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Beitrag zum Marburg-Grimmi: Die drei Schneidersöhne

Der Aufforderung der Oberhessischen Presse an ihre LeserInnen, als Beitrag zum Grimm-Jahr einen Marburg-Grimmi zu schreiben, bin ich gern gefolgt, gefiel mir diese Idee doch so gut.
Erschienen ist der Beitrag am Dienstag, 14.08. in der Oberhessischen Presse. Wer Lust hat, den Märchenkrimi zu lesen, kann dies hier tun.

Die drei Schneidersöhne

Es war vor langer Zeit, da erschienen vor den Toren der Stadt Marburg drei junge Burschen, die um Einlass begehrten. Einer der Drei trug ein Tischchen auf dem Rücken, ein anderer hatte einen Sack geschultert und der Dritte zog einen Esel an einem Strick hinter sich her. Die beiden Stadtwachen, die des Tages ihren Dienst versahen, kreuzten ihre Spieße vor den Gesellen. Der größere der Wächter fragte die Burschen: „Was wollt Ihr in der schönsten Stadt im Hessenland?“
Einer der Gesellen, er schien der jüngste der Drei zu sein, antwortete: „Wir sind die drei Schneidersöhne, die auf dem Fest, das jedes Jahr in dieser Stadt gefeiert wird, ihre Zauberkünste zum Besten geben wollen. Drei Tage Marburg nennt ihr es selbst in Eurem Ort.“
Der Wächter nickte bedächtig. Von den Burschen hatte er schon gehört. Der eine konnte mit einem kleinen Holztischchen köstliche Gerichte hervorzaubern, der andere hatte einen Esel, der vorne und hinten Goldstücke ausspie und der Dritte hatte einen Sack, aus dem auf Befehl ein Holzknüppel heraussprang, um Leute, die einem Übles wollten, zu verprügeln. In Anbetracht dieser letzten Tatsache ließ der Wächter seinen Spieß sinken und machte seinem Kameraden ein Zeichen Gleiches zu tun. Es war besser diese Gesellen passieren zu lassen.
Die drei jungen Männer zogen hierauf zum Magistrat der Stadt und wurden vom Bürgermeister begrüßt: „Ihr Schneidersöhne, ein dankendes Willkommen Euch Dreien. Wir freuen uns, dass Ihr unserem Ruf gefolgt seid und das Volk auf unserem Fest so trefflich unterhalten wollt. Die Kunde Eurer wundersamen Künste ist Euch vorausgeeilt. Aus den ganzen Umlanden werden die Bürger in unsere Stadt kommen, um Eure Zaubereien schauen zu können. Doch folgt nun dem Magistratsdiener. Er wird Euch Eure Unterkunft zeigen.“
Die Zauberkünstler wurden entsprechend untergebracht. Das Tischchen und der Sack wurden in einer verschließbaren Kammer verwahrt. Der Esel wurde zum Weiden an das Lahnufer gebracht, wo das Spektakel der Zaubereien stattfinden sollte. Ein Stadtbüttel wurde zur Bewachung des Tieres abgestellt, war es doch zu wertvoll, um ohne Aufsicht zu bleiben.

Am nächsten Morgen eilte der Zweitgeborene der Brüder an das Lahnufer, um zu nachzusehen, ob es seinem Esel wohlgehe. Doch – oh Schreck – der Esel war verschwunden. Es war nur noch der Pflock vorhanden, an den das Tier mit einem langen Strick angebunden worden war. Der Stadtbüttel lag gefesselt und geknebelt am Boden. Er war überfallen und der Esel gestohlen worden.
Nachdem er den Gefesselten befreit hatte, lief der Bursche laut Zeter und Mordio schreiend zu seinen Brüdern, um ihnen den Diebstahl zu verkünden. Der Älteste der Brüder sagte bedächtig, nachdem er von dem Verbrechen erfahren hatte: „Lasst mich erst mein Tischchen polieren, denn das ist es, was ich jeden Morgen als Erstes tun muss, dann werden wir den Diebstahl des Esels dem Magistrat der Stadt anzeigen.“
Doch als die Brüder die Kammer, in der Tischchen und Sack verwahrt waren, öffnen wollten, mussten sie feststellen, dass die Tür aufgebrochen und das Tischchen verschwunden war. Nur der Sack stand unangerührt inmitten des Raumes. Ein schamloser Dieb war hier am Werk gewesen.

