5. Teil: Kinder- und Jugendjahre im Schatten des Nationalsozialismus - Erinnerungen der 89-jährigen Zeitzeugin Maria Bengtsson Stier
1933 – ….zu Beginn der Machtübernahme Hitlers 1933 sah nämlich alles wirklich sehr vielversprechend aus.
Die Arbeitslosigkeit sank tatsächlich ganz radikal. Und die Menschen lebten fortan in der Illusion, Hitler sei der Retter des deutschen Volkes. Viele Zweifler wurden nun bekehrt. Nicht so mein Vater, er war katholisch und Katholiken waren nicht sehr leicht zu bekehren! Er saß zu Hause und brummelte vor sich hin: „Alles ist nur ein großer Bluff. Was will der Hitler, dieser Streikbrecher denn eigentlich?“ Und meine Mutter (sie war evangelisch und das waren wir Kinder auch) sagte nun ihrerseits: „Sei still, sei still – es hört Dich ja sowieso keiner“. Und das war wohl Vaters Glück, dass niemand seine Einstellung kannte und seine Äußerungen hörte. Solche Personen hat man später als Landesverräter verhaftet und in ein Konzentrationslager gesteckt.
Nach dem ersten Freudentaumel über die beseitigte Arbeitslosigkeit und der „Winterhilfe für Bedürftige“ wurde das deutsche Volk recht bald mit Hitlers „restlichen“ Ideen konfrontiert.
Es begann damit, dass plötzlich das Morgengebet in der Schule verboten wurde. Stattdessen mussten wir Kinder eine Viertelstunde vor Schulbeginn im Schulhof erscheinen. Zuerst wurde Frühsport zur Ertüchtigung des Körpers getrieben, dann mussten sich alle Schulkinder schnurstracks aufstellen und so wurde ein „Heldenspruch“ – jeweils von einem Schüler oder einer Schülerin – vorgetragen. Hinterher wurde gemeinsam ein forsches Parteilied gesungen. Dann mussten wir mit erhobenem, ausgestreckten Arm und ernsten Mienen ehrfürchtig die neue Hakenkreuzfahne grüßen, die im Schulhof gehisst wurde. Weh dem, der während dieser Zeremonie plauderte oder gar kicherte…
Ein Spruch ist mir noch ganz genau in Erinnerung, denn auch ich war einmal „auserkoren“ den obligatorischen Morgenspruch vorzutragen. Es ist vielleicht interessant, ihn hier anzuführen:
„Siehe zerspalten in tausend Risse
taumelt die Menschheit ins Ungewisse.
Kein gemeinsamer Glaube eint,
keine Menschheitssonne mehr scheint
tröstend am Himmel!“
Ja, Hitler strebte auch eine gemeinsame Religion an, die an den heidnischen uralten, germanischen Götterglauben erinnerte.
Also, erst nach dieser oben geschilderten, ausgeprägten Morgenzeremonie durften wir Kinder „die Reihen fest geschlossen“ in unsere Schulsäle marschieren. Das war dann jeden Tag die gleiche "feierliche“ Handlung, doch gab es immer wieder neue Sprüche und neue Lieder. Nun, die meisten Menschen nahmen die Sache anfangs nicht gar so ernst, denn das inzwischen „abgeschaffte“ Morgengebet hatte ja den Arbeitslosen keine Arbeit verschafft, so war es wohl auch nicht so wichtig es beizubehalten, dachten sie.
Langsam aber sicher glitt jedoch auch der Unterricht ins Politische hinein. Wir mussten politische Aufsätze schreiben, die ich verabscheute, denn ich konnte nichts „Politisches“ aufs Papier bringen. Wenn wir unsere Aufsatzthemen frei wählen durften, dann flossen mir die Sätze ganz von selbst aufs Papier. Aber ein Thema wie „Blut und Boden“ war eine harte Nuss für mich. Ich hasste Politik, sie verdarb ja so viel und sie schränkte die Fantasie ein!
Auch in der Zeichenstunde mussten wir politische Zeichnungen anfertigen. So bekamen wir eines Tages das Thema „Not“ gestellt. Da saßen wir vor unseren Zeichenblöcken und grübelten. NOT, sonst nichts! Wie konnte man NOT als Zeichnung aufs Papier bringen?
Nun hatte ich lange vorher in einer Zeitung einmal eine Reklame gesehen, die dieses Thema behandelte. Da lag ein breites Brett mit der Aufschrift NOT. Eine Faust zersplitterte das Brett und plötzlich war die Not gebrochen. Ich machte eine ähnliche Zeichnung und breitete allerhand Essbares rundherum aus. Für diese Zeichnung erntete ich viel Lob. Natürlich habe ich nicht erzählt, woher diese Idee stammte! Und das mit dem Essbaren – das war nun wirklich meine Idee….
Fortsetzung folgt….http://www.myheimat.de/linz-am-rhein/ratgeber/6-te...
Danke für deine Mühe.