Neuguinea - Kein Schlaraffenland (Teil 2)
Meine Großtante hat ihre Briefe an meinen Großvater, der im Elternhaus wohnte, adressiert. Da sie die Briefe immer an alle ihre Geschwister richtete, hat mein Großvater diese an seine Schwestern weiter gereicht.
Generalkapitel in Steyl und Stippvisite in der Heimat
Im Jahr 1930 schreibt mein Großvater einen Brief an seine Schwester in Neuguinea und fügt ein Familienfoto bei. Das Antwortschreiben meiner Großtante ist vom 07.12.1930: "... Es hat mich besonders gefreut deine Familie, lb. Bruder Josef, wenigstens vom Bilde nach kennen gelernt zu haben. Ich nehme die Photographie wiederholt zur Hand und schaue mir einen jeden von Euch gut an. ...Gesundheitlich geht es mir sehr gut, nur das Augenlicht ist schwächer geworden. ..."
Anfang des Jahres 1932 sendet Schwester Imelda erneut einen Brief in die Heimat, der mir jedoch nur teilweise vorliegt. Krankheiten und das Problem der Arbeitslosigkeit sind ein Thema für meine Großtante: " ... Im November starben hier innerhalb 3 Wochen ein ganz junger Pater, der noch kein ganzes Jahr hier ist, und ein kräftiger Bruder am Schwarzwasserfieber. ... Anfangs Dezember trat dann der Typhus bei uns auf. Es erkrankten in kurzer Zeit 10 Schwestern hier im Hause. Bei den Patres und Brüdern waren 6 - 7 Kranke. Im Hause der Halbwaisen und schwarzen Mädchen hatten wir ca. 50 Kranke. Das war eine harte Zeit. ...5 Mädchen mußten wir leider zum Friedhof tragen. Dann starben noch die zwei tüchtigsten Brüder, der Baumeister und der Schlossermeister. ...Ob und wann ich mal nach Europa komme, weiß ich nicht. ... Von der großen Arbeitsklosigkeit, die allenthalben auf der Welt herrscht, wissen wir nichts. Unser Arbeitsalltag fängt um 1/4 vor 5 Uhr morgens an und dauert bis abends 9 Uhr. Ich habe sogar zu weilen Überstunden bis 10 oder 11 Uhr. ..."
Von 1925 bis 1931 war meine Großtante Regionaloberin in Neuguinea. Daher sind die bisherigen Briefe in Alexishafen geschrieben. Der nachfolgende Brief vom 17.09.1932 wurde in der Missionsstation Mugil geschrieben: "... Wie du, lieber Bruder, siehst weile ich zur Zeit auf einer anderen Station. Ende April hatten wir hier Neuwahl aller Oberinnen. Meine Amtszeit als Regional-Oberin war abgelaufen und habe ich meine Bürde auf die Schultern einer anderen Schwester gelegt. Ich habe Bestimmung für eine neu zu gründende Schwesternstation erhalten. Weil wegen des Bauplatzes noch mit der Landesregierung verhandelt werden muß, zieht sich die Neugründung noch in die Länge. ..."
Von April bis Juni 1934 fand in Steyl/Niederlande ein Generalkapitel des Ordens statt, an dem auch meine Großtante teilnahm. Während dieser Zeit besuchte sie auch ihre Familie in ihrem Heimatort Lanzingen. Es liegen jedoch keine schriftlichen Dokumente vor, so das ich über diesen Besuch nur das berichten kann, woran sich meine Mutter noch erinnert:
Gemeinsam mit meinem Großvater fuhr meine Mutter nach Hanau, um Schwester Imelda dort abzuholen. Nach einem kurzen Besuch in ihrem Geburtsort Lanzingen, ging die Reise weiter in das Pfarrhaus nach Bieber. Wie lange sie zu Besuch war, kann ich nicht sagen, jedoch steht fest, das sie in der Kirche zu Bieber die heilige Messe feierte. Im Anschluss an die heilige Messe trafen sich alle Familienangehörigen mit meiner Großtante im Pfarrsaal von Bieber. Hier lernte Schwester Imelda die neuen Familienmitglieder nun auch einmal persönlich kennen.
Der letzte Brief ist direkt vor ihrer Abreise von Rotterdam nach Neuguinea geschrieben worden und die Begegnung mit ihrer Familie hat sie beschäftigt: "... Meinem kleinen Johann ... für dein Heidelbeergeld danke ich dir recht herzlich. ...daß du tüchtig laufen kannst habe ich auch gesehen. Du warst ja schon früh in Bieber in der Kirche. ... In unserer Mission haben viele Kinder auch einen weiten Weg zur Schule und zur Kirche. Da hatten die Kinder teilweise auch jeden Morgen über eine Stunde zu gehen. ... Ja es ist im Urwald auch so schön. Da gibt es Eidechsen und Mäuse und Käfer, die gebraten sehr fein schmecken. ... Nun muß ich aber aufhören, sonst bin ich nicht fertig, wenn unser Schiff von Rotterdam abfährt. ..."
Die zweite Amtsperiode als Regionaloberin
Die zweite Amtsperiode meiner Großtante als Regionaloberin in Neuguinea begann im Jahre 1938. Da keine Briefe mehr vorliegen, berichte ich nun anhand der Aufzeichnungen aus dem Buch "Die aus grosser Drangsal kommen" von Schwester Sixta Kasbauer aus dem Jahr 1953:
"...Seit der Besetzung von Pearl Harbour durch die Japaner am 8. Dezember 1941 ist der förmliche Krieg zwischen beiden Mächten entbrannt. ... Aber Japans Siegeslauf schreitet voran. ... So werden die fünfundachtzig Schwestern von ihren Vorgesetzten, von ihrer Regionaloberin vor die Frage gestellt: Ob sie in Neuguinea bleiben ... wollen ?... Die Schwestern erklären sich alle für das Verbleiben im Missionslande. ... Übrigens hatte es die Regionaloberin Schwester Imelda von ihren Missionarinnen nicht anders erwartet. ..."
Am 23. Dezember 1942 erreichen japanische Truppen die Missionsstation St. Michael in Alexishafen und besetzen diese. Der 09. April 1943 wird für die Schwesternstation zum Schicksalstag, da die Alliierten Brandbomben hierauf abwerfen. In dem Buch von Schwester Sixta Kasbauer lesen wir weiter: "... Nun sind die achtundzwanzig Schwestern der Hauptstation obdachlos. ... Einige dürfen ... in den Gayaba-Busch ziehen, zwei Stunden von der Küste, von St. Michael entfernt. Dort befindet sich eine kleine Station mit einer Katechistenschule. ..."
Auch hier können die Schwestern nicht bleiben und so führt ihr Weg sie weiter auf die Manaminsel. Die Schwestern sind hier zwar unbehelligt von Bomben und Kugeln aber: "... Die Regionaloberin, Schwester Imelda, ist trotz aller Sorgen und Bedrängnisse hier einigermaßen beruhigt. Ist es schon eine Wohltat, daß der gütige Missionsarzt Dr. Braun sie von der schmerzlichen Venenentzündung geheilt hat, ...aber noch froher macht sie das Bewußtsein: Nun hat sie sechsundvierzig von ihren fünfundachtzig Schwestern um sich versammelt... Aber wie wird es den übrigen ergehen, ...?"
Am 26. Januar 1944 kommt für die Schwestern der Befehl von den Japanern "Fort von hier !". Aus dem Buch erfahren wir: "... Am 31. Januar muß die erste Gruppe zur Abfahrt bereitstehen, am folgenden Tage die andere. ... Es ist ein beschwerlicher Weg zur Küste. ...Gegen zwei Uhr nachts (es ist der 4. Februar 1944) kommt Nachricht: Das Schiff wird nicht einlaufen. ...Um drei Uhr nachmittags werden die Gefangenen Nippons wieder zur Küste, zur Abfahrtstelle in der Hansabucht geführt (5. Februar). ... Langsam setzt sich das Transportschiff Dorish Maru in Bewegung. ...Es ist der 5. Februar, Samstag abend. Nach zehn Uhr sind bereits einige in Schlaf gesunken. ... Ein Flieger ist unmittelbar über dem Schiff, wirft eine, zwei Bomben ab. Sie fallen neben dem Schiff in die See. ..."
Die Japaner können diesen Angriff abwehren und: "... Nach dieser Episode herrscht wieder Ruhe auf der Dorish Maru. ..."
Leider nimmt diese Schiffsreise kein gutes Ende und so berichtet Schwester Sixta Kasbauer in ihrem Buch: "...Es ist ungefähr zwanzig Minuten nach acht Uhr (am 6. Februar 1944)... Etwa fünfzehn amerikanische Flugzeuge erscheinen am fernen Horizont, kommen immer näher, gerade auf das Schiff zu. ...Wie lange dauert so die Schreckensszene an? Sind es zehn Minuten ? Sind es zwanzig ? Alles Gefühl für Zeitdauer und Zeitmaß ist geschwunden. ...Dreimal umkreisen die Flieger die Dorish Maru. ...Die Angreifer in der Luft mögen auch die daliegenden Schwestern und Zivilpersonen bemerkt haben. Jedenfalls - das Bombardieren und Schießen wird eingestellt. Die Flieger wenden sich und ziehen ab. Stille liegt wieder über der Dorish Maru. ..."
Es war eine trügerische Stille und den wenigen Überlebenden des Schiffes bot sich ein Bild des Grauens. Durch diesen Angriff verloren insgesamt 27 Missionsschwestern ihr Leben. Unter den Toten war auch meine Großtante Schwester Imelda Müller.
An der Küste von Wewäk fand Schwester Imelda zusammen mit den anderen Schwestern ihre letzte Ruhestätte.
Danke Hans-Christoph für die Fortsetzung der Geschichte Deiner Großtante, die leider traurig endet. Was hat der 2. Weltkrieg für einen Elend der Menschheit gebracht. Mein Vater ist auch 1944 gefallen.