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Zukunft ohne Wachstum?

"In times of universal deceit, speaking the truth is a revolutionary act." George Orwell

Joachim Jahnke: Infoportal Deutschland und Globalisierung

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Wochenbrief 197 vom 23. 01. 14

Liebe Wochenbriefempfänger/innen,

Heute möchte ich Ihnen relativ schwere Kost anbieten, vor allem - wie die Briten sagen - food for thought: Stehen wir vor einer Zukunft ohne Wirtschaftswachstum? Dem folgt - dazu passend - ein Rückblick auf das enttäuschende Jahr 2013.

global news wb197.341 23-01-14:

Eine Zukunft ohne Wirtschaftswachstum?

Nachdem ich mein Buch vom Untergang der Sozialen Marktwirtschaft geschrieben hatte, fiel mir eine Studie des amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Robert Gordon vom August 2012 unter dem Titel "Is U.S. ECONOMIC GROWTH OVER? FALTERING INNOVATION CONFRONTS THE SIX HEADWINDS" in die Hände. Sie geht der auch in meinem jüngsten Buch für Deutschland aufgezeigten dramatischen Verminderung des Wirtschaftswachstums seit den 70er Jahren nach.

Für Gordon ist das Wachstum von zwei Seiten gestoppt worden: Das Ausbleiben großer wachstum-generierender Innovationswellen, weil die wichtigsten Innovationen der letzten Jahrhunderte einmalig und nicht wiederholbar sind und weil ähnlich bahnbrechende Innovationen seit längerer Zeit nicht wahrzunehmen sind, und andererseits starke neue Gegenwinde, die das Wachstum weiter abbremsen.

Als den wichtigsten Gegenwind bezeichnet Gordon die wachsende Ungleichheit der Einkommen (bei uns ausgelöst durch den Abbau der Sozialen Marktwirtschaft). Er erwähnt zusätzlich das Ende der "demographischen Dividende" wachsender Bevölkerungen, die Auswirkungen der Globalisierung mit der lohndrückenden Konkurrenz von Billigstarbeit, die Grenzen in den Bildungssystemen, die Grenzen von der Umwelt her und die starke Verschuldung der Verbraucher. Gordon befürchtet, daß aus beiden Gründen der jährliche Zuwachs an Pro-Kopf-Verbrauch für die 99 % Normalverbraucher über eine Periode mehrerer Jahrzehnte unter 0,5 % fallen wird, also praktisch verschwinden wird.

Wirtschaftswachstum fällt kontinuierlich

Die Analyse der Gegenwinde liegt auf der Linie meiner eigenen Überlegungen zum Untergang der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland und kann das deutsche Bild mit den Erfahrungen in USA sehr gut ergänzen. Ich möchte daher auf Gordons Studie näher eingehen. Tatsächlich ist das Wirtschaftswachstum in allen entwickelten Volkswirtschaften und auch in deren größten (G7) in den letzten zwei Dekaden erheblich gefallen (Abb. 15837, 18776). Von der letzten 2008 ausgebrochenen Krise erholen sich die Volkswirtschaften nur sehr langsam und viel langsamer als je von einer größeren Krise zuvor. Noch deutlicher wird der Wachstumsrückgang, wenn man ihn mit der gesamten Entwicklung seit Ende des 19. Jahrhunderts vergleicht (Abb. 18774).

Daß die deutsche Bevölkerungsentwicklung im Rückgang begriffen ist, sich kostengünstig gelegene Rohstoffe immer mehr erschöpfen, die Grenzen der Umwelt sichtbar werden sowie bahnbrechende industrielle Revolutionen mit starken Wachstumsimpulsen selten geworden sind und schon deshalb die Wirtschaftsleistung zurückgehen muß, scheint in Deutschland fast vollkommen verdrängt zu werden. Es ist daher ein gespenstischer Tanz auf der Titanic, zu dem die Große Koalition und die Massenmedien derzeit einladen. Indem man den wackeren Deutschen die Not der Eurokrisenländer im Süden Europas und die noch größere Not der von Bürgerkriegen und Hungersnöten betroffenen Länder, aus denen die Flüchtlinge verzweifelt nach Europa strömen, tagtäglich vorführt, glauben sich Mehrheiten bei uns schon fast im Paradies.

Bundesdeutsche: Keine Sorge um die Zukunft

So schätzen denn nach einer neuen Umfrage von Infratest 79 % der Deutschen die wirtschaftliche Lage in Deutschland als sehr gut oder gut ein und machen sich offensichtlich auch um die Zukunft keine besonderen Sorgen.
Doch wie soll die Lage denn sehr gut sein, wenn auch die deutsche Wirtschaft gegen die Wachstumsgrenzen läuft? Hier ein bißchen Wasser von Robert Gordon auch in den deutschen Wein. Das enorme Wirtschaftswachstum seit 1750 beruht auf drei Wellen an industriellen Revolutionen.

