...mich künstlich zu betragen
[...]
Wer kennt sich selbst? Wer weiß, was er vermag?
Hat nie der Mutige Verwegnes unternommen?
Und was du tust, sagt erst der andre Tag,
War es zum Schaden oder Frommen.
Ließ nicht Prometheus selbst die reine Himmelsglut
Auf frischen Ton vergötternd niederfließen?
Und konnt er mehr als irdisch Blut
Durch die belebten Adern gießen?
Ich brachte reines Feuer vom Altar;
Was ich entzündet, ist nicht reine Flamme.
Der Sturm vermehrt die Glut und die Gefahr,
Ich schwanke nicht, indem ich mich verdamme.
Und wenn ich unklug Mut und Freiheit sang
Und Redlichkeit und Freiheit sonder Zwang,
Stolz auf sich selbst und herzliches Behagen,
Erwarb ich mir der Menschen schöne Gunst;
Doch ach! ein Gott versagte mir die Kunst,
Die arme Kunst, mich künstlich zu betragen.
Nun sitz ich hier, zugleich erhoben und gedrückt,
Unschuldig und gestraft, und schuldig und beglückt.
[...]
J.W.v.Goethe
aus “Ilmenau”
am 3. September 1783
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Ob er selbst jemals die Tiefe dieser Gedanken ermessen konnte? - Ich für meinen Teil kann dazu nur sagen: Es stimmt! Und vor allem fällt mir auf, wie sinnfern die Kunst ist, sich anpassen zu wollen oder gar zu müssen. Am Ende wird die Maske mir doch entrissen und ich stehe nackt da, wie ich geworden bin und das wäre die Aufgabe, so zu sein.
Warum ausgerechnet Ilmenau diese Entdeckung für Goethe brachte, ist mir fremd, aber das Städtchen und seine Umgebung reizen schon dazu, die Gedanken baumeln zu lassen.