Kurz, nachdem die Burschen die Diebstähle angezeigt hatten, erschien bei ihnen ein älterer Mann und stellte sich ihnen folgendermaßen vor: „Ich bin der Stadtbüttel Hans Glück. Man nennt mich auch Hans im Glück, weil ich bisher immer nur Glück im Leben hatte. Böswillige meinen, diese Sicht der Dinge käme nur durch mein einfältiges Wesen, ich hätte nie wirklich Glück gehabt.
Doch sei es, wie es sei. Ich bin vom Magistrat beauftragt worden, die Verbrechen, die an Euch begangen worden sind, aufzuklären.
Wie mir berichtet wurde, ist nur der Sack mit dem Knüppel nicht gestohlen worden. Ein Indiz dafür, dass der Täter wusste, dass der Sack ihm eher zur Gefahr gereiche, als das er ihm Nutzen bringen würde. Der Dieb muss also jemand sein, der über das Diebesgut genau Bescheid wusste und mit dem „Knüppel aus dem Sack“ eventuell schon Bekanntschaft gemacht hat. Wer könnte das Eurer Meinung nach gewesen sein?“
Da sagte der älteste der Brüder: „Nur der Wirt des „Wirtshauses an der Lahn“ kennt die Besonderheit, die es mit dem Knüppel im Sack auf sich hat. Ich und meine zwei Brüder sind vor langer Zeit bei ihm eingekehrt und er hat unsere Zaubergegenstände gestohlen. Wir haben sie uns wiedergeholt, dabei hat er Bekanntschaft mit dem Knüppel machen können.“
Die anderen Brüder nickten bestätigend dazu.
„Dann lasst uns geschwind aufbrechen und das Wirtshaus aufsuchen, um den Wirt zu überprüfen.“
Der jüngste Bruder schulterte seinen Sack und man machte sich auf den Weg zu besagtem Gasthaus.
Als sie dort ankamen, hörten sie von innen munteren Gesang. Sie traten ein und sahen dort an einem kleinen Tischchen sitzend, ein Mägdelein mit einem roten Häubchen auf dem Kopf, eine alte Frau und einen grünberockten Mann, dem man den Waidmann schon auf den ersten Blick ansah. Diese sangen aus vollem Halse: „Der Wolf ist tot, der Wolf ist tot, er sieht nie mehr das Morgenrot.“
Der Tisch, an dem die Drei saßen, war bedeckt mit den leckersten Speisen, die man sich nur vorstellen konnte.
Als der älteste der Brüder den gedeckten Tisch sah, rief er laut: „Da ist ja mein Tischlein deck dich. Ich erkenne es genau. Es hat an einem Bein einen kleinen Riss im Holz. Schaut ihn Euch an.“
Hans Glück begutachtete den Tisch, und nachdem er festgestellt hatte, dass der Geselle die Wahrheit gesagt hatte, nahm er den Wirt, der aus der Küche herbeigeeilt war, ins Gebet und beschuldigte ihn des Diebstahls des Tischchens und des Esels. Der Wirt stritt alles ab und beteuerte seine Unschuld. Das brachte den jüngsten der Brüder dermaßen in Rage, dass er rief: „Knüppel aus dem Sack!“
Kaum ausgerufen, sprang aus dem Sack ein Holzknüppel, der munter anfing das Fell des Wirtes so lange zu gerben, bis dieser ausrief: „Haltet ein, ich will alles gestehen.“
Auf Befehl des jüngsten Bruders verschwand der Knüppel wieder im Sack, der Wirt erzählte, wie er den Büttel auf den Lahnwiesen überfallen, und wie er die Tür zur Kammer, in dem sich das Beutegut befunden hatte, aufgebrochen hatte. Man befreite den Esel aus dem Stall, in dem ihn der Wirt versteckt gehalten hatte, Hans Glück fesselte dem Wirt die Hände und man machte sich auf den Weg zum Magistrat der Stadt.
Dem Wirt wurde zur Strafe die Bewirtung des Wirtshauses verboten, seine Frau musste nun die Bewirtschaftung alleine übernehmen, was jedoch kein Nachteil war. Sie erlangte dadurch sehr viel Ruhm und wurde in vielen Reimen als „Frau Wirtin von der Lahn“ geehrt.
Hans Glück wurde befördert, er durfte zu seinem Amt als Büttel zusätzlich noch die Aufgaben eines Nachtwächters übernehmen. Er fand dadurch kaum noch Schlaf. Doch war er überglücklich.
Die drei Schneidersöhne ernteten beim Fest „Drei Tage Marburg“ sehr viel Applaus und Ehre. Durch diesen Erfolg angeregt zogen sie in die weite Welt, um ihren Ruhm zu mehren. Und wenn sie nicht gestorben sind …

© R. Güllich

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4 Kommentare

Hallo Fred,
ich werde mich bemühen.
Grüße
Rainer

Wie Fred schon sagt, sehr gut zu lesen.

Ich finde es sehr schön das du "Märchen" zu deinem Thema machst. In der heutigen Zeit geht dies leider unter. Ich finde das diese Geschichten das Leben bereichern. Ich freue mich schon auf deine nächsten Zeilen !

Viele Grüße
Christine

Hallo Christine,
ich bin Mitglied einer kleinen Schreibgruppe und wir haben uns alle mal an Märchen probiert. Mir hat es jedenfalls Spaß gemacht, das Märchen zu schreiben.
LG
Rainer

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