Amokläufer verfolgen keine politischen Ziele
Für die meisten Bundesdeutschen ist klar: Die jüngste Serie von Anschlägen und Selbstmordattentaten in den USA und in Europa ist das Werk von durchgeknallten religiösen Fundamentalisten, die "uns", der westlichen Welt, den Krieg erklärt haben. Koordiniert und gesteuert werden diese Anschläge derzeit von der Terrormiliz IS in der Nachfolge von Osama bin Laden und Al Quaida. Daher ist die einzige mögliche Antwort "Krieg gegen den Terror".
Aber: Stimmt diese Sichtweise?
Sind diese Anschläge tatsächlich religiös motiviert? Sind sie der sichtbare Ausdruck des "Kampfes der Kulturen" (The Clash of Civilizations, Huntington)? Oder stecken hinter dem Phänomen ganz andere Mechanismen, die "wir im Westen" nicht sehen wollen und die vom IS in perfider Art instrumentalisiert und ausgenutzt werden. Was sind die tiefer liegenden Ursachen für das wachsende Ausmaß des weltweiten Terrors? Welche Wirkungen hat die mediale Berichterstattung auf Nachahmer und Trittbrettfahrer?
Der nachstehende Beitrag ist auf dem Internetportal "infosperber" am 24. Juli 2016 erschienen.
Urs P. Gasche: Der Medien-Hype über Amokläufe ermuntere Nachahmer zu ähnlichen, unkalkulierbaren Taten, sagt ein Basler Forschungsinstitut.
Gegen die «Terror-Hysterie» wendet sich das «Basler Institut für Gemeingüter und Wirtschaftsforschung» mit einer Stellungnahme an die Öffentlichkeit:
Nachdem in zahlreichen Medien und auch von Politikern der Amoklauf in Nizza [und anfänglich auch der Amoklauf in München] in Verbindung mit ISIS und militantem Islamismus gebracht wurde – so forderte etwa im Deutschlandfunk Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) als Reaktion eine stärkere Sicherung der EU Aussengrenzen und eine Verbesserung der Geheimdiensttätigkeit, Europa-Parlamentarier Cohn-Bendit forderte die Eroberung von Raqqa – möchten wir folgende Punkte feststellen:
1) Die zahlreichen Amokläufe von europäischen und US-Bürgern in den USA, Frankreich und Belgien sind keine Taten eines ‚internationalen Terrorismus‘, sondern Einzeltaten ohne eine konkrete politische Forderung oder ein politisches Ziel.
2) Die undifferenzierte Berichterstattung der Medien über den Islam als ‚islamistische Gewaltreligion‘ führt zu Identifikations- und Solidarisierungseffekten auch bei bisher unpolitischen und nicht religiösen Menschen.
3) Amokläufe von bisher politisch und strafrechtlich nicht in Erscheinung getretenen Einzeltätern können durch Polizei, Sicherheitsdienste und Militär nicht verhindert werden. In Israel bzw. Palästina griff etwa eine Hausfrau einen israelischen Soldaten mit dem Messer an.
4) Die Erhebung von tragischen Amokläufen zu politischen Taten mit der entsprechenden Medienaufmerksamkeit ermuntert Nachahmer zu ähnlichen Taten, deren Ort, Zeitpunkt und Mittel völlig unkalkulierbar sind.
5) Die Bezeichnung dieser Amokläufe als Taten eines ‚internationalen Terrorismus‘ behindert die politische Lösung der Konflikte in den Kriegsgebieten, indem Konfliktparteien pauschal als ‚Terroristen‘ ausgegrenzt und nicht am politischen Friedensprozess beteiligt werden.
6) Die einseitige Reduzierung von individuellen Gewalttaten auf die Frage der Sicherheit und Überwachung in Europa täuscht darüber hinweg, dass der Grossteil politisch motivierter Gewalttaten in den Konfliktgebieten nicht von Einzeltätern, sondern von staatlichen bzw. staatlich unterstützten Gruppen begangen wird.
7) Zur Durchsetzung von UN SDG Nummer 16 – Frieden – ist deshalb jede Form des Gewalteinsatzes zur Lösung politischer Konflikte abzulehnen, also auch die Bomben- und Drohnenangriffe durch staatliche Akteure.
8) Insofern individuelle Einzeltaten politisch oder religiös begründet werden, ist diese Begründung – so im Prozess gegen den norwegischen Amokläufer Anders Breivik – im Ermittlungsverfahren zu hinterfragen.
9) Die französische Regierung kann die Sicherheit nur dadurch erhöhen, dass sie alle gesellschaftlichen, ethnischen und sozialen Gruppen in eine Gemeinschaftsregierung einbindet, in der das zur Erreichung von Frieden und Stabilität notwendige Sozialkapital geschaffen wird [das Gleiche gilt für andere Länder].
Weitere Beiträge zum Nachdenken und Nachlesen:
Götz Eisenberg: »Von Orlando bis München: Amok oder Terror?«
Urs P. Gasche: Unverantwortliche Angstmacherei mit «Terror»
Jakob Augstein in Spiegel-online: «Wir sind der Gegner»
Stefan Schaer: «Selektive Empathie und Kriegstreiberei»
Erich Gysling: «Sind wir dem Terror ausgeliefert»
Heiner Flassbeck: «Der Tod in Paris und unsere Schuld»
Heiner Flassbeck: «Brüssel und die reflexartigen Fehler der Politik»
Jean Feyder: «Die Anschläge in Paris: Wie ist der Islamische Staat entstanden?»
»Was Journalisten vermuten, die Zeit überbrücken müssen und sich deshalb in ihrer Hilflosigkeit zu dieser oder jener Spekulation hinreißen lassen, ist im Nachhinein völlig irrelevant.«
So blauäugig bist Du nicht. Das nehme ich Dir nicht ab. Über Stunden wird von islamistischen Anschlägen (ja im Plural) geredet und du glaubst das hinterlässt keine Spuren? Wo blieb denn die stundenlange Richtigstellung? Hab ich nicht gesehen.
Jeder Hinweis auf den IS wird begierig aufgenommen und weiter verbreitet. Ob da jemand ein Video zur Überhöhung seines Abgangs gedreht hat, oder tatsächlich ein IS-Kämpfer ist, egal. Der IS nimmt es gerne, weil es seine Reichweite erhöht. Und das ZDF nimmt es gerne, weil es so schön in das "Wir" gegen "Die" passt. Aufklärung geht anders.