Gästehaus am Schützengraben
Früh um 7.00 Uhr (1. Mai ’09) brachen wir auf, mein jüngster Sohn Tom und ich, in Richtung Frankreich. Wir wollten die Gegend erkunden, in der sich vor rund 95 Jahren unsäglich schreckliche Dinge abspielten – das Gebiet am Fluss „Somme“, knapp 100 km nördlich von Paris. Der erste Weltkrieg tobte dort und riss auch unseren Großonkel Immanuel mit in den Tod. Das Jahr 1915 forderte ungeheure Opfer, Immanuel starb genau am Weihnachtstag. Noch schlimmer sollte es 1916 kommen als allein am 1. Juli die britische Armee 58000 Mann verlor, davon 20000 Gefallene. Ein geeignetes Quartier hatten wir schon übers Internet ermittelt. In Avril Williams’ Gästehaus, das genau an der früheren Kampflinie steht (Auchonvillers), wurden wir mit britischer Herzlichkeit und der obligatorischen Tasse Tee sehr freundlich empfangen. Tom erhielt auch gleich einen Auftrag: Er durfte Hühnereier aus den Nestern einsammeln und das kleine schwarze Lämmlein mit der Milchflasche versorgen. Im Gegensatz zu den hellen Lämmern wurde dieses von den Mutterschafen abgewiesen.
Noch am selben recht sonnigen Abend fuhren wir zum circa 10 km entfernten deutschen Soldatenfriedhof bei Fricourt, um das Grab unseres Verwandten aufzusuchen. Einen Engländer lernten wir kennen, der sich zur Aufgabe gemacht hat, jedes einzelne Grabmal zu fotografieren und die Aufnahmen interessierten Nachkommen gegen Gebühr anzubieten. Heute ist es in dieser Landschaft sehr still und wir hatten eine wirklich geruhsame Nacht. Schon lange nicht mehr wurde ich vom Hahnenschrei geweckt. Natürlich blieben wir noch geraume Zeit in den Federn, da Frühstück erst auf 8.30 Uhr vereinbart war.
English breakfast. Eine Gruppe von etwa 10 Nord-Iren war ebenfalls noch am Vorabend eingetroffen, die wir nun auf der Tearoom-Veranda antrafen. Ins Gespräch kam ich mit Colonel Derek Smyth, Direktor einer Wohltätigkeits-Stiftung, die sich in Zeiten der Not um ehemalige Soldaten und deren Familien kümmert. Erster Programmpunkt war Avril Williams’ große Privatsammlung an Erinnerungsstücken beider Weltkriege, die in einer großen Scheune untergebracht ist. Danach gings in die Stadt Albert, wo wir das sehr beeindruckende Untergrundmuseum "Somme 1916" – natürlich auch die Stadt selbst – besichtigten. Bei Kriegsende gab es hier nur noch Schutt. Erst in den 20er Jahren begann hier wieder der Aufbau – vorrangig in Backsteinarchitektur.
Einige weitere Monumente und Soldtenfriedhöfe besuchten wir an diesem 2. Mai. Hervorheben möchte ich hier das weithin sichtbare französisch-britische Denkmal bei Thiepval. Ein erschütternder Eindruck: 73367 Namen gefallener Frontsoldaten sind in den Stein der Gedenkstätte gemeißelt und zwingen zur Besinnung und zum Nachdenken. Im großzügig angelegten Informationspavillon versorgte ich mich mit Literatur, die andernorts nicht in solch reichhaltiger Auswahl zur Verfügung steht.
Meinem Sohn war noch wichtig, den gigantischen Lochnagar Minenkrater mit seinen 100 Metern Durchmesser und 30 Metern Tiefe anzusteuern. Wir waren überwältigt. Bei Beaumont – dem Dorf, wo Immanuel Felder von einem Granatsplitter am Kopf tödlich getroffen wurde – gibt es einen beachtlichen Gedenkpark, der sich auf 16 Hektar erstreckt. Er wird von der kanadischen Regierung betreut, denn hier verlor das 1st Newfoundland Regiment in weniger als einer halben Stunde mehr als drei Viertel seiner Männer.
Bevor wir wieder zu unserem Quartier im nahen Dorf Auchonvillers zurückkehrten, ließen wir es uns nicht nehmen, eine Kuriosität, über deren Geschmack sich durchaus streiten lässt, aufzusuchen, nämlich das Pub oder Café "Le Tommy" im Ort Pozières an der kerzengeraden Straße zwischen Albert and Bapaume gelegen. Mit Schaufensterpuppen sind hier im Garten sowohl englische als auch deutsche Schützengrabenszenen nachgestellt worden. Avril runzelte ein wenig die Stirn, als wir ihr erzählten, dass wir da drin gewesen seien. Der Tag war wie im Flug vorüber. Bei Zeiten legten wir uns schlafen, denn am Sonntag, nach dem um eine Stunde vorgezogenen Frühstück mussten wir auch schon wieder die Rückreise über Reims, Metz, Karlsruhe und Stuttgart antreten. Am frühen Nachmittag kamen wir wohlbehalten zuhause an.
Jetzt hab ich erst mal auf der Karte geschaut wo Auchonvillers liegt!
Da ward Ihr bestimmt eine Weile unterwegs und ich kann mir gut vorstellen wie interessant dieser Ort mit der traurigen Vergangenheit war. Es ist nicht zu fassen was so ein Krieg anrichtet. Und es sind alles Einzelschicksale. Mein Großvater war auch im ersten Weltkrieg, da hab ich sogar noch Post von der Front, er hat überlebt. Schlimm das er erleben mußte wie seine 4 Söhne in den zweiten Weltkrieg zogen, denn er wußte ja, was sie erwartet.
Da hast Du einen wirklich guten Bericht geschrieben!