Ende getrennter Mädchen- und Knabenschulen
Im Jahr 1972 beschloss man in der englischen Stadt Great Malvern, dass sich das Boys’ College und die vier Mädcheninternate (Girls' College, Ellerslie, St. James' und The Abbey) den gemischten Unterricht zum Ziel setzen sollen – zunächst aber nur in den Oberklassen. Der akademische Wert dieses Unterfangens stand in keinem Verhältnis mit den damit verbundenen Schwierigkeiten der Planung und Logistik. Dennoch akzeptierte ein Teil der Lehrerschaft nach Abwägung neuer soziologischer Erkenntnisse die Notwendigkeit, die Gesamtjugend in ein Klassenzimmer bringen zu müssen.
Für die einzelnen Lehrkräfte war es auch eine ganz neue Erfahrung, vor beiden Geschlechtern Schulstunden abzuhalten. In zwei Fachbereichen gab es bereits solche Erfahrungen. Vorreiter waren die Naturwissenschaften. Ellerslie, das dem College am nächsten gelegene Pensionat, war naturwissenschaftlich recht dürftig ausgestattet, wogegen dieser Bereich im Malvern College nationalen Ruf besaß und dies auch im Hinblick auf seine innovativ-wissenschaftliche Unterrichtsmethodik. So waren sich die Verantwortlichen schnell einig, dass Ellerslie-Schülerinnen diese Einrichtung mitbenutzen durften – gegen Bezahlung versteht sich. Demnach waren es hauptsächlich ökonomische Aspekte, die hier eine Rolle spielten. Als nächstes folgte aus ähnlichen Gründen heraus der Fachbereich Geschichte. Bereits 1965 hatte die Schulleiterin von Ellerslie (Miss Prior) Mr. Blue vom College darum gebeten, erstens Mädchen rüberschicken zu dürfen und fragte zweitens bei Ihm an, ob er als Geschichtslehrer nicht auch dazu bereit wäre, in seinen Freistunden ins Mädchenheim zu kommen. Blue willigte mit Freuden ein, denn er hatte schon immer viel vom gemischten Unterricht gehalten. Seine ersten Erfahrungen mit den Mädchen bereiteten ihm Vergnügen. Es war eine Umstellung für ihn, aber er hielt es nicht für notwendig, seine bisherigen Lehrmethoden zu verändern. Als er zuhause die ersten Klassenarbeiten durchging, schaute ihm seine Frau Mary über die Schulter. Und sie sah, dass er die gleiche Art Kommentare hinzufügte wie bisher bei den Jungs. Er formulierte Sätze wie „Das ist wirklich ein schwacher Versuch“. Daraufhin meinte sie: „So kannst du das aber nicht schreiben. Sonst werden noch Tränchen fließen!“ Als er die Tests wieder austeilte, sprach er mit den jungen Damen über die Bedenken seiner Gattin. Er habe ihr aber erwidert, meinte er, seine Schülerinnen hätten sicherlich ausreichend Verständnis und Charakter, um mit seinen Kommentaren klar zu kommen. Er behielt damit Recht. Was die gemischten Klassen betraf, benahmen sich die Buben nicht gerade wie Gentlemen. Am ersten Morgen belegten sie gleich sämtliche Plätze in Wandnähe des Klassenraums, so dass sich die Mädels umzingelt fühlten – nur eines der Probleme, denn über Jahre hinweg waren sie auch in der Minderheit, was ein natürliches Miteinander noch mehr behinderte. Lehrer Blue stellte dies bald ab, indem er Sitzreihen bildete, in denen abwechselnd Jungs und Mädels saßen. Die Kerls streuten daraufhin das Gerücht, ihr Lehrer wolle jetzt Pärchen bilden. Und sie trugen weiterhin sehr wenig dazu bei, den jungen Damen das Gefühl zu geben, willkommen zu sein. Eines Tages, als die Mädchen mal aus irgend einem Grund in Ellerslie aufgehalten wurden, nahm sich Mr. Blue seine Boys zur Brust. Ein Lümmel sagte: „Nun, Herr Lehrer, Sie werden mit mir einig sein, dass die wohl kaum ein Gottesgeschenk für den Mann darstellen“, womit er die weit verbreitete Enttäuschung ausdrücken wollte, bei den Mädchen von Ellerslie handele es sich nicht wirklich um Glamourgirls. Die Entgegnung des Lehrers war eine klare: „Und was genau gibt dir das Gefühl, Gottes Geschenk für die Frau zu sein?“ In jenen Tagen wurden noch fast alle Jungs mit ihren Familiennamen angesprochen. In kleinen Abiturgruppen änderte sich dies zuweilen. Einzelne Lehrer verwendeten also den Vornamen. Dieser Übergang erschien immer etwas komisch und peinlich. In Mädchenschulen wurde jedoch fast nur der Vorname benutzt. Bevor nun die Mädchen erstmals auftauchten, hatte man den Jungs gesagt, dass man sie auch beim Vornamen rufen wolle. Den Lehrern waren mitunter die Vornamen ihrer Zöglinge aber gar nicht geläufig - das war damals einfach so üblich - und einige Schüler fühlten sich peinlich berührt, mit ihren Vornamen herausrücken zu müssen, besonders wenn es sich um einen ausgefallenen handelte. Wie verknöchert viele Ansichten im Schulleben der 1970er Jahre doch waren! Wenig später erschien es fast noch verkünstelter, die Jüngeren mit Nachnamen aufzurufen. Man kam zu der Einsicht, dass es einen kleinen aber feinen Unterschied machte im Hinblick auf die Atmosphäre in der Klasse. Und heute ist man froh darum, dass schon vor der endgültigen Einführung des gemischten Unterrichts in Malvern die Verwendung des Vornamens in der Schule durchweg zur Regel geworden ist.
Bei uns im Landkreis gibt es noch eine Jungen-Realschule und eine Mädchen-Realschule. Bayern eben :-)