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Kröpcke - Rose im Knopfloch

Rose im Knopfloch

Die Kröpcke-Uhr ist etwas beleidigt, was sie aber nie zugeben würde.
“Ich bin nicht beleidigt. Ich verstehe es einfach nur nicht”, sagt sie, wenn sie nach dem Grund ihres Beleidigtseins gefragt wird. “Stell dir doch einfach mal vor, du gehst zu einer Modenschau und siehst dort die ganze Zeit nur deine eigene Hose an”, versucht sie ihren Gemütszustand zu erklären, “dann weißt du, was ich meine!”
Ich weiß es auch so.
Sie versteht nicht, dass alle Leute, die bei ihr eine Verabredung haben, immer auf ihre eigene Uhr schauen, um zu sehen, ob sie selbst pünktlich und die Anderen eventuell zu spät sind. Dafür kramen sie in ihren Hosentaschen oder schieben sich die Ärmel hoch. Sogar die, die keine Uhr haben, fragen Andere nach der Zeit, anstatt zu ihr hoch zu blicken und ihrem Zifferblatt auch nur einen Blick zu gönnen. Das meint sie mit der eigenen Hose.
“Na, ja, ich muss ja auch nicht alles verstehen”, lenkt sie meistens gleich wieder ein, “und wenn der alte Herr im karierten Anzug, der seine Taschenuhr im Pfandhaus hatte, die dumme Kuh nebem ihm nicht alle zwei Minuten gefragt hätte, wie spät es sei, wäre er vielleicht in eine Falle getappt, aus der er schwer wieder heraus gekommen wäre. Möchtest du die Geschichte hören?”
Natürlich bejahe ich ihre Frage, denn wenn Uhren stand Stunden schon Geschichten schlagen, wäre es sicher sehr frevelhaft, sich denen zu verschließen, vor allem, wenn man selbst die Gabe hat, Uhren zu verstehen.
Während sie erzählt, geht sie immer etwas vor, was sie aber dadurch ausgleicht, dass sie genussvoll etliche Kunstpausen in ihre Erzählung einflicht.
Der alte Herr im karierten Anzug trug eine Rose im Knopfloch und war sehr aufgeregt, so dass man glauben konnte, die Rose habe ihren roten Schatten in sein Gesicht geworfen.
Neben ihm stand eine schwere Dame, deren Mode jeden Trend überdauert zu haben schien. Und ihre zornige Stirn war bis in jede Falte wie aus Stein gehauen.
Um ihr starkes Handgelenk brüstete sich eine goldene Herrenuhr. Die schwere Dame würdigte ihre Uhr aber keines Blickes, sondern musterte alle umstehenden Herren streng entlang deren Revers, stutzte kurz über der Rose des alten Herrns und glitt dann forschend weiter. Und mit jedem erfolglosen Blick begann ihre mächtigte Brust immer heftiger zu beben, so dass das dort mit einer Brosche drapierte Mimöschen vor Schreck in sich zusammen fiel.
“Entschuldigen Sie!”, piepste es ihr plötzlich ins Ohr, “entschuldigen Sie, hätten Sie wohl die genaue Zeit? Wissen Sie ich bin hier nämlich verabredet und ich bin mir nicht ganz sicher...”
“15.20 Uhr!”, fuhr sie dem alten Herrn mit der Rose im Knopfloch über den Mund, bequemte sich dann aber doch einen ersten Blick auf ihre Herrenuhr zu werfen und korrigierte sich: “15.18 Uhr, um genau zu sein.”
Der alte Herr bedankte sich höflich, wurde aber nicht erhört.
Kurz darauf piepste es wieder im Ohr der Dame mit der toten Mimose auf der Brust.
“15.19 Uhr, 15.20 um genau zu sein”, herrschte sie ihn jetzt an, wie eine, die dem Spieltrieb ihres Pudels überdrüssig ist.
Das bemerkte der alte Herr allerdings nicht, dazu war er zu nervös, so nervös, dass er dieses Mal sogar vergaß, sich zu bedanken.
Um 15.23, um 15.23 einhalb, um genau zu sein, fragte er die Dame mit der bebenden Brust, auf der die tote Mimose wogte, zum dritten Mal nach der Zeit.
Daraufhin zog diese ihre Herrenuhr mit dem elastischen Metallarmband über ihr hartes Handgelenk und drückte sie dem verdutzten Alten wie eine heiße Kohle in die Hand.
“Sie können Sie behalten, Sie kleine Nervensäge. Ich habe keine mehr Verwedung für Sie.”
Dann warf sie den Kopf in den Nacken und schnaubte von dannen mit dem Habitus einer zornigen Stute. Nach ein paar Metern wandte sie sich noch einmal um und wieherte mit bleekenden Zähnen in die Menge.
“Ich hätte die Uhr meinem syphillitischen Gatten mit ins Grab geben sollen, dann hätte ich wenigstens meine Ruhe gehabt.”
Der alte Herr wickelte die goldene Herrenuhr wie ein delikates Beweisstsück in sein sauberes Taschentuch, rannte dann noch drei Runden nervös um die Uhr herum und machte sich dann unsichtbar auf den Weg nach Hause.
Bis hier wusste die Uhr zu erzählen. Ab hier weiß ich weiter zu erzählen, weil ich mir die ganze Geschichte schließlich ausgedacht habe.
Also:
In seinem Zimmer nahm der alte Herr sich die Rose aus dem Knopfloch und stellte sie, weil sie noch so gut erhalten war, zu den anderen Rosen in die Vase zurück.
Neben der Vase lag der einzige Brief, den er auf seine Annoce Chiffre 123 bekommen hatte. Und als er ihn nahm, um ihn in den Papierkorb zu werfen, fiel ihm ein totes Mimöschen heraus und zerbröselte auf dem Boden.
“Oj, ja, natürlich, natürlich!”, fiel es ihm plötzlich ein wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
“ Es sollte doch die Mimose sein, mit der ich mich zu erkennen geben wollte. Eine Mimose, Herbert, eine Mimose, keine Rose, Herbert, keine Rose.”
Wenn er sich bein Vornamen nannte, war er besonders streng mit sich selbst. Und wieder glühte er im Gesicht, aber dieses Mal vor Zorn, und um sich die ersten Schweißperlen, die sich um seinen Mund sammelten, abzuwischen, zog er aus seiner Hosentasche das Taschentuch heraus. Doch als er es aufgefaltet hatte und die prahlerische Herrenuhr zum Vorschein brachte, versicherten die Schweißtropfen wie von selbst, die Gesichtsfarbe dimmte sich zurück auf ihr natürliches Gelb eines vollen Mondes und alle Strenge verschwand aus seinem Ton, als er erneut mit sich sprach:
“Herbert, das Schicksal hat es schon gut eingerichtet, dass solche altmodischen Esel wie du und ich nur an Rosen denken, wenn sie auf Brautschau gehen.”

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