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ABENTEUERSPIELPLATZ MARBURG IN DEN 40-ERN

Teneriffa. Wenn einer eine Reise tut – und sei es nur in die Stadt seiner Kindheit – dann kann er viel erzählen, denn herrliche Erinnerungen werden beim Spaziergang durch Marburg wach.

Ende der Vierziger Jahre war das zum Teil zerbombte Nordviertel Marburgs ein faszinierender Abenteuerspielplatz für uns unterernährte, rachitische Kinder. Wir schlichen uns auf die verschiedenen Trümmergrundstücke, um Räuber und Gendarm zu spielen oder in den Überbleibseln der zerbombten Haushalte zu wühlen, Bleirohre abzumontieren, Dachrinnen zu klauen oder Lumpen und Papier zu sammeln. Damit besserten wir unser klägliches oder gar nicht vorhandenes Taschengeld beim Schrotthändler in Weidenhausen auf. Klar war das alles verboten, doch wir fanden immer wieder Mittel und Wege, um neue Abenteuer in dieser langweiligen Universitätsstadt zu suchen und zu bestehen.

Ausser den bereits erwähnten Trümmergrundstücken gab es noch zwei wunderbare Spielplätze, die allerdings nicht Ergebnis des Bombenkrieges waren. Zum einen war da der Botanische Garten am Pilgrimstein mit seinem Wegelabyrinth und unzähligen Verstecken in Trauerweide, Trauerbuche, Alpinum und Gewächshäusern, wovon das größte allerdings auch durch den Krieg zerstört war. Und zweitens waren da noch die verschiedenen Mühlgräben zwischen Wehrdaer Weg und Weidenhausen mit dem zentralen Kindertreffpunkt “Inselchen” hinter der Elisabethkirche, wo noch heute der Marbach in den Mühlgraben mündet. Dort bemühte sich die vereinte “Marburger Rasselbande” viele sonnendurchglühte Sommernachmittage redlich, um den Marbach kurz vor seiner Mündung so hoch zu stauen, dass sein Wasser gezwungen wurde, quer über die “Insel” zu fluten. Quer durch die Insel wühlten wir einen Graben, um dem Wasser “unsere” neue Richtung zu geben. Welch glänzende Siege fochten wir gegen die Naturgewalten und welch Geschrei brach los, wenn unsere Ingenieurskunst Erfolg hatte!

Das Wasser der Lahn im allgemeinen und seine verschiedenen Wehre, Schleusen und Mühlgräben im speziellen hatten vor allem im Sommer eine besondere Anziehungskraft auf uns Kinder. Hängen gebliebenes Treibgut auf den glitschigen Wehren ließ uns keine Ruhe, bis wir es unter selbstlosem Einsatz, der oft mit einem erfrischenden Bad endete,“befreit” hatten. Die Schleusen zu den Gräben waren grundsätzlich so eingestellt, wie wir Kinder es gerade nicht wollten, sodass wir auch hier – mit mäßigem Erfolg - versuchten, Abhilfe zu schaffen, und schließlich träumten wir alle davon, einmal Seeräuber zu werden – und sei es nur auf einem selbstgebastelten Floß auf Marburgs Mühlgräben. Also her mit ein paar leeren Ölfässern heran gerollt vom “Amidepot” an der Landstraße nach Cölbe und Brettern von einer der vielen Marburger Baustellen. Die Trauerweide auf dem “Inselchen” bot Sichtschutz gegen allzu neugierige Augen der Passanten. Wenn gehämmert und gesägt wurde, mußten zwei Spielkameraden “Schmiere stehen”, damit unsere Kreativität nicht von phantasielosen Erwachsenen eingeschränkt oder gar verboten wurde.

Nach der zünftigen Taufe unseres Piratenschiffes (der Name fällt mir nicht mehr ein) mit einem von unseren Vätern gestohlenen Schnaps und einem vielhändig geschobenen Stapellauf, verweigerte unser Floß zunächst den Dienst, weil zwanzig Kinder gleichzeitig versuchten, eine Kaperfahrt anzutreten. Egal – dabei sein war Alles und wer keinen Platz wegen Überfüllung und Kentergefahr des Seeräuberschiffes fand, trat die Reise im Wasser an und hielt sich am Floß fest, auf dem natürlich ein ständiges Kommen und Gehen herrschte.

Schon bald war die Sensation des neuen Spielzeugs verflogen und die Spreu trennte sich vom Weizen. Übrig blieb eine eingeschworene Seeräuberbande unter der Leitung von Klaus Störtebeker, die fortan alle Mühlgräben Marburgs unsicher machte. Es kam, wie es kommen musste: eines Tages hatte eine andere “Bande” (wahrscheinlich die “Dalleser” aus Weidenhausen oder der Knutzbach) unser schönes Piratenschiff in seine Einzelteile zerlegt und die wertvollen Schwimmkörper (Ölfässer) auf nimmer wiedersehen verschwinden lassen. Doch unsere Piratenbande bestand weiter – auch ohne das zerstörte Floß, denn neue Abenteuer winkten schon in den vielen unterirdischen Gängen Marburgs. Doch das ist eine andere Geschichte.

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20 Kommentare

Mir gefällt wie Du Deine Kindheitserinnerungen hier aufgeführt hast.

Ingeborg, irgendwie schwebt diese Kindheit zwischen spielen und dem dauernden
Umgang mit der Gefahr. Ein Teil der Eltern (99 % der Vater) war noch weg und die Mutter hat die Familie ernährt. Die Wälder waren mit weggeworfener Munition übersäht und das, wir das heute als Abenteuer darstellen, ist vielleicht auch ein wenig ein Verdrängungsmechanismus. Wir haben es alle überlebt und das ist für uns heute gut so. Es hätte auch mal eine leichtsinnig gezündete Patrone wo anders landen können als geplant.

Kurt, der Gedanke des Verdrängungsmechanismus ist gar nicht mal so abwegig.

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