KLEINER EINBLICK IN MEINE FILMPROGRAMM-SAMMLUNG
Teneriffa. Das Kino hatte in den 50-er und 60-er Jahren besonders für uns Jugendliche eine magische Anziehungskraft. Fernsehapparate gab es nur in den Schaufenstern der Radio-Geschäfte, vor denen sich Menschenaufläufe bildeten, wenn z.B. die Krönung von Q.E.II. direkt aus London oder „Tor! Tor! Toooooor!“ aus Bern übertragen wurde.
Dagegen war doch das Kino eine Kultstätte erster Sahne, die man nicht alleine besuchte, sondern möglichst zu zweit, denn dort war es wohlig warm und dunkel neben einer weiblichen Begleiterin und weit und breit keine Eltern in Sicht, die beobachteten, wie man langsam aber stetig den Arm um die Schultern der für heute Angebeteten anschleichen ließ. Und ständig hofften wir Jungs auf Horror und Schrecken oder sentimentale Kitschszenen auf der Leinwand, damit die Hübsche an der Seite einen Vorwand hatte, etwas näher zu rücken, um Schutz bei einem starken Mann zu suchen.
Allein schon das Ambiente der Foyers in den Filmpalästen, wo meist die neuesten unerschwinglichen Platten aus den U.S.A. liefen, der Popcorn-Stand mit seinem unwiderstehlichen Duft, die hübschen Zigaretten- oder Eisverkäuferinnen mit ihren kurzen wippenden Röckchen und Bauchläden, wenn sie während der Kinoreklame oder der „Fox-Tönenden Wochenschau“ des Vorprogramms mit Taschenlampen durch die Reihen gingen und man kurze Blicke auf die knutschende Konkurrenz erhaschen konnte (wer mit wem?), waren das Eintrittsgeld wert. Es war eine illusorische kleine Flucht aus dem deutschen Kleinstadtmief in unser geliebtes Traumland U.S.A. Und wenn wir schließlich die Kultstätte verliessen, überprüften wir in den Schaufenstern unseren lässig geschlenderten G.I. Gang.
So ein Kinobesuch musste natürlich strategisch geplant werden. Im Vorfeld des Besuches lief dann erst einmal eine gründliche Ausschau nach einem passenden Mädchen, das man vom sauer ersparten „Zeitungs-Austragegeld“ gern einladen wollte. War die schwierige Wahl getroffen (Schönheiten wussten von ihrem hohen Marktwert, also Vorsicht, nicht zu hoch greifen und lieber auf williges Mittelmaß konzentrieren) so erfolgte zunächst eine mündliche oder gar schriftliche Einladung mit viel Herzklopfen: „wird sie oder wird sie nicht?“
Und dann stand man endlich an der Pforte des Glücks, an der Kasse des Kinos. Hatte es beim Austragen der Zeitungen viele Trinkgelder gegeben, so tönte man mit geschwellter Brust und unüberhörbar für Alle in der Warteschlange: „Zweimal Loge (oder Balkon) mit Filmprogramm bitte“. Wow, das tat gut! Dann ging’s zum Popcorn Stand (wenn dies der bereits zitternde Etat gerade noch erlaubte) und dann kam schließlich der größte Moment von allen:
Das Anstellen an der Tür zur Loge, denn diese hatte einen separaten Eingang mit dicker Decke im Türrahmen, damit man nicht hinein schauen konnte. Absolute Diskretion war im horrenden Eintrittspreis enthalten. Aber wenn man dort mit attraktiver Begleitung und Filmprogramm plus Popcorn-Tüte auf Einlass wartete, dann sahen das alle anderen Kumpels, die leider nicht so viele Trinkgelder kassiert hatten und sich deshalb mit dem gewöhnlichen Eingang zum Parkett und ohne Filmprogramm zufrieden geben mussten. Tja, Jungs, heute ist wohl MEIN Tag!
Diese Filmprogramme waren Faltblätter auf dünnem Papier einfarbig, zumeist in abstoßendem Braun (später auch selten mehrfarbig) gedruckt und in der Mitte gefaltet. Es gab zwei Hersteller: Die Illustrierte Filmbühne und Das Neue Filmprogramm. Doch das war uns ziemlich egal, denn man kaufte das, was angeboten wurde – und das war je nach Kino immer nur eine Marke. Genau wie die Popcorn-Tüte waren diese Filmprogramme Statussymbole. Gelesen wurden sie selten und oft blieben sie eingeklemmt und verlassen auf den Kino-Klappstühlen zurück. Nur die echten Filmfans nahmen sie mit nach Hause, um sie ihrer Sammlung beizufügen. Bei ganz „großen“ Filmen wie Ben Hur, Porgy & Bess, Cleopatra konnte man sogar richtige Programmhefte in Luxusausführung (Vierfarbdruck) erwerben. Doch waren diese eher für gut betuchte Erwachsene gedacht, denn wer von uns Jugendlichen konnte und wollte eine ganze Mark für ein solches Heft ausgeben? 10 Pfennig (später 20 Pfg.) für ein normales Filmprogramm waren gerade noch (wenn auch nicht immer) verkraftbar.
Die beiden Verlage Die Illustrierte Filmbühne und Das neue Filmprogramm vereinigten sich in den 60-er Jahren. Heute liegen die Rechte für diese und andere Filmschriften bei dem Verlag für Filmschriften in Herbertshausen. Die Abbildung von 36 Titelblättern der Programmhefte „Illustrierte Film-Bühne" (1946-1969) und "Neues Filmprogramm" erfolgt hier mit freundlicher Genehmigung von eben diesem
Verlag für Filmschriften • Christian Unucka • 85241 Hebertshausen • www.unucka.de
Ich würde mich freuen, wenn ich mit diesem Beitrag Euer Interesse an den einmaligen und typischen Produkten der 50-er und 60-er Jahre geweckt habe. Auch heute kann man noch eine solche sehr reizvolle Sammlung aufbauen indem man auf Flohmärkten und im Internet stöbert. Auch der genannte Verlag für Filmschriften ist sicher gern behilflich. Viel Spaß!
Es ist schon deprimierend, wenn nach einem ganzen Tag maximal sieben Personen die eingestellten Fotos angeklickt haben. Da frage ich mich, warum ich nicht statt dessen 36 Sonnenuntergänge engestellt habe.