Macron als höchstes Stadium der Post-Politik
In einem Debattenbeitrag in der Pariser Tageszeitung Le Monde wirft die belgische Politologin Chantal Mouffe[*] dem französischen Präsidenten Macron vor, in perfekter Art und Weise eine Politik zu verkörpern, die Debatten dadurch verhindert, dass sie jede Opposition zu Extremisten abstempelt – um ihr eigenes liberales Gedankengut durchzusetzen. Gerhard Kilper hat den überaus interessanten Beitrag für die NachDenkSeiten ins Deutsche übersetzt.
Seit der Wahl Emmanuel Macrons ins Präsidentenamt überbieten sich die Medien in Bewunderung vor der „originellen Neuartigkeit“ seines Programmes. Durch die Überwindung der Spaltung in „links“ und „rechts“ stelle sein Programm die Lösung für die ewig bestehenden Blockaden der französischen Gesellschaft dar. Seine „La République en marche“ sei Träger einer demokratischen Revolution, die die ganze Energie der progressiven Kräfte – bisher von den traditionellen Parteien gebremst – zur Entfaltung zu bringen in der Lage sei.
Es ist gleichwohl ziemlich paradox, als Heilmittel einer die westlichen Demokratien heimsuchenden tiefgehenden Repräsentationskrise genau die Art von Politik vorzuschlagen, die den Ursprung eben dieser Krise darstellt. Denn die Krisensituation ist das Resultat der Übernahme – in den meisten europäischen Ländern – der Politik des Dritten Weges. Diese Politik wurde in Großbritannien theoretisch vom Soziologen Anthony Giddens vorbereitet und unter Tony Blair von New Labour in die Praxis umgesetzt.
Diese Dritte-Weg-Strategie erklärte die „rechts-links“-Spaltung als obsolet und predigte den „radikalen Zentrismus“ als neue Form der Regierungsführung. Nach Tony Blair waren die alten Spaltungen verschwunden und somit das alte Politikmodell überholt. Blair behauptete: „Wir sind alle Teil der Mittelklasse“. Es gebe keine rechte oder linke Wirtschaftspolitik mehr, sondern nur noch eine „gute Politik“ oder eine „schlechte Politik“. Dieser post-politischen Sichtweise lag das berühmte TINA (There is no Alternative) Margret Thatchers zugrunde, die Überzeugung, es gebe keine Politik-Alternativen zur neoliberalen Globalisierung.
Nachdem dieser Dritte Weg Blairs in Deutschland durch Gerhard Schröder und seine „Neue Mitte“ mit Applaus bedacht wurde, setzte er sich in den meisten sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien durch. Diese definieren sich seither als „linkes Zentrum“. So wurde in Europa der „Zentrums-Konsens“ geschaffen, der durch Verwischung der Grenzen zwischen rechts und links den Bürgern die Möglichkeit genommen hat, in Wahlen zwischen unterschiedlichen Politik-Projekten wählen zu können.
Das Fehlen von Alternativen ist der Ursprung vieler Probleme, mit denen wir heute konfrontiert sind: die Diskreditierung demokratischer Institutionen, die Zunahme von Wahlenthaltungen und der zunehmende Erfolg rechtspopulistischer Parteien. Diesen Parteien, die vorgeben, den Völkern ihre von den Eliten konfiszierte Macht wieder zurückzugeben, ist es gelungen, sich in vielen Ländern dauerhaft zu etablieren. Für die Sozialdemokratie war das Abdriften in die linke Mitte fatal und sie befindet sich heute fast überall in Europa in einer Krise.
Unvereinbare Positionen
Wie wir seit Machiavelli wissen, gibt es in der Gesellschaft unvereinbare, gegensätzliche Interessen und Positionen. Es reicht nicht aus, diese Antagonismen einfach zu ignorieren, um sie zum Verschwinden zu bringen. Ziel einer pluralistischen Demokratie ist es nicht, zu einem Konsens zu gelangen, sondern den Streitparteien die Möglichkeit zu eröffnen, ihrer Sichtweise durch Institutionen Ausdruck zu verleihen, die diese „agonistische Sicht“ ins Szene zu setzen vermögen.
In den antagonistischen Kämpfen einer pluralistischen Demokratie betrachten sich die Kontrahenten nicht als Feinde, sondern als Gegner. Sie wissen, dass es Probleme gibt, bei denen man sich nicht einigen können wird. Doch respektieren die Gegner ihr gegenseitiges Recht, für ihre Sicht und Ziele zu kämpfen, um ihr Lager siegen lassen zu können. Die Rolle demokratischer Institutionen besteht daher darin, einen Rahmen dafür zu schaffen, dass die Gegner „sich gegeneinander stellen können, ohne sich zu massakrieren“, wie der Anthropologe Marcel Mauss betonte.
In republikanischer Tradition ist die Opposition zwischen „rechts“ und „links“ der Weg, wie der Spaltung der Gesellschaft Rechnung getragen und ihr eine Form gegeben werden kann. Die pluralistische Demokratie ist der Ort der Spannung zwischen den Idealen Gleichheit und Freiheit, einer Spannung, die permanent in antagonistischer Konfrontation zwischen „rechts“ und „links“ neu verhandelt werden muss. Über die Spannung antagonistischer Konfrontation zwischen „rechts“ und „links“ kommt die Volkssouveränität zum Ausdruck, diese Spannung ist einer der Pfeiler des demokratischen Ideals. Und genau hier steht eine authentisch-demokratische Politik auf dem Spiel.
Wenn man (öffentlich) behaupten kann, wir lebten nun in „post-demokratischen“ Gesellschaften, ist das Ausdruck des Triumphs neoliberaler Hegemonie, der Volkssouveränität wurde der Platz für Kämpfe und Auseinandersetzungen genommen. Der post-politische Konsens lässt nur noch Raum für Regierungsalternativen zwischen rechter und linker Mitte, die neoliberalen Diktatvorgaben unterworfen sind. Alle Parteien, die dieses Szenario nicht akzeptieren wollen, werden zu „Extremen“ abgestempelt und beschuldigt, die Demokratie in Gefahr zu bringen. Emmanuel Macron schiebt diese Logik noch weiter voran und seine sogenannte „originelle Neuartigkeit“ besteht darin, den Anschein von Protest und Disput, der mit dem Zwei-Parteien-System noch bestand, zu beseitigen. Von nun an wird schon die Möglichkeit von Protest und Disput durch das Verschwinden von „rechts“ und „links“ im Keime erstickt und zurückgewiesen. Das ist wirklich das höchste Stadium von Post-Politik.
Da es aber keine Grenze mehr zwischen einem „wir“ und einem „sie“ gibt, muss Macron eine andere, die zwischen „Progressiven“ und „Konservativen“ schaffen. Eine solche Grenze schafft aber kein politisches Ordnungsverhältnis zwischen Gegnern. Indem die Inhalte möglicher Regierungsentwürfe nicht mehr offen sind, dient die Abgrenzung nur noch dazu, verschiedene Formen der Opposition zu disqualifizieren und sie unter dem Begriff „Konservative“ zusammenzufassen. Infolgedessen nimmt es sich Emmanuel Macron heraus, die große Zahl von Franzosen, die in Opposition zu seiner Politik stehen, gering zu schätzen und die Forderungen des „Frankreich-von-unten“ einfach zu ignorieren.
Dass eine solche Politik unvermeidlich zu einer Revolte der unteren Bevölkerungs-Schichten führen wird, beunruhigt ihn nicht weiter – eine eigentlich unglaubliche Verblendung. Denn die Wiederauflage einer Politik des Dritten Weges kann, anstatt wie er sich das vorstellt, den Front National einzudämmen, zu dessen Verstärkung und sogar zu dessen Wahlsieg im Jahr 2022 führen. Zum Glück zeigt uns das sehr gute Ergebnis von Jean-Luc Mélenchon bei der Präsidentenwahl und der seiner „La France insoumise“-Bewegung von unten entgegengebrachte Enthusiasmus, dass auch ein anderer Weg möglich ist, der einer Bürger-Revolution.
[*] Chantal Mouffe ist Professorin für Politik-Theorie an der Westminster-Universität London.
Erschienen am 6. Juni 20017 auf den NachDenkSeiten
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