Die Erste von 1750 bis 1830 brachte vor allem die Dampfmaschinen, die industriellen Baumwollspinnereien und die Eisenbahnen. Die zweite Welle in dem kurzen Zeitraum von 1879 bis 1900 war die wichtigste. Ihr verdanken wir die Elektrifizierung, den Verbrennungsmotor und das laufende Wasser mit der Inhausverrohrung und der sanitären Entwicklung. Die Effekte beider Wellen brauchten jeweils etwa 100 Jahre, um sich im praktischen Wirtschaftsprozeß voll durchzusetzen. So verwandelten in den zwei Dekaden von 1950 bis 1970 noch die Vorteile der zweiten Welle die Wirtschaft, einschließlich Airconditioning, Küchenmaschinen und Autobahnsystemen.

Hier kam es vor allem zur Befreiung der Frauen von schwerer Hausarbeit und damit für eigene berufliche Entwicklungen. Doch nach 1970 verlangsamte sich der Produktivitätszuwachs erheblich, zumal die Hauptentwicklungen aus den vorangegangenen zwei Wellen nun umgesetzt waren.

Die etwa 1960 einsetzende dritte Welle der Computer- und Internetrevolution erreichte ihren Höhepunkt in der dot.com-Periode gegen Ende der 90er Jahre. Aber in den vergangenen acht Jahren sind die produktivitätssteigernden Auswirkungen weggeschmolzen. Viele der repetitiven und langweiligen Büroarbeiten sind schon längst von Computern ersetzt worden. Seit 2000 konzentrieren sich die Erfindungen dieser Welle auf die Unterhaltungsindustrie und die Kommunikationsanlagen, die kleiner, smarter und leistungsfähiger werden, die Arbeitsproduktivität und den Lebensstandard aber längst nicht so verändern, wie es beispielsweise das elektrische Licht, die Kraftfahrzeuge oder die Inhausverrohrung getan haben.

Die Erfindungen der dritten Welle sind sehr viel schneller als die der beiden vorausgehenden umgesetzt worden und erschöpfen sich in ihren produktivitätssteigernden Wirkungen umso schneller. Vor allem können die bahnbrechenden Erfindungen nicht wiederholt werden. Markante Beispiele sind die Reisegeschwindigkeit, die Klimatisierung der Innenräume und die Urbanisierung selbst. Zusatz von mir: der Computer hat zudem mehr Arbeitsplätze vernichtet als neu geschaffen und damit die Arbeitslosigkeit in den Industrieländern befördert.

Natürlich werden die Vorteile aus den laufenden Innovationen nicht aufhören, doch sie werden sich verlangsamen, und zur selben Zeit werden die erwähnten Gegenwinde des Wachstums zunehmen. Im Ergebnis wird es für die großen Massen keinen wesentlichen Konsumzuwachs mehr geben. Soweit Gordon, der das auch grafisch bis zum Jahr 2100 als hypothetische Entwicklung darstellt (Abb. 18775). Die Zukunft war in der Vergangenheit. Viel Stoff zum Nachdenken!

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4 Kommentare

Die Frage ist halt - theoretisch und praktisch - : Braucht unsere derzeitige Wirtschaftsordnung permanentes Wachstum, ja oder nein?

Wenn ja, ist es nur eine Frage der Zeit, bis das jetzige System wegen Ressourcenknappheit kollabiert.

Wenn nein, was muss sich ändern gegenüber dem heutigen Zustand?

Spannende Fragen allemal.

Wenn Du die Frage plausibel beantworten kannst, hast du einen Doktortitel sicher.

> "Dein Hinweis auf den PC und die Vernichtung von Arbeitsplätzen kam mir erstmals als wir die "Schreibcomputer" bekamen. Auch in anderen Berufen übernahm die Maschine den Menschen. - Ich sehe es hier erstmals in der Landwirtschaft ganz deutlich. Dort wo früher die Menschen Rüben ernteten, fährt heute in riesiges Gefährt über den Acker."

Und? Die Menschen haben schon immer versucht, sich die Arbeit zu erleichtern und deshalb auch immer wieder solche Erfindungen gemacht. Das ist auch völlig ok. Blöd war und ist nur, dass der Mensch sich irgendwann einreden ließ, dass es moralisch böse sei oder gegen die Götter gerichtet wäre, sich Arbeit ersparen zu wollen.

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