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Haushaltsloch: Vorwiegend Hausgemacht!

Nach der Kommunalwahl im März 2016 entdeckte der Oberbürgermeister plötzlich ein riesiges Haushaltsloch. Eine Haushaltssperre wurde verhängt. Und die Marburger Bürger_innen wurden auf karge Zeiten eingestimmt und vorbereitet. Die Analyse der Stadtoberen ist von vorne bis hinten unstimmig. In einem späteren Artikel werde ich die Haushaltslage der Stadt Marburg präzise beschreiben. In diesem Artikel, den Nico Biver - für die Marburger Linke im Magistrat der Stadt Marburg - verfasst hat, geht es um eine einzige, dafür aber sehr dicke Stellschraube im Haushalt: Die Gewerbesteuer.

Gewerbesteuer in Marburg: Zu niedrig!

Das Haushaltsloch und das strukturelle Defizit, das Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies, die SPD und die bürgerlichen Fraktionen im Stadtparlament entdeckt haben, soll nach ihrem Willen vor allem durch Gebührenerhöhungen und Ausgabenkürzungen gestopft werden.
Dabei ist die finanzielle Notlage der Stadt weitgehend selbstgemacht.

Steuerdumping für Pharma- und Versicherungskonzerne

Die Gewerbesteuer (genauer gesagt der Hebesatz der Gewerbesteuer) ist heute in Marburg so hoch wie vor 30 Jahren. Der Hebesatz liegt bei 400 Punkten und war zwischen 2008 und 2015 sogar mal auf 370 gesenkt worden. Glaubt man der CDU oder der SPD, darf man ihn nicht erhöhen, weil das Arbeitsplätze gefährdet, weil etwa die Behringwerke-Nachfolger oder die DVAG das Weite suchen oder weniger investieren könnten.

Die Fakten zeigen, dass das nicht stimmt. Unter Oberbürgermeister Hanno Drechsler war der Hebesatz 1986 von 340 auf 400 Punkte erhöht worden. Damit lag man 44 Punkte über dem damaligen Durchschnitt vergleichbarer Städte. Nur in 6 von 86 Kommunen mit 50.000 bis 100.000 Einwohner galt ein höherer Hebesatz. Diese Erhöhung hätte also nach gängiger Meinung zu Arbeitsplatzverlusten führen müssen. Das Gegenteil trat ein.

Von 1987 bis 1992 wuchs die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 12,9 Prozent (Hessen: 12,2; BRD: 11,8). Im Verarbeitenden Gewerbe stieg die Zahl sogar um 15,8 Prozent (Hessen: 3,3; BRD: 5,5).

Dies war vor allem auf die Chemische Industrie (fast ausschließlich die Behringwerke) zurückzuführen, deren Anteil am Gewerbesteueraufkommen 2007 drei Viertel ausmachte. Sie vergrößerte ihre Beschäftigtenzahl von 1980 bis 1993 um 39,3 Prozent auf 3.289 Personen. Der Hebesatz in den anderen Städten ist seit 1986 kontinuierlich um 74 Punkte auf heute durchschnittlich 430 Punkte gestiegen, während er in Marburg bei 400 blieb.

75 von 107 Städten mit 50.000 bis 100.000 Einwohnern haben heute einen höheren Hebesatz als Marburg. Aber anstatt diesen Spielraum auszunutzen und wie damals Hanno Drechsler einen mutigen Schritt zu tun, will die SPD-BfM-Zählgemeinschaft lieber die Eltern zur Kasse bitten und zusammen mit der CDU das Risiko eingehen, dass die Weidenhäuser Brücke einstürzt.

117 Millionen Euro an Aktionäre und Unternehmer verschenkt

Die Senkung des Hebesatzes der Gewerbesteuer 2008 von 400 auf 370 Punkte war angeblich „zur Stützung der einheimischen Wirtschaft“ (Egon Vaupel). Aber wurden damit tatsächlich „die Folgen der Finanzkrise erfolgreich abgefedert“?

Ganz im Gegenteil, denn Unternehmen, deren Ertragslage besonders schlecht war, profitieren überhaupt nicht von der Steuersenkung. Denn wer keinen Ertrag hat, bezahlt auch keine Gewerbesteuer. 61 Prozent der deutschen Unternehmen zahlen keine Gewerbesteuer weil ihre Erträge unterhalb des Freibetrages von 24.500 Euro liegen oder sogar negativ sind. Den meisten Nutzen von dieser Steuersenkung hatten die Unternehmen mit den höchsten Gewinnen.

Da die Gewerbesteuer den Gewinn verringert, hat eine Senkung des Hebesatzes nur zur Folge, dass sich die Gewinne erhöhen. Profitiert haben vor allem die Unternehmen, die ohnehin schon im Geld schwimmen. 2014 kamen 82 Prozent der Gewerbesteuer von fünf Unternehmen aus der Pharma- und der Finanzbranche. Damit hat die Stadt Marburg bis Ende 2015 58,4 Mio. Euro an Unternehmer und Aktionäre verschenkt, doppelt so viel wie im Haushaltsloch verschwinden sollen, das man 2016 ausgemacht hat. Hätte Marburg, wie es die Marburger Linke und später der Rechnungshof vorgeschlagen haben, 2008 den Hebesatz auf 430 Punkte erhöht, statt ihn zu senken, wären zwischen 2008 und 2015 die Einnahmen um 116,9 Mio. Euro höher gewesen.

Hessischer Rechnungshof: Mehr Einnahmen durch höhere Gewerbesteuer

Bei seiner regelmäßigen Prüfung der Haushaltsstruktur der sog. Sonderstatusstädte (Marburg, Bad Homburg, Fulda, Wetzlar, Gießen, Hanau und Rüsselsheim) zählte der Hessische Rechnungshof 2011 für die einzelnen Städte auch ungenutzte Einnahmepotenziale auf. Bei Marburg sah er drei Quellen zur Verbesserung der Einnahmen: Erhöhung der Friedhofsgebühren sowie der Hebesätze bei der Grundsteuer und der Gewerbesteuer.

Während die Stadt bei den Friedhofsgebühren und der Grundsteuer den Vorschlägen des Rechnungshofs gefolgt ist, lehnte sie sie bei der Gewerbesteuer ab. Hier schlug der Rechnungshof einen Hebesatz von 430 Punkten vor. Bei den Gebühren für die Kindertagesbetreuung sah der Rechnungshof für Marburg übrigens keine Erhöhungsmöglichkeiten - im Gegensatz zu Bad Homburg, Gießen, Hanau und Rüsselsheim.

Schon wieder eine Gewerbesteuererhöhung?

Es stimmt, Marburg hat 2015 eine Erhöhung des Gewerbesteuerhebesatzes auf 400 beschlossen. Der Beschluss hat aber überhaupt nichts mit der aktuellen Haushaltslage zu tun. Die Erhöhung, die zum 1. Januar 2016 in Kraft trat, erfolgte, als es Marburg noch „finanziell gut“ ging (SPD-Wahlprogramm). Sie wurde durch die Reform des hessischen Kommunalen Finanzausgleiches erzwungen.

Nur so konnte die Stadt vermeiden, dass Zuweisungen des Landes geringer ausfallen werden. Unerwähnt bleibt auch, dass mit der Erhöhung des sog. Hebesatzes der Gewerbesteuer von 370 auf 400 wieder das Niveau erreicht wurde, das von 1986 bis 2008 galt.

Globales Steuerparadies

Entgegen den Wehklagen etwa von CSL Behring, dass Marburg im internationalen Wettbewerb um Investitionsanreize im Hintertreffen sei, zeigen die Geschäftsberichte des in Australien, der Schweiz, den USA und in Marburg tätigen Konzerns CSL, dass bislang besonders hohe Profite – auch nach Steuern – in Marburg eingefahren werden konnten.

CSL-Behring ist mit einem Gewinn von 493,9 Mio. Euro (Geschäftsjahr 2014/15) am Standort Marburg mit ziemlicher Sicherheit der größte Gewerbesteuerzahler in Marburg. Vergleicht man die Ertragslage und die Steuerbelastung des Gesamtkonzerns CSL mit denen der Niederlassung in Marburg, spricht beides für den hiesigen Standort. Während in Marburg 2008 bis 2015 die Umsatzrendite (vor Steuern) durchschnittlich bei 31,2 Prozent lag, betrug sie im Gesamtkonzern (ohne Marburg) „nur“ 28,6 Prozent.

Nach Besteuerung ist die Differenz sogar noch größer, nämlich 26,6 zu 21,6 Prozent. In Marburg machten die Gewinnsteuern (vorwiegend Körperschafts- und Gewerbesteuer) 15,0 Prozent und im Rest des Konzerns 24,7 Prozent des Gewinns aus. Die Manager und Aktionäre des Konzerns wären also mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn sie künftig nicht mehr in Marburg investieren würden, nur weil die Gewerbesteuer steigen würde. Der Hebesatz müsste schon auf mindestens 600 Punkte steigen, um das Steuerniveau anderer Standorte des Konzerns zu erreichen.

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5 Kommentare

> "Die Gewerbesteuer soll ja gerade nicht erhöht werden."

Ja... aber du hast dich aufgeregt, dass man X statt Y macht - ("Aber anstatt diesen Spielraum auszunutzen und wie damals Hanno Drechsler einen mutigen Schritt zu tun, will die SPD-BfM-Zählgemeinschaft lieber die Eltern zur Kasse bitten und zusammen mit der CDU das Risiko eingehen, dass die Weidenhäuser Brücke einstürzt. ") - und ich meine nur, man kann beides machen.

Die Gebührenerhöhungen sollen etwa 2 Millionen Euro einbringen. Ein Blick auf die Zahlen genügt, um festzustellen, dass eine Erhöhung der Gewerbesteuer ein Vielfaches der Gebührenerhöhungen einbringt.

Und deshalb kann man nicht beides machen?

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