"Soll man solche schrecklichen Bilder auf einer Kirchentür festhalten ?"
Zu Pfingsten vor 52 Jahren wird das neue Portal der Marktkirche eingeweiht.
Das hatte sich Stadtsuperintendent Wolckenhaar wohl nicht unter dem Thema "Concordia et Discordia" ("Krieg und Frieden") vorgestellt, was ihm der Bildhauer Gerhard Marcks 1957 als Konzeptskizze zur Neugestaltung der Marktkirchentür vorlegte : die Thematisierung auch der jüngsten deutschen Vergangenheit, von NS-Terror, Krieg und Vernichtung.
Er, der Kirchenmann und Theologe, hätte lieber einen stärkeren Bezug zur Bibel gesehen.
Rückblende :
Im schwersten aller Bombenangriffe auf Hannover, am 9. Oktober 1943, wurde auch die Marktkirche "St. Georgii et Jacobi" schwer getroffen. Der Innenraum der südlichsten Kathedrale der Norddeutschen Backsteingotik brannte komplett aus, die Turmspitze und Teile des Daches stürzten ein.
Die Ruine des Westturms blieb als einziges hochgeschossigess Bauwerk in der Innenstadt stehen und diente den Hannoveranern noch Monate später als Orientierungspunkt in der Trümmerwüste.
Nach dem Krieg wurde der Architekt Dieter Oesterlen mit dem Wiederaufbau der Kirche beauftragt. Oesterlen stellte das Dach und die Turmspitze wieder her, ließ aber im Innenraum radikal alles weg, was verbrannt war: den weißen Verputz aus dem 19. Jahrhundert, die Ballustraden und Balkone - die schlichte Formensprache des roten Backsteins sollte wieder sichtbar werden.
Nun war es vielleicht auch diese radikale Vorgehensweise von Oesterlen, die den Bildhauer Marcks ermutigte, bei der Gestaltung der Kirchentür eine klare (Bild-)Sprache zu finden.
Auf die Thematik "Krieg und Frieden", jeweils auf den Doppeltüren gegenübergestellt, einigte sich der Künstler in einem Vorgespräch mit Wolckenhaar in seinem Atelier in Köln. Als Marks seine ersten Ideenskizzen vorlegte, u.a. das Bild mit dem Titel "politsch Andersdenkender wird erhängt", da befürchtete Wolckenhaar, daß diese und andere Bilder manchem in der Marktkirchengemeinde unbequem werden könnten.
Es ist historisch belegt, daß Wolckenhaar in eindringlichen Briefen mehrfach versuchte, den Künstler zu anderen Darstellungen zu bewegen.
Er mahnte "stärkere Anklänge an die Heilige Schrift" an und schrieb unverhohlen :
"....ich möchte also gar nicht einseitig Stellung nehmen, sondern mich würde eben nur freuen, wenn das, was an volkstümlicher Kraft und echter Frömmigkeit in dem alten Testament an uns überliefert ist irgendwie fruchtbar gemacht werden könnte [...] was für großartige Gestalten und Ereignisse gibt es in den Samuel und in den Königsbüchern oder bei den Propheten..."
Marcks antwortete selbstbewußt in einem Brief an Wolckenhaar :
"...Indessen kann ich nur sagen: am Ende werden Sie mit mir zufrieden sein. Aber in der Zwischenzeit muss ich in Frieden gelassen werden. Keimende Körner darf man nicht stören. Jetzt handelt es sich um die künstlerische Arbeit - die geht von sich wie das Entwickeln der photographischen Platte in der Dunkelkammer: Was drauf ist, wird sich zeigen.Nachträgliche Belichtung stellt das Ganze in Frage".
Marcks hielt unbeirrt an seinen Bildideen für die Türen fest, wußte er doch einen mächtigen (kirchen-)politischen Verbündeten auf seiner Seite : Landesbischof Lilje, der sich entschieden für seinen Plan einsetzte und auf einer großen Besprechung im Oktober 1957 ein Machtwort sprach und forderte, daß die Türgestaltung der "Entscheidung des Künstlers zu überlassen ist"
Ende 1957 wurde zudem beschlossen, daß die Tür eine Schenkung der Stadt Hannover an die Gemeinde werden soll.
Was ist nun dargestellt ?
Links oben auf der linken Tür ("Krieg"), also in Leserichtung am Ausgangspunkt, ist der "Agitator" dargestellt, unverkennbar in Gestik, Mimik und Körpersprache : der ausgestreckte Arm zum Gruß, das Festhalten am Rednerpult unddas hypnotische Anstarren der Zuhörer, die seiner Faszination erliegen.
Gleich rechts daneben das Bild "politisch Andersdenkender wird gehenkt". Die Figur daneben, der mutmaßliche Henker, wird in der kommentierenden Litaratur leicht verbrämt als "Soldat" bezeichnet. Dabei handelt es sich aber