Alte Marburger Geschichten – Teil 1 – Streit auf der Weidenhäuser Brücke
Die Marburger Geschichten, die beginnend mit diesem Beitrag in dieser Form in einer unregelmäßigen Zeitfolge erscheinen werden, sind sämtlich mehr als ein halbes Jahrhundert alt. Ob sie tatsächlich in dem aufgeschriebenen Wortlaut geschehen und nachprüfbar sind, ist nicht immer gewiss. Auch sind Personen nicht mit Namen aufgeführt. Denn die Mehrzahl der damals Aktiven ist noch – glücklicherweise – am Leben, wenn auch schon ziemlich bejahrt.
So in den 1950er Jahren kam es in Marburg zwischen den Jungen der einzelnen Stadtteile immer wieder zu Streitigkeiten. Man kannte sich aus der Schule oder schon aus dem Kindergarten. Die Eltern, die Väter, waren vielleicht ebenso „tätig“ gewesen. Und die Langeweile - es gab kaum andere Abwechslungen als Umherstreunen in der Umgebung - tat ihr übriges. Spielplätze waren die Lahnwiesen und anliegende Waldstücke.
Doch beim zufälligen Aufeinandertreffen von Jungengruppen gab ein Wort das nächste. Und man wollte sich nichts gefallen lassen und Stärke zeigen. So etwa muss es gewesen sein, dass eine kleine Gruppe von Jungen aus der Oberstadt, „Oberstädter“ nannten sie sich (bis heute), nach Weidenhausen ging, um dort etwas zu regeln. Die „Weidenhäuser“ waren sozusagen ein Lieblingsgegner der Oberstädter.
Die Sache muss sehr laut geworden und wohl zu einer richtigen Schlägerei ausgeartet sein. Von Anwohnern der Weidenhäuser Straße war die Polizei gerufen worden. Diese erschien auch in Form von zwei Polizisten.
Beim Erscheinen der Polizisten zog sich die kleine Gruppe der Oberstädter zurück. Als die Oberstädter bereits auf der Weidenhäuser Brücke angelangt waren, verfolgte sie einer der beiden Polizisten bis auf die Brücke.
Der Polizist, der ihnen nacheilte, war von relativ kleiner Figur. Dagegen hatten die Oberstädter sämtlich eine sehr kräftige Gestalt. Es war wohl der stärkste der Truppe, der in der Mitte der Weidenhäuser Brücke stehenblieb, während die anderen sich weiter zurückzogen. Der kräftige Oberstädter wartete dort auf den Polizisten.
Als der kleine Polizist bei dem kräftigen Oberstädter Jungen ankam, hob dieser den Polizisten an den Schultern hoch als ob dieser ein schlecht gefüllter Mehlsack wäre und warf den Uniformierten über das Geländer in die Lahn.
Die Geschichte hatte natürlich ein Nachspiel. Alle Beteiligten waren stadtbekannt. Es kam zu einer Gerichtsverhandlung. Nach Jugendrecht wurden die Oberstädter zur Ableistung von Arbeitsstunden verurteilt.
Letztendlich ist aus allen Beteiligten noch etwas „Vernünftiges“ geworden. Durch ihr späteres Engagement in Beruf und sozialen Einrichtungen sind die Namen in der Presse mehrmals erwähnt worden. Aber in diesem Bericht werden sie verschwiegen.
Im Mittelalter wäre so eine Brückenschlacht für die Angreifer in Frankfurt anders ausgegangen. Auf der großen Mainbrücke befand sich das Bild eines gegeißelten Mannes, darunter stand: "Wer dieser Brücken Frieden bricht, dem wird die frevele Hand gericht´", ihm wurde die Hand abgehackt. Auf der Brücke ruhte der Burgfriede. Dessen Zeichen war eine abgehauene Hand: die Hand, die dort nur eine Waffe aus der Scheide zog, wurde vom Henker abgehauen.