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„The Bomber´s Baedeker“ - Marburg als Ziel von Luftangriffen

„The Bomber´s Baedeker“ dokumentiert: Marburg war im 2. Weltkrieg nur nachrangiges Ziel für Luftangriffe der Royal Air Force 

Die Thematik „Marburg im 2. Weltkrieg“ ist bisher noch nicht annähernd so ausführlich dargestellt wie es die Geschichte verdient. Es gibt keine Dokumentationen. Vor über drei Jahren hatte ich begonnen, eine aus den im Stadtarchiv vorliegenden Akten eine Zusammenstellung zu „Marburg im 2. Weltkrieg“ zu verfassen und in Teilen zu veröffentlichen. Dies geschah erstmalig am 8. August 2016 unter der Überschrift: „Vor 75 Jahren wurde es im 2. Weltkrieg für die Bevölkerung von Marburg Ernst mit dem Schutz vor Luftangriffen“. Immerhin hat diese kurze Zusammenstellung bisher 4741 Leser gefunden.

Nach einer Pause von zwei Jahren, die Pause war durch persönliche Umstände bedingt, habe ich weitere Forschungen und Hintergrundgespräche geführt. Jetzt habe ich mich entschlossen, eine ausführliche Dokumentation einschließlich der Veröffentlichung meines inzwischen angesammelten umfangreichen Fotomaterial in einem neuen Band meiner „Kleinen Reihe von Marburg“ zu veröffentlichen: Band 9 „Der 2. Weltkrieg in Marburg“. Dies wird allerdings insgesamt nicht vor Jahresende 2019 möglich sein.

https://www.myheimat.de/marburg/politik/vor-75-jah...

Da ich mit der o. a. großen Leserzahl des Berichts aus dem Jahr 2016 ein großes Interesse an Informationen zur Geschichte Marburgs im 2. Weltkrieg feststellen konnte, habe ich mich entschlossen, wieder vorab mit diesem Bericht einen mir jetzt zugänglich gewordenen Teil der Marburger Kriegsgeschichte darzubieten.

Es geht um die Einordnung von Marburg als Ziel von Luftangriffen der britischen Royal Air Force. Seit kurzer Zeit ist eine umfangreiche Aufstellung der in den Kriegsjahren in England aufgestellten Zielliste von Luftangriffen auf das Deutsche Reich im Internet zugänglich. Gelungen ist dies durch die Veröffentlichung durch das Leibnitz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz. In der „The Bomber´s Baedeker“ genannten Aufstellung wurden anfangs 392 deutsche Städte über 15.000 Einwohner aufgenommen. Die zweite Auflage von 1944 umfasste alle Orte von über 1.000 Einwohnern, sofern dort mutmaßlich kriegswichtige Ziele vorhanden waren (zuletzt 518 Gemeinden).

Für die einzelnen dargestellten Ziele, detailliert aufgeführt auf insgesamt mehr als 800 Blättern, waren die jeweiligen Objekte eingeteilt mit einer Skala von 1+, 1, 2, 3 und -.

1+ bedeutete die Kategorie „Besonders kriegswichtige Anlagen“. Sie sollten von entscheidender Bedeutung für die deutsche Kriegsführung sein. In Kategorie 3 eingeteilt waren Anlagen von denen man annahm, dass sie nur eine relativ kleine Bedeutung für die deutsche Kriegsführung hätten. Kategorie „-“ war vorgesehen für Ziele, die als unbedeutend eingeordnet wurden.

Die Darstellung von Marburg

Für Marburg enthält die Liste der kriegswichtigen Ziele von „The Bomber´s Baedeker“zwei mögliche Ziele.

A) Als erstes aufgeführt in der Kategorie „Transportation“ ist die Werkstätte für Reichsbahnanlagen. Die Werkstätte ist jedoch lediglich eingeteilt in Stufe 3.

„There are medium-sized repair shops undertakting the repair of goods wagons.“

Übersetzung: Es gibt mittelgroße Reparaturanlagen, welche die Reparatur von Güterwagen übernehmen.

B) Als wichtiger wurde eingestuft unter „Chemicals and Explosives“ die I. G. Farbenindustrie in der Marbach. Die Werke wurden zugeordnet der Stufe 2.

