Warum die Ingenieurbaukunst für die Gesellschaft so wichtig ist… und trotzdem kaum Beachtung findet
München/Nürnberg. Die Leistungen von Bauingenieuren für die Gesellschaft sind zwar unbestritten, in der Öffentlichkeit werden sie aber kaum wahrgenommen. „Die meisten Menschen, die ein Haus betreten, eine Treppe, einen Aufzug, oder durch einen Tunnel oder auf einer Straße fahren, machen sich keine Gedanken darüber, welche Ingenieurbaukunst dahinter steckt“, sagt Dr.-Ing. Heinrich Schroeter, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau in München.
Bauingenieure kennen diese Situation: Bei der Einweihung eines Bauprojektes beglückwünscht der Bürgermeister den Bauherren, die Baufirma und den Architekten. Der beteiligte Bauingenieur wird nicht genannt. Auch die Medien berichten selten über die Arbeit der Bauingenieure. Im Zusammenhang mit der Statik eines Bauwerkes sagt Schroeter: „Das liegt vielleicht auch daran, dass Zahlen und Formeln wenig sexy sind und sich nicht gerade für einen Radiobeitrag eignen.“ Ministerialdirektor Dipl.-Ing. Josef Poxleitner, Leiter der Obersten Baubehörde, räumt aber auch ein: „Dem typischen Bauingenieur fehlt mitunter auch die Neigung, sich mit den eigenen Leistungen öffentlich zu präsentieren.“
Zu Unrecht, findet Universitätsprofessor Dr.-Ing. Norbert Gebbeken, denn: „Alles was gebaut wird, haben Bauingenieure mit geplant.“ Die Bandbreite reicht vom Kraftwerk bis zur Formel-1-Rennstrecke, von der Kläranlage bis zum Stausee, von der Achterbahn bis zur Zugbrücke. Bekannte Bauten wie das Universum Science Center in Bremen, die Reichstagskuppel in Berlin, die Allianz Arena in München oder die Rügenbrücke in Stralsund wären ohne ihre kreativen Ideen nicht möglich gewesen. „Gelungene Ingenieurbauwerke geben Städten und Landschaften ihr unverwechselbares Gesicht. Sie sind identitätsstiftend“, sagt Dipl.-Ing. Univ. Helmut Schütz, Präsident der Autobahndirektion Nordbayern in Nürnberg.
Das Schattendasein, das Bauingenieure in der Öffentlichkeit führen, hängt auch mit der Vielseitigkeit des Berufes zusammen. Ähnlich wie bei Medizinern, die einen Chirurgen oder einen Anästhesisten kennen, zählen zu den Bauingenieuren unter anderem Tragwerksplaner, Statiker, Konstruktionsingenieure, Wasserbauer, Verkehrsplaner, Baustoffspezialisten und Vermessungsingenieure.
Vereinfacht ausgedrückt reißen zum Beispiel Geotechniker Löcher in der Erde, verrichten allerlei Tätigkeiten und anschließend verschwindet das Ganze unter einem – wie die Öffentlichkeit meint – Architekten-Bauwerk. „Keiner bleibt staunend vor einem Fundament stehen – weil man es nicht mehr sieht“, klagt ein Geotechniker. Ihn graust es, wenn im Fernsehen, wie kürzlich geschehen, in einem Krimi der Tatverdächtige als „Tunnel-Architekt“ vorgesellt wird.
Das Dilemma der Ingenieurbaukunst ist, dass sie immer erst bei Katastrophenfällen ins Licht der Öffentlichkeit rückt, wie etwa beim Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall oder des Kölner Stadtarchivs. Diese Fälle zeigen aber auch, was für eine hohe Verantwortung Bauingenieure tragen und verdeutlichen die Risiken, die sie eingehen, wenn sie sich auf Kompromisse einlassen, etwa bei Funktion und Kosten.
Auch wirtschaftlich spielen Bauingenieure eine große Rolle für die Gesellschaft: Nach Angaben des Verbandes der Beratenden Ingenieure (VBI) setzen die rund 58.000 Ingenieurunternehmen in Deutschland pro Jahr etwa 30 Milliarden Euro um. Sie verantworten Bauinvestitionen in Höhe von etwa 230 Milliarden Euro und sichern 300.000 hochqualifizierte Arbeitsplätze.
Eine Ausstellung in der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern (Franz-Josef-Strauß-Ring 4, München) macht nun auf die oft im Verborgenen liegenden Leistungen der Bauingenieure aufmerksam. Unter dem Titel „Bauingenieurkunst – Made in Germany“ bietet sie bis zum 20. Mai faszinierende Einblicke in das konstruktive Innenleben bekannter Bauwerke. Die Ausstellung ist von Montag bis Freitag von 8.00 Uhr bis 18.00 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist frei.
Internet: Bayerische Ingenieurekammer-Bau: www.bayika.de