blickt hoffnungsvoll zur Stadt." Die Bildhauerin Stefanie Weskott erzählt die Geschichte zur Entstehung ihrer Steinskulptur
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  • Werkzeuge des Bildhauers - Schlägel und Meißel
  • Foto: Eberhard Kaufmann
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  • Erste Verwirklichungen der Idee im Model
  • Foto: Eberhard Kaufmann
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  • Teilnehmer des Bildhauer-Pleinair 1990 v.l. Tibor Szilagyi, Victor Koroljow, Igor Koslow, Frank Hüller, Peter Fiedler und Stefanie Weskott
  • Foto: Eberhard Kaufmann
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  • Elbsandstein
    Größe : 2.20 Meter
    Gearbeitet während des internationalen Bildhauerpleinairs 1990 in Naumburg von Stefanie Weskott / Aachen
  • Foto: Stefanie Weskott
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  • Stadt Herzogenrath - Mahnmal für die ermordeten und vertriebenen Juden
  • Foto: Stefanie Weskott
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4 Kommentare

Eine schöne Hintergrundinfo,Danke Peter für die interessante Geschichte !

Sehr interessant! Vielen Dank. Ich bin schon oft an diesem Kunstwerk vorbei gelaufen, ohne etwas über die Geschichte zu wissen. Man lernt eben NIE aus. Wäre es eine Idee, dieser namenlose Reisenden mit einer Inschrift eine Identität zu geben?

Super Beitrag und wunderschöne Bilder. Danke,Peter. LG Elena

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