„The „Behring-Werke“ of the I. G. Farben combine are in the suburb of Marbach on the Northern outskirts oft he town. These works are among the leading makers of serum and produce in addition pharmaceuticals and medical products, as well as dyes and heavy chemicals.“

Übersetzung: Die „Behring-Werke“ der I. G. Farben befinden sich im Vorort Marbach am nördlichen Rand der Stadt. Sie gehören zu den führenden Herstellern von Serum und produzieren zusätzlich pharmazeutische und medizinische Produkte ebenso Farbstoffe und Kampfstoffe.

In der Katalogisierung der mehreren Hundert kriegswichtigen Ziele wird Marburg exakt – wie alle anderen aufgeführten Städte - eingeordnet:

Marburg (Hesse Nassau)
50° 50´ N, 8° 45´ E: 390 miles, (29,000)

(Die letzteren Angaben betreffen die Entfernung von England sowie die Einwohnerzahl der Stadt)

Vorgestellt wird Marburg in einer kurzen Beschreibung als an der Hauptlinie von Kassel nach Frankfurt/Main liegend, ungefähr auf der Hälfte der Strecke [gemeint ist offensichtlich die Main-Weser-Bahnstrecke]. Marburg sei Universitätsstadt, ihre Aktivitäten seine vor allem verbunden mit der Landwirtschaft und kleinerer Industriebetriebe. Hingewiesen wird auf eine Tapetenfabrikation.


Kurze Einordnung und Vergleiche

Die für die Royal Air Force beschriebenen kriegswirtschaftlichen Ziele im Deutschen Reich sind im Verlauf des Krieges nicht unbedingt vorrangig angegriffen worden. Vor allem der berühmt berüchtigte Fliegergeneral Harris hatte sich oft über die angegebenen Ziele von „The Bomber´s Baedeker“ hinweggesetzt. Statt Industrieanlagen waren ihm Innenstädte mit möglichst viel Verlusten an Menschenleben, vor allem in Arbeitervierteln, wichtiger. Dazu sind Briefwechsel mit Auseinandersetzungen der Entscheider in London belegt.

Marburg wurde mit größeren Angriffen im Februar 1944 und Februar 1945 und im darauffolgenden März belegt. In der Zeit davor herrschte relative Ruhe. Zum Glück war Marburg kein Ziel der Royal Air Force unter Fliegergenaral Harris. Die Angriffe auf Marburg in den Jahren 1944 und 1945 wurden von amerikanischen Bomberkommandos unternommen.

Allendorf (Kreis Marburg), heute Stadtallendorf

Gänzlich unberührt von Luftangriffen war Stadtallendorf, damals Allendorf. Zu diesem Dorf gibt es in „The Bomber´s Baedeker“ wesentlich detailliertere Angaben zu den dort festgestellten Werken als für Marburg. Früher sei Allendorf ein kleines Dorf gewesen. Aber Berichte besagten, dass das Dorf kürzlich größer geworden sei. Angegeben wird für Allendorf eine Einwohnerzahl von 20.500. Wie die Engländer in „The Bomber´s Baedeker“ auf diese Einwohnerzahl für das Dorf Allendorf gekommen sind, ist nicht ersichtlich.

Beschrieben werden Informationsquellen von vor Ort und von Luftaufnahmen aus dem Jahr 1941. Die Werke gehörten zur Dynamit A. G. Sie werden eingeordnet in Kategorie 2. Es fehlen gänzlich Angaben zur WASAG. Dargelegt wird, dass sich die Anlagen zu außergewöhnlicher Größe entwickelt hätten, verbunden mit einer Vielfalt von Aktivitäten. Berichte aus den Jahren 1942 und 1943, zuletzt im September 1943 („in view of the number of such reports“), hätten Hinweise auf eine bemerkenswert große Sprengstofffabrik ergeben. Jedoch wird festgestellt, dass für die östlich des Dorfes gelegene Anlage keine Schätzung der vorhandenen Kapazität möglich sei. („In view of the number of such reports, it must be assured that a very considerable powder factory now exists at this side, but it is not possible to give an estimate of its capacity.“) 

In diesem letzten Satz aus den längeren Darstellungen zu Allendorf dürfte die Erklärung dafür gefunden sein, dass die Anlagen in Allendorf während des gesamten 2. Weltkriegs nicht bombardiert wurden.

Gießen

In Gießen wurde im Dezember 1944 durch Angriffe der Royal Air Force die gesamte Innenstadt zerstört, ein Feuersturm machte 30.000 Bürger obdachlos, etwa tausend Bewohner starben in den Angriffen. Der wichtige Bahnhof und die Militäranlagen (Kasernen) bleiben nahezu unbeschädigt.

In der Aufstellung von „The Bomber´s Baedeker“ wird der Stadt nur eine halbe Seite gewidmet. Aufgeführt ist kurz der Verschiebebahnhof (Railway Marshalling Yards) aufgeführt, der eine Kapazität von Zusammenstellung von 2.000 Waggons pro Tag haben soll (festgestellt für das Jahr 1937). Genannt ist zudem die Firma Schunk & Ebe. Hier seien 300 bis 400 Arbeiter beschäftigt zur Herstellung von Kohlebürsten („Carbon brushes and holders“). Weiterhin ist die Gummiwarenfabrik Poppe & Co. genannt als Hersteller von Gummireifen mit ebenfalls 300 bis 400 Beschäftigten. Alle drei Aufgeführten sind katalogisiert in der untersten Gruppe 3.

Daraus kann geschlossen werden, dass es – wie oft angenommen – der Royal Air Force überhaupt nicht darauf ankam, den Bahnhof oder andere Anlagen in Gießen zu treffen. Ziel des Angriffs auf Gießen war von vorneherein offensichtlich die Innenstadt von Gießen mit ihren Bewohnern und nicht die nachrangig und als wenig kriegswichtig eingestuften Industrieanlagen bzw. der Bahnhof.

Zur Bezeichnung „The Bomber´s Baedeker“

Die Verwendung des Begriffs „Baedeker“ für die Liste von Zielen der Bombardierung von Städten im Deutschen Reich wird mehrmals als zynisch bezeichnet. Karl Baedeker hatte 1832 im später gleichnamigen Verlag die touristischen Ziele in Städten  von allen möglichen Ländern aufgezeichnet. Baedeker war DER Reiseführer für lange Jahrzehnte und mit Sicherheit auch in England bekannt. Es kann angenommen werden, dass die Verfasser des „The Bomber´s Baedeker“ das weltweit benutzte Buch kannten und benutzt hatten. Vielleicht wollten sie nicht unbedingt nur einen negativen Gegenpart zu Karl Baedeker erstellen. Dass sie sich aus Baedekers Werk mit den allgemeinen Informationen zu den Städten bedient hatten, kann als sehr wahrscheinlich angenommen werden. Die allgemeinen Informationen zu den Städten haben keinen negativen Anstrich. Im Anschluss daran waren jedoch ausschließlich Ziele zur Bombardierung aufgeführt, keine touristischen Ziele.

  • The Bomber´s Baedeker: Eintrag zu Allendorf/Stadtallendorf
  • hochgeladen von Karl-Heinz Gimbel
  • Bild 3 / 3

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11 Kommentare

Hallo Heinrich,

vielen Dank für den Hinweis. Leider konnte ich beim treffen von myheimat bei Wilhelm nicht dabei sein. Ich war nicht in Marburg an dem Tag.

Aber sehr oft habe ich mich mit Wilhelm unterhalten - und mit seiner Schwester. Die Berichte von Hellmut Klingelhöfer, leider kürzlich verstorben, beide Klingelhöfers sind an Geschichte sehr interessiert, werden in meinem Buch zum 2. Weltkrieg in Marburg einfließen.

Umfangreiche Informationen über die Allendorfer Sprengstoffwerke erhält man im Buch von Dipl. Ing. Hans Jürgen Wolff, das vom Magistrat der Stadt Stadtallendorf herausgegeben wurde. "Die Allendorfer Sprengstoffwerke DAG und WASAG" aus dem Jahr 1989.
Wer das Thema vertiefen möchte, sollte sich dieses Buch besorgen.

Ab Seite 202 behandelt Hans Jürgen Wolff die Frage "Was wußten die Alliierten?" U.a. zitiert er auf Seite 206 aus The Bombers Baedecker und geht im weiteren der Frage nach, warum die Werke nicht bombadiert wurden.

Die Allendorfer Werke wurden von den Engländern 1944 luftbildtechnisch genauestens erfaßt.

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