Marburger Erlebnisgastronomie
Es ist schon seltsam, dass viele Wirte glauben, ihre Artgenossen schlichen, hungrigen Wölfen gleich, durch die Innenstädte – immer auf der Suche nach etwas Essbaren. Kein Wunder, dass Esslokale, die kaum den Namen Restaurant verdienen, wie Pilze aus dem Boden schießen. Die Qualität bleibt meist auf der Strecke. Da macht auch Marburg keine Ausnahme.
Denn liest man die Kritiken über Marburgs Gastronomie auf den einschlägigen Internetseiten, gewinnt man leicht den Eindruck einer falsch verstandenen Erlebnis-Gastronomie. Da wird das Warten, selbst auf einfache Gerichte zur Geduldsprobe, da nascht die Bedienung Pommes vom Gästeteller, den sie dann noch schmatzend serviert. Da putzt der Geschäftsführer Gäste, die kaltes Essen reklamieren, lautstark vor den anderen herunter, um nur einige und hoffentlich nur Einzelfälle zu nennen.
Wenn die Gäste dann ausbleiben, wird halt der Laden “renoviert“. Sie eröffnen, machen dicht, eröffnen wieder, mal mit Döner, mal mit Nudeln- Abwechslung muss sein. Die alte Lokomotive in dem markanten Gebäude am Tor zur Ketzerbach – fast schon ein Wahrzeichen von Marburg - ist leider ein typisches Beispiel dafür, dass diese Art von Lokalen, die wie Wanderpokale weitergereicht werden, im Prinzip keine Zukunft haben.
Doch nun tut sich wieder etwas in der Lokomotive. Nachdem fast ein Vierteljahr das Feuer unter dem Kessel erloschen war, hat man zumindest damit begonnen, die Fenster abzukleben und das Mobiliar abzutransportieren. Das schmeckt stark nach einem neuen Konzept mit Überraschung oder, vorsichtig ausgedrückt, nach einem anderen.
Vielleicht denkt man ja einmal an die Gäste, die keinen Bock haben, die meist langweiligen Speisekarten zu studieren, sondern einfach nur etwas trinken möchten. Allein mit einer Zeitung oder mit Freunden, um die anstehenden politischen Fragen zu erörtern. Und die dazu bestenfalls dabei ein paar kleine Gaumenkitzler naschen wollen.
Ist das denn so schwer? Wohl kaum, denn es wird immerhin auch von Gästen berichtet, die rundum mit den Leistungen zufrieden waren.
Carlos, absolut richtig! Doch alle Dinge haben bekanntlich zwei Seiten - besonders in Marburg. Ich hätte es nie gewagt, dort einen gastronomischen Betrieb für die "Geiz-ist-Geil"-Klientel zu eröffnen. Damit meine ich nicht Schaschlik oder Currywurst, die ich auch liebte und schätzte, solange sie so gut waren wie bei Taschner oder im "Biertunnel" unterm "Scotch".
Hier nur ein Beispiel von vielen mit Kundschaft aus MR: Vor einiger Zeit trafen wir bei einem Spaziergang auf der Uferpromenade von L.A. (Las Americas) ein Marburger Ehepaar (nein, nicht Wim). Sie empfahlen uns, doch mit ihnen in einem Touristenlokal zu Abend zu essen. Dort esse man sehr gut - leise Anmerkung: (weil billig). Ich äußerte aus Erfahrung mit derartigen Empfehlungen berechtigte Zweifel, doch wir gingen (der Gesellschaft wegen) mit. Ergebnis: undefinierbarer Matsch auf allen Tellern und meine Lasagne schwamm frisch mikrowellenbehandelt in ungewürztem Tomatenpurree frisch aus der Büchse. Die Gäste aus MR putzten die Teller (denn man muss ja bezahlen). Übrigens: der Service seitens der unterbezahlten Kellner war sehr gut, was mit einem angemessenen Trinkgeld belohnt wurde. Die höfliche Frage nach unserer Zufriedenheit wurde angemessen negativ beantwortet.
Warum ich das hier schreibe: Zu viele Konsumenten essen Alles, so lange es nur billig ist - und finden es auch noch empfehlenswert gut!
Ich weiß, Carlos, dass du nicht zu jener Klientel zählst, aber solche anspruchslosen, geizigen Kunden verderben eben die Wirte und damit die Szene.
Ergo: Marburg kann keine lukullische Hochburg mangels adäquater Klientel werden. Dort sind Wirte mutige Kamikaze. Und wenn man zu Ende denkt, dann läßt der deutsche Geiz die Menschen in den Entwicklungsländern verhungern.