MARBURGS ELISABETH-MÜHLE IST EINE GANZ BESONDERE MÜHLE (TEIL 3)
Teneriffa. Im Jahre 1809 wurde der Deutsche Orden aufgelöst und die Elisabeth-Mühle ging in den Besitz des Kurfürstentums Hessen über, das ein vom Wiener Kongress (1814-15) restituierter Staat im Deutschen Bund war. Der Müller Gareis führte die Mühle in Erbleihe bis zu seinem Tode, gefolgt von den Herren Schwertzell.
1776 hatte der spätere Premierleutnannt Jeremias Lotz in Oberurff als Sohn des Fahnenjunkers Cristian Friedrich das Licht der Welt erblickt. 1821 kam er nach Marburg und übernahm von den Schwertzells die St.Elisabeth-Mühle. Sein Sohn Wilhelm, der die Höhere Schule besuchte, war Mitbegründer der ältesten Marburger Studentenverbindung Corps Teutonia. Als Meister der Erzählkunst erlangte er sehr schnell den zweifelhaften Ruhm des “Lijelotz” (Lügenlotz) unter der Marburger Bevölkerung. Der Vater Christian Friedrich vererbte schließlich die Mühle an seine Söhne Wilhelm und Ludwig, die im Jahre 1852 die Erbleihe ablösten und ein Jahr später eine Teilung vornahmen. Ludwig erhielt die Schlag- und Schleifmühle (später Noellsche Mühle) links des Grabens und der “Lijelotz” die St. Elisabeth-Mühle am rechten Ufer. Das von den Mühlrädern aufgewühlte Wasser des Mühlgrabens stellte er seinen Corpsbrüdern als Wellenbad zu Verfügung. Noch heute kursieren viele amüsante Geschichten und Anektoden über den “Lijelotz” in Marburg und Umgebung.
1937 übernahm in fünfter Generation Julius Lotz die ehrwürdige “Lotzen-Mühle” und ließ sie im Folgejahr gründlich renovieren und modernisieren. Seit diesem Zeitpunkt wurden moderne Turbinen vom Lahnwasser angetrieben, sodass die Mühle für die heimische Landwirtschaft, das Bäckereigewerbe und somit für die Ernährung der Bevölkerung im Marburger Raum von besonderer Bedeutung wurde. Der modern eingerichtete Betrieb hatte nun eine Mahlleistung von sechs Tonnen Getreide täglich. Alle anderen Mühlen im engeren Umkreis stellten nach und nach ihren Betrieb ein.
22. Februar 1944, kurz vor 15 Uhr. Blauer Himmel über Marburg. Fliegeralarm. Feindliche Bomber lassen circa 100 Bomben auf Marburgs Nordviertel (Kliniken und Bahnhof) fallen, und ebensoviele Menschen verlieren in diesen Momenten ihr Leben. Eine Bombe streift die östliche Ecke der Wohnung im Mühlengebäude, reißt die meterdicke Mauer auf einer Breite von sechs Metern heraus und schleudert sie ins Wasser des Mühlgrabens. Julius Lotz befindet sich mit seiner Familie gerade im Hausflur, um in den benachbarten Luftschutzkeller unter den Felsen des Wehrdaer Wegs zu flüchten. Seine Frau und Tochter Christel werden durch herumfliegende Steinsplitter verletzt. Die zweite Tochter und er selbst bleiben unverletzt. In der Nachbarschaft sterben sechs Bewohner, die weniger Glück haben. Tochter Christel wird mit einem komplizierten Doppelbruch des Schienbeins in die Klinik eingeliefert. Gegen Mitternacht befindet sich Familie Lotz im Elternschlafzimmer, als eine im Mühlgraben gelandete Zeitzünderbombe explodiert. Sie reisst die Ostmauer der Mühle vollständig um und zerstört die gesamte Mühleneinrichtung einschließlich Getriebe. Fünf Mahlstühle werden später aus den Trümmern geborgen und erfordern nur geringe Reparaturen Die Familie bleibt dieses Mal unverletzt und verbringt den Rest der Nacht im Felsenkeller auf der gegenüber liegenden Straßenseite.
Familie Lotz steht am nächsten Morgen vor Trümmern, die bis ins 13. Jahrhundert zurück reichen. Das mehr als hundertjährige Lebenswerk mehrerer Generationen Lotz ist zerstört. Eine Mehlversorgung der Marburger Bäckereibetriebe gibt es nicht mehr.
Alle Fotos und Abbildungen: Wilhelm Lotz.
Fortsetzung folgt.
Siehe auch: MARBURGS ELISABETH-MÜHLE IST EINE GANZ BESONDERE MÜHLE (TEILE 1 & 2)
Danke für den interessanten und gut bebilderten 3. Teil