Der Bimmelmann von Groß Lafferde
Dank moderner Informationstechnologie kann man sich im Internet zu jeder Tages- und Nachtzeit über Gott und die Welt, sogar über lokale Angelegenheiten, informieren.
In früheren Jahrhunderten wurden die wenigen wichtigen örtlichen Angelegenheiten auf Bauern- oder Meyerdingen bekannt gegeben. Man bediente sich auch des Anschlages am schwarzen Brett oder an Kirchentüren. Das berühmteste Beispiel ist der Thesenanschlag Luthers am 31.10.1517 an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg.
Es könnte sein, dass man sich in Groß Lafferde ähnlich verhielt. Überliefert ist, dass eine Kirchenglocke geläutet wurde, wenn außer der Reihe Angelegenheiten von besonderer Wichtigkeit bekanntzugeben waren. Die Einwohner versammelten sich dann auf dem Thie, möglicherweise auch im Speelhus (1626 abgebrannt).
Irgendwann (der Zeitpunkt ist mir nicht bekannt) wurde ein Ausrufer beauftragt, die kommunalen Nachrichten im Dorf zu verbreiten.
Aus Kindertagen erinnere ich mich noch an den ehemaligen Gemeindediener Hermann Duckstein, Marktstraße 42 (Käsebeutel), der gleichzeitig Ausrufer war. In dieser Funktion habe ich ihn allerdings nicht mehr erlebt. Er war Jahrgang 1878 und schon längst Rentner.
Der erste Ausrufer, den ich noch aktiv gesehen und gehört habe, war Karl Baumgarten, Bierstraße 83.
Die im Benachrichtigungswesen fortschrittlichere Gemeinde Groß Bülten verbreitete bis Ende der 1960er Jahre Nachrichten über fest installierte Lautsprecher. Es wäre interessant zu wissen, wie andere Gemeinden ihre Bürgerinformation in früheren Zeiten gehandhabt haben.
Der letzte Groß Lafferder Ausrufer war Josef Michalitschke, Marktstraße 9 (alte Kapelle). Ich kann mich noch genau an ihn erinnern. Er zog auf seinem alten Damenfahrrad (selbstverständlich ohne Gangschaltung) durch das Dorf. Vorn am Rahmen war ein Haken befestigt, an dem seine Glocke hing. Kurz bevor er die festgelegten Ausruferstationen erreichte (z.B. jetzige Marktstraße/Ecke ehemaliger Käsebeutel), nahm er die Glocke und fing an zu bimmeln. Dann stieg er vom Fahrrad. Die Einwohner öffneten Fenster oder Türen und lauschten dem, was er zu verkünden hatte.
Obwohl relativ klein von Gestalt, hatte er doch eine kräftige, markante Stimme. Dass er aus dem Osten Deutschlands stammte (Heimatvertriebener) konnte und wollte er dabei nicht verleugnen.
Der Volksmund nannte ihn den „Bimmelmann“ oder auch „Klingelmann“.
Er war aber nicht nur in Gemeindeangelegenheiten unterwegs. Vorwiegend Landwirte nutzten seine Dienste. In ihrem Auftrage gab er am Vorabend bekannt, dass am nächsten Tage auf einem bestimmten Felde Erbsen oder Bohnen zu pflücken waren. Das war vorwiegend für Hausfrauen, in den Ferien aber auch für manches Schulkind, eine willkommene Gelegenheit, die Kasse aufzubessern.
Überhaupt hatte die Landwirtschaft in den 1950er Jahren bis in die 1960er Jahre hinein, ein viel größeres Mitteilungsbedürfnis als heute. Es ging dabei um Themen wie Gräben ausmähen, Unkrautbeseitigung, Bullen und Eberhaltung, Schädlingsbekämpfung (Ratten, Kartoffelkäfer, sogar Sperlinge zählten dazu).
Auch die Konservenfabrik ließ ihre Anliegen verkünden. Das örtliche Kino warb mit „Reitet für Deutschland“ und Willi Birgel.
Andere Themen waren Zahlung von Grund- und Hundesteuern, Straßenreinigung, Kläranlage, Müllabfuhr, Tohnkuhlenbenutzung (Schuttkuhle), Anlieferung von Früchten zur Süßmostherstellung, Lafferder Markt und und und… .
Irgendwann war das Ausrufen nicht mehr zeitgemäß.
Es wurde notwendig, ausführlichere Informationen zu verbreiten, als das durch die Verkündigung eines Mehrzeilers möglich war. Die Zahl der Nachrichten nahm erheblich zu. Der stark angestiegene Geräuschpegel des Straßenverkehrs behinderte die Verständigung und der mittlerweile 70-jährige Bimmelmann konnte stimmlich nur noch schwer dagegenhalten.
So entschloss sich die damalige Gemeinde Groß Lafferde im Jahre 1965, auf das Ausrufen zu verzichten und stattdessen jedem Haushalt ein öffentliches Mitteilungsblattblatt zur Verfügung zu stellen.
Einer der letzten Ausrufe des Bimmelmannes aus dem Jahre 1965 lautete:
„Die Gemeinde druckt ab sofort ein Mitteilungsblatt für alle Haushaltungen. Damit entfällt die Bekanntmachung durch Ausschellen und Ausruf. Ich stehe auch für private Ausrufe nicht mehr zur Verfügung, weil mich der neue Gemeindedirektor wegen Vollendung des 70. Lebensjahres unbedingt in Rente schicken will“.
Damit waren das allen so wohlbekannte Bimmeln und die Stimme des Ausrufers nur noch Erinnerung.
Danke für die interessante Bimmelmanngeschichte!