SIND DEUTSCHE TOURISTEN SO?
Teneriffa. Lieben Deutsche den Nachgeschmack - egal ob bitter oder süß? Nach Weihnachten kommt stets die Umtauschorgie und nach dem Urlaub die Reklamationswelle bei allen Reiseveranstaltern. Man ist zurück aus dem Ausland, und nun wird dem deutschen Heimkehrer mit jedem Tag Abstand klarer, dass er (sie) allen Grund hat, beim Reiseveranstalter eine Reklamation zwecks nachträglicher Gutschrift für erlittene Qualen zu platzieren. Schließlich kennt man sich doch aus. Bereits vor der damals als „saugünstig“ empfundenen Last Minute Buchung hat man sich durch ein Dutzend Online-Reiseportale im Internet gewuselt. Und wenn es dort zum Zielhotel viele unterschiedliche Bewertungen gab, hat man gleich die schlechteste für später markiert, denn man weiß ja nie, wofür man diese Referenz nach dem Urlaub noch gebrauchen kann.
Das deutsche Urlaubswesen besitzt ein in der Welt einmaliges, wenn auch kompliziertes Psychogramm. Es ist ängstlich und unsicher einerseits, rechthaberisch, selbstbewusst, fordernd andererseits. Vor Allem aber ist es absolut informiert, wenn man es an seinen Beschwerden und seinem ökonomischen Selbstvertrauen misst. Es sorgt sich sehr, weil es Angst hat, z.B. nur unter Deutschen zu landen. Aber es hat auch Angst, nicht unter Deutschen zu landen. Es hat Angst vor Terroranschlägen, vor Viren und anderen „ausländischen“ Krankheiten, vor Hurricanes, Trinkwasser, Vulkanausbrüchen, Hotelessen, Erdbeben und selbst vor der eigenen Blamage, denn am Urlaubsort selbst will man nicht unangenehm auffallen, obwohl dort vieles „einfach nicht richtig ist“. Doch wer will schon als typisch deutsches Nörgelunwesen dastehen?
Das Drama beginnt am Flughafen (Sicherheitschecks) und geht über Turbulenzen während des Fluges, bis zu den Reiseleitern, die nicht „richtig“ deutsch sprechen, weil sie Ausländer sind. Man hatte auch eigentlich einen Fünf-Sterne-Service im Hotel erwartete, obwohl dies zum „Schnäppchen-Preis“ („ich bin doch nicht blöd“, denn „Geiz ist geil“) gebucht wurde. Der Fruchtsaft entspricht nicht deutschen Normen, der Wurstaufschnitt ist entweder aufgetaut oder schmeckt überhaupt ganz anders als beim Aldi. Die vielen Osteuropäischen Touristen nehmen überhand, der Kaffee ist zu stark, die afrikanischen Straßenverkäufer sind zu aufdringlich, die Sonne scheint nicht jeden Tag, das Meeresrauschen ist nachts zu laut und Sand muss nun einmal blütenweiß sein, obwohl man nicht in Polynesien ist.
Jetzt nach der Rückkehr ist der Ärger richtig schön gewachsen und „schriftreif“. Gott sei Dank gibt es in Deutschland eine Reklamationsindustrie. „Bild“ hilft da gerne mit einem herrlichen Beschwerdeformular das man nur noch mit den am Urlaubsort erlittenen Leiden ausfüllen und an den bösen Reiseveranstalter schicken muss. Das Kommerz-TV bietet nach Ablauf der Hauptsaison absolut angstfreie, rasende TV-Reporter an, die als Rächer der Frustrierten alles filmen, was sich Preis mindernd auswirken könnte: tote Kakerlaken (igitt), zu viele Spanier am Strand in Arenal (igitt), Schlaf raubende deutsche Ballermann-Touristen (igitt), grölende und tätowierte Engländer (igitt), zu viele Kinder im Hotel, Franzosen, die kein Wort Deutsch sprechen, genervte, resignierende Hotelchefs, die die Flucht ergreifen und eine kaputte Klimaanlage in Dar-es-Salam. Ach ja, und außerdem war man ja mit mindestens einem Fotohandy ausgestattet (ha!), sodass man die Ferien in eine lückenlose Beweisaufnahme umfunktionieren konnte.
Und überhaupt: nächstes Jahr bleiben wir in Deutschland, da kann man sich direkt auf deutsch beschweren (wenn es nur nicht so teuer wäre!).