Tod, Sterblichkeit im Kindbett und Beerdigungsritus zu Groß Lafferde in früherer Zeit
Blättert man in alten Kirchenbüchern der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Groß Lafferde, so stellt man fest, dass der Tod allgegenwärtig war.
Die Menschen wurden meist nicht älter als 50 bis 65 Jahre. Was altersmäßig darüber lag, waren schon Ausnahmen. Ganz selten wurden Lebensalter von 90 und mehr Jahren erreicht.
Kindersterben war nichts Ungewöhnliches. Immer wieder findet man Totgeburten. Viele werdende Mütter starben an Schwangerschaftsproblemen, Komplikationen bei der Geburt und nachfolgenden Infektionen.
Mangelnde ärztliche Versorgung, fehlende Behandlungsmöglichkeiten und mangelnde Hygiene führten zu frühem Tode. Erkrankungen, die heute erfolgreich behandelt werden können oder inzwischen ausgerottet sind, verliefen meist tödlich.
Besonders gefährdet waren Gebärende. Der k. u. k Arzt Dr. Semmelweis führte einen Großteil der tödlichen Infektionen, das sogenannte Kindbettfieber, auf mangelnde Hygiene zurück.
Er bemerkte, dass in einer Klinik, in der Studenten Geburtshilfe leisteten, mehr Frauen starben, als dort, wo Hebammen tätig waren.
Als ein befreundeter Gerichtsmediziner während einer Leichensektion von einem Studenten mit dem Skalpell verletzt wurde und wenige Tage später an einer Blutvergiftung starb (ähnlicher Verlauf wie beim Kindbettfieber), erkannte Semmelweis die Ursache. Statt den werdenden Müttern zu helfen, übertrugen Ärzte und Studenten bei gynäkologischen Untersuchungen ungewollt den Tod (Leichengift), weil sie zuvor Leichen seziert hatten. Nach Einführung wirksamer Desinfektionsmaßnahmen konnte die Sterblichkeitsrate von 12,3 % auf 1,3 % gesenkt werden. Aber die Zeit war für solche Erkenntnisse noch nicht reif. Selbst der große Virchow hatte damit Probleme. Semmelweis wurde von Kollegen angefeindet, der Scharlatanerie bezichtigt, verlacht und letztendlich in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert, wo er nach kurzer Zeit unter mysteriösen Umständen verstarb.
Adolf Nülle (*1855 †1933) beschreibt aus zeitgenössischer Sicht den Ablauf von Beerdigungen in Groß Lafferde und nimmt dabei auf die Beerdigung einer „Kindbetterin“ Bezug:
Zur Beerdigungen wurde früher ein weißes Leinentuch über die Tragbahre gelegt. Hierauf kam der Sarg zu stehen, über den man ebenfalls ein weißes Leinentuch hängte.
Särge waren früher schwarz angestrichen und mit weißen Beschlägen geziert. Kindersärge waren meistens braun. Erst in den 1870er Jahren wurden eichenholzartig getönte Särge üblich neben Särgen aus Eichenholz.
Eine Zeitlang vor dem Hinaustragen des Sarges standen auf dessen Deckel 2 bis 4 Leuchter mit brennenden Kerzen. Diese wurden auch nach dem Hinausgetragen des Sarges nicht ausgelöscht. Man ließ sie ganz abbrennen, um die Totenruhe nicht zu stören.
Der Sarg wurde vom Sterbehause aus von 8 Trägern zu Grabe getragen. Seit Anschaffung des Totenwagens im Jahre 1888 wurde die Leiche gefahren.
Etwa 20 Schüler und 2 Lehrer begleiteten den Leichenzug vom Sterbehause bis zum Grabe und sangen den Gesang Nr. 344 (Liederkern): „Nun lasset uns den Leib begraben“ (im aktuellen EG nicht mehr enthalten). Am Grabe setzten die beiden Lehrer den Gesang des Schülerchors mit einem weiteren Vers zweistimmig fort.
Seit dem Jahre 1906 begleiteten Schülerchor und Lehrer den Leichenzug nicht mehr. Sie traten erst vor den Zug, nachdem der Sarg am Friedhofstor vom Wagen genommen war.
Ab April 1919 hörte der Grabgesang ganz auf.
Bei der Beerdigung einer im Wochenbett Gestorbenen wurde von 6 jungen Frauen vom Augenblick des Hinablassens des Sarges in das Grab, bis zu dessen Verfüllung mit Erde, ein leinenes Laken über den Sarg hochgehalten. Im Kirchenbuch findet sich unter Nr. 14/1893 der Hinweis des Pastors Denkert „Als Wöchnerin unter dem Laken beerdigt“.
Was es mit diesem Ritual auf sich hat, konnte ich leider nicht ermitteln. Falls Leser dieses Beitrages etwas darüber wissen, würde ich gern davon erfahren.
Die Verfüllung des Grabes oblag ursprünglich den 8 Sargträgern. Später warfen nur der Pastor, die nächsten Angehörigen und gute Freunde der verstorbenen 3 kleine Schaufeln voll Erde in das Grab. Die eigentliche Verfüllung besorgte anschließend der Totengräber.
Es war hierorts früher Sitte, dass das Gefolge nach dem Verlassen der Grabstelle in die Kirche ging und hinter dem Altar eine Opfergabe in den Armenstock legte. Diese Sitte schlief bald nach dem Jahre 1900 ein, weil angeblich keine Ortsarmen mehr vorhanden waren.
Die Kranzgabe war hier in alter Zeit nicht bekannt. Erst ab den 1880er Jahren wurden Kränze, meist aus künstlichen Blumen, gegeben. Seit der Niederlassung eines Gärtners in Nr. 284 (jetzt Bierstr. 9) verwendete man weitgehend natürliche Blumen.
Von Grabgeläut schrieb Adolf Nülle nichts. Das war wohl zu selbstverständlich, um es zu erwähnen. Fest steht, dass bei zwei Beerdigungen während des Geläutes jeweils eine Glocke zu Schaden gekommen ist (KB 14/1677 und 14/1749).
An dem der Beerdigung folgenden nächsten Sonntage pflegten die nächsten Angehörigen der verstorbenen zur Kirche zu gehen, um die von dem Pastor auf der Kanzel gesprochene Danksagung anzuhören.
Quellen:
Adolf Nülle, Kirchliche Sitten und Gebräuche; Wikipedia; Ev.-Lt. Kirchengemeinde Groß Lafferde, Sterbebuch.
Alles, aber auch alles später für die Menschheit Überlebenswichtige wurde zuerst mal für Blödsinn gehalten und ausgelacht.