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OSTWÄRTS UM DIE GANZE WELT: TEIL 22 - IN DER WIEGE DES JAZZ

New Orleans, Louisiana. Nach einem Seetag im Golf von Mexiko weckt uns morgens früh das in Intervallen dröhnende Schiffshorn unserer „MS Amadea“. Ein Blick aus der Balkontür bleibt in dickem weißem Nebel stecken. Gespenstisch rauschen große Containerschiffe in geringem Abstand an uns vorbei. Also befinden wir uns schon auf dem Flusslauf des Mississippi, der uns nach New Orleans bringen wird. Dieses große Flussdelta hat sich im Laufe der letzten 5000 Jahre 80 Kilometer weit in den Golf von Mexiko durch Ablagerung von transportierten Schwebestoffen vorgeschoben. Schiffe, die nach New Orleans wollen, müssen also schon mehr als 100 Kilometer südlich der Stadt in die Fahrrinne des Mississippi einlaufen.

Langsam lichten sich die Nebel und die Sonne gibt Ausblicke auf die salzigen Marschlandschaften rechts und links des Flusses frei. Vorbei an großen Baggern, die ständig die Fahrrinne in Stand halten müssen, nähern wir uns einer Stadt, die es eigentlich gar nicht mehr geben dürfte. Eine Stadt mit einer ewigen Leidensgeschichte. Eine Stadt voller Widersprüche – ein Paradoxon.

Das Gebiet auf dem das heutige New Orleans steht, ist erst vor 2.500 Jahren aus vom Fluss angeschwemmten Sedimenten entstanden. Die Stadt steht auf einem mehrere hundert Meter tiefen Sumpf, der sich unter dem Druck seines eigenen Gewichtes verdichtet und um einen Zentimeter pro Jahr unter den Meeresspiegel sinkt. Weit mehr als die Hälfte der Stadtfläche liegt eineinhalb Meter unter dem Meeresspiegel.

La Nouvelle Orleans wurde 1718 von Franzosen gegründet. Als Hauptstadt der Kolonie Louisiana ging es 50 Jahre später für kurze Zeit an Spanien über. Zwei Großfeuer zerstörten die Stadt 1788 und 1794. Ab 1800 gehörte die Stadt wieder zu Frankreich und wurde 1803 von Napoleon (der Geld für seine Kriege benötigte) für 15 Millionen Dollar an die USA verhökert. New Orleans und seine Einwohnerzahl wuchs rapide an. Ein buntes Völkergemisch aus kanadischen Franzosen (Cajun), Kreolen (Criollo), Afrikanern, Spaniern und Indianern beherrscht auch heute noch das Stadtbild. Entsprechend vielfältig ist die Musikszene allerorten.

1927 überflutete der Mississippi 70.000 qkm seiner Ufer und somit auch New Orleans, wo über 100.000 Menschen obdachlos wurden. 1965 zerstörte und überflutete der Hurrikane „Betsy“ die Stadt. In 2005 wütete der Hurrikan „Katrina“ und setzte den Großteil der Stadt unter Wasser. Die Einwohnerzahl schrumpfte auf die Hälfte und hat sich noch nicht wieder erholt.

Unser Schiff nähert sich der Stadt mit ihrer berühmten Doppelbrücke über den Mississippi. Schon von weitem hören wir Musik erschallen und sehen schließlich auf der „Downtown“-Seite des Ufers tausende von Menschen, die sich vor verschiedenen Bühnen drängen und der dargebotenen Musik lauschen. Es ist früher Nachmittag als unser Schiff an der Pier festmacht. Wir erfahren, dass genau an diesem Wochenende ein großes Musikfestival mit hunderten von Bands und deren Darbietungen stattfindet.

Natürlich sind wir nicht mehr zu halten und eilen von Bord. Doch langsam, langsam, wir sind jetzt in USA und somit potentielle Terroristen. Wir werden durch ein Kontrollgebäude geschleust und dort gezwungen, eine Parade schwarz uniformierter Bullen des SS (nein, ich meine doch den Security Service) abzunehmen. Unsere Pässe und Einreiseanträge befinden sich schon lange im Besitz der US-Behörden, trotzdem werden wir einer strengen Gesichts- und Handgepäckkontrolle unterzogen. Es könnte ja sein, dass wir Bomben aus Mexiko mitgebracht haben.

Schließlich betreten wir den heiligen Boden dieses freien Landes (Land of the free) und befinden uns auf einer tief liegende Straße. Erstaunt schauen wir zurück und hinauf zu unserem Schiff, das jetzt ein paar Meter über unseren Köpfen ankert. Sofort wird uns die Problematik der Überschwemmungskatastrophen bewusst, denn New Orleans liegt an vielen Stellen tatsächlich tiefer als der Fluss.

Nirgendwo sehen wir Spuren der „Katrina“ Katastrophe. Die Stadt hat sich herausgeputzt. Die Menschenmenge schiebt uns vorbei an eleganten Shopping-Passagen und Geschäften, bis wir schließlich vor der ersten Bühne stehen bleiben. Heißer Rhythm & Blues aus Louisiana erklingt und viele Paare tanzen spontan vor der Bühne. Andere haben sich Klappstühle und Proviant mitgebracht, um mehrere Stunden hier zu verbringen. Die Bands wechseln jede Stunde auf insgesamt 20 Bühnen, die über die Kernstadt verteilt sind. Man drückt uns kostenlose Broschüren in die Hand, mit deren Hilfe wir uns einen schnellen Überblick über das vielfältige musikalische Angebot machen können. Die Musik-Palette reicht vom traditionellen New Orleans Jazz über Blues, Rag, Cajun-Musik, Zydeco, Rhythm & Blues, Rock’n’Roll, Swing, Funk, Salsa, bis zum Avantgarde-Rock, zeitgenössischem Jazz, Rap, Hip-Hop und Reggae. Kurz gesagt, die ganze Palette US-amerikanischer und karibischer Musik wird abgedeckt – und das Alles von absolut professionellen Musikern, Sängern und Gruppen, die uns zu Begeisterungsstürmen hinreißen.

Doch irgendwann meldet sich der Magen. Was liegt näher, als die berühmte kreolische Küche hier und jetzt zu probieren. Schließlich kennen wir alle den US-Schlager „Jambalaya“ seit Jahrzehnten.Wir suchen lange nach einem Restaurant, vor dem kaum Touristen in der Schlange stehen. Wie überall in den USA wartet der Gast am Eingang, bis ihm ein Tisch zugewiesen wird. Von Einheimischen in der Warteschlange bekommen wir bestätigt, dass dieses Restaurant eines der besten fünf in der Stadt ist. Wir sollten unbedingt „Jambalaya“ und „Gumbo“ probieren. Gesagt – getan. Doch zunächst müssen wir das „Örtchen“ aufsuchen. Welch ein Schock! Eine einzige lange Unisex-Warteschlange vor einem einzigen schmutzigen WC, das sich Männlein und Weiblein teilen müssen. Und an Bord hat die amerikanische Gesundheitsbehörde den Pool geschlossen, nur verpackte Lebensmittel am Frühstücksbuffet erlaubt (um mehr Müll zu produzieren) und sogar Milchgießer, Pfeffermühlen und Salzstreuer verboten. Die Amis, die spinnen, sagte Asterix.

Zu viert bestellen wir uns vier verschiedene Gerichte. Wir sitzen in einer riesigen und ungemütlichen Fresshalle und erleben eine zuvorkommende und fleißige Bedienung. Dazu muss man wissen, dass die Kellner (-innen) wenn überhaupt, dann nur sehr schlecht bezahlt werden. Sie leben vielmehr von den Trinkgeldern. Machen wir es kurz: unser „Jambalaya“ ist eine matschige, schlecht gewürzte „Paella“ (ohne Meeresfrüchte), das „Gumbo“ ein Bohneneintopf mit verkochtem Hähnchenfleisch, das dem Serbischen Bohneneintopf nicht das Wasser reichen kann. Die anderen beiden Gerichte (Crawfish und Creole-Chicken) sind hier nicht erwähnenswert. Mit Wehmut gedenken wir der guten kreolischen Küche in Kolumbien, Cuba und auf den Antillen. Hätten wir uns ja auch denken können, dass die Amis nicht viel Esskultur haben.

Dann verschluckt uns das „French Quarter“, die Altstadt mit ihren wunderschönen Balkonhäusern und unzähligen Musik-Kneipen in den Straßen Bourbon, Royal und Chartres. Auf den Außenbalkons der Wohnhäuser finden private Partys statt. Wir winken hinauf und man wirft uns die berühmten „beads“ herunter. Das sind künstliche Bacchus-Perlenketten in schillernden Farben. Nur wer eine solche Kette geschenkt bekommt, war in „Crescent City“ (Spitzname von New Orleans). Es wird für uns eine laute und lange Nacht auf dem Ufer des „Old Man River“.

Am nächsten Morgen gibt es kein Pardon. Früh aufstehen und New Orleans auskosten bis zur Abfahrt am Abend. Schlafen können wir Morgen auf hoher See. Die Stadt ist schon wieder voller Musik und Leben. French Market, Jackson Square mit St.Louis Cathedral, eine Straßenbahnfahrt, ein Mausoleen-Friedhof und noch einmal die Altstadt (das alte Storyville) sind angesagt. Typisch: keiner kann uns sagen, wo die weltberühmte New Orleans Jazz Preservation Hall ist, wo damals alles anfing. Das kennen wir doch schon von anderen Reisen in die USA: Geschichtsbewusstsein gibt es kaum. Vergebens laufen wir uns die Hacken ab. Also kein Foto vom Geburtsort des New Orleans Jazz. Schade, dass Louis Armstrong schon tot ist. Er hätte es gewusst!

  • Der Mississippi ist ein schmaler Fluss, verglichen mit dem Amazonas.
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  • Tausende von Musikfans am Ufer vor der R&B Bühne
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  • Dem Nachwuchs eine Chance. Daddy wirft von der anderen Seite.
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  • "A Streetcar Named Desire" (Endstation Sehnsucht - Tennessee Williams)
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  • Auf diesen Balkons laufen abends die heißen Partys
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  • Fahrrad mit echten "Beads" geschmückt (vom letzten Mardi Gras)
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  • Auf dem oberen Balkon die Dame ist eine echte "Southern Belle". Sie warft mir eine "Beads" (Perlenkette) herab.
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  • Onkel Fats, der gemütlichste RnRoller aller Zeiten.
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  • Auch wenn sie nicht so aussehen, sie waren einsame Spitze auf den Spuren der Andrews-Sisters. Hut ab!
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  • Die besten Autos kommen eben schon immer aus Deutschland, gelle!
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  • Die nächste Generation kann auch schon heftig blasen.
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5 Kommentare

Wirklich ein sehr lesenswerter Artikel über eine der Gralsburgen der Musikgeschichte. Man hört förmlich wie Musik aus den Straßen quillt.
Die Bilder ergänzen den Text ganz hervorragend.

Louisiana und New Orleans liegen an vielen Stellen tatsächlich tiefer als der Fluss weil sie zu den Schwellenländern gehören. Von Kollegen habe ich erzählt bekommen, dass es z.T. schlimmer als in Afrika zugehen soll.

Karl-Heinz Mücke, (;-))))))) Herrlicher Gedankengang! Den kann man auf ganz USA anwenden.

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