Was ist gemeinnützig?
Solidarität mit Attac
Zum vom Bundesfinanzhof am 27.02.2019 bekanntgegebenen Urteil zur Gemeinnützigkeit von Attac erklärt der Vorsitzende der NaturFreunde Deutschlands, Michael Müller:
„Wir NaturFreunde üben massive Kritik an einem möglichen Entzug der Gemeinnützigkeit von Attac, einer Vereinigung der Bürgerinnen und Bürger, die für ein gerechtes Steuersystem kämpfen. Heißt das etwa umgekehrt, die Gelddealer und Spekulanten, die mit ihren riskanten Tricks 2008 die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds geführt haben, arbeiteten im Interesse des Gemeinwesens? Wenn eine Vereinigung sich für mehr Demokratie einsetzt, geht das den Richter*innen des Bundesfinanzhofs dagegen zu weit? Das ist schwer nachzuvollziehen. Attac fehlende „geistige Offenheit“ vorzuwerfen, ist absurd. Das Gericht greift die Demokratie an, wir müssen uns gemeinsam dagegen wehren.
Der Bundesfinanzhof hat unserem Gemeinwesen einen schlechten Dienst erwiesen. Die Globalisierungskritik gehört zur Demokratie. Die Finanzgerichte sollten sich mit den Spekulanten und ihren dubiosen Methoden beschäftigen, statt unbequeme Kritik abzuwürgen. Es scheint aber Methode zu werden, Kritiker mundtot zu machen. Nichts anderes passiert auch bei der Deutschen Umwelthilfe, die den Dieselskandal aufgedeckt hat. In dem Fall will die Union der DUH die Gemeinnützigkeit entziehen.
Die NaturFreunde rufen die neuen sozialen Bewegungen auf: dagegenhalten, wachsam sein, die Demokratie braucht den kritischen Geist. Das ist gemeinnützig!“
NaturFreunde für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht!
Einstimmiger Beschluss des NaturFreunde-Bundesausschusses vom 16. März 2019 fordert Rechtssicherheit für zivilgesellschaftliche Organisationen:
Der Bundesausschuss begrüßt die vom Bundesvorsitzenden Michael Müller erklärte „Solidarität mit Attac“ nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs, das deren Gemeinnützigkeit in Frage stellt. Die Urteilsgründe sind hochproblematisch, fordern sie doch, dass eine gemeinnützige politische Bildung neutral sein muss.
Die NaturFreunde verstehen politische Bildung wertegebunden und dem Ziel der Nachhaltigkeit, der sozialen Gerechtigkeit, dem Frieden und der Demokratie verpflichtet. Politische Bildung, die konkret auf die Erreichung dieser Ziele ausgerichtet ist, ist gemeinnützig, weil sie dem Gemeinwohl dient.
In enger Zusammenarbeit mit anderen gemeinnützigen Organisationen setzen wir uns für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht ein. Über unsere Mitgliedschaft im DNR sind wir NaturFreunde Mitglied in der „Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ und wir bekräftigen anlässlich des Urteils des Bundesfinanzhofs in Sachen Attac die gemeinsamen Forderungen:
• Der Bundesminister der Finanzen soll die Rechtssicherheit für zivilgesellschaftliche Organisationen deutlich erhöhen, indem er den Anwendungserlass zur Abgabenordnung dahingehend ändert, dass eine mit einer gemeinnützigen Tätigkeit verbundene politische Tätigkeit generell unschädlich für die Gemeinnützigkeit ist.
• Außerdem fordern wir vom Deutschen Bundestag eine Änderung der Abgabenordnung. So soll es künftig ebenfalls gemeinnützig sein, wenn die Tätigkeit einer Organisation darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf demokratischem Gebiet selbstlos zu fördern.
• Die Liste der in §52 genannten Themen gemeinnütziger Tätigkeit soll erweitert werden um: Förderung der Wahrnehmung und Verwirklichung von Grundrechten, Frieden, soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz, informationelle Selbstbestimmung, Menschenrechte und Gleichstellung der Geschlechter.
Begründung:
Die Abgabenordnung und der Anwendungserlass sind mehrdeutig. Deshalb haben die Finanz-ämter einen großen Interpretationsspielraum. Für Organisationen ist schlecht vorhersehbar, ob und wann ihre politischen Aktivitäten ihren Status der Gemeinnützigkeit gefährden. Sie sind von den in der Praxis sehr unterschiedlichen Auslegungen ihres lokalen Finanzamtes abhängig.
Diese Unsicherheit wird noch verstärkt, da die Bescheide der Finanzämter nur „unter dem Vorbehalt der Nachprüfung“ ergehen. Ändert sich die Einschätzung im Finanzamt, kann die Gemeinnützigkeit mit Wirkung für die letzten zehn Jahre entzogen werden. Es drohen die Nachversteuerung der Einnahmen und die Spendenhaftung – und damit Nachzahlungen, die ein Vielfaches des Jahresbudgets der jeweiligen Organisation betragen können. Das ist existenzbedrohend.
Die Zivilgesellschaft ist unverzichtbarer Bestandteil unseres Gemeinwesens. Politische Willensbildung ist – auch wegen der nachlassenden Integrationskraft der Parteien – nicht deren exklusive Domäne, sie findet vielmehr notwendig auf allen Ebenen der Zivilgesell-schaft statt.
Politisch aktive Organisationen decken Missstände auf, bieten Dienstleistungen an, organisie¬ren Selbsthilfe und Solidarität und mobilisieren wo nötig auch politischen Protest als Motor für demokratische Veränderungen. Sie vermitteln zwischen Staat und Bürger*innen und tragen einen wichtigen Teil zur demokratischen Teilhabe jenseits von Wahlen bei.
Zivilgesellschaftliche Organisationen werden vom Staat aufgefordert, sich an der politischen Willensbildung zu beteiligen, etwa durch Einladungen von Umweltverbänden ins Umwelt-ministerium oder bei runden Tischen vor Ort von Parteien, Stadtverwaltung und Organisationen. Immer, wenn dieses politische Engagement selbstlos die Allgemeinheit fördert, muss sich das auch in der steuerlichen Behandlung niederschlagen.
Viele gemeinnützige Zwecke lassen sich umfassend und effektiv nur durch die Beeinflussung der politischen Willensbildung erreichen. Da es hier auch um die Verwirklichung von Grund-rechten wie Meinungsfreiheit (Art. 5), Versamm¬lungsfreiheit (Art. 8), Recht auf informatio-nelle Selbstbestimmung (Art. 2) geht, för¬dert diese Arbeit fraglos die Allgemeinheit. Gemein¬nützige Organisationen fördern die Demokratie, wenn sie Menschen bei der Wahrnehmung ihrer Grundrechte unterstützen.
Eine gemeinnützige Organisation, die solche Zwecke verfolgt, kann Politik nicht nur nebenbei betreiben. Sie ist politisch und darf es sein, solange ihre Mittel und Ziele mit den Grundsätzen eines demokratischen Staatswesens, mit Respekt vor anderen Auffassungen, mit Gewaltfreiheit und mit dem Grundgesetz vereinbar sind und sie nicht Politik im Interesse nur einer politischen Partei macht.
Es braucht ein Gemeinnützigkeitsrecht, das der modernen Zivilgesellschaft und ihrer gesellschaftlichen und politischen Rolle Rechnung trägt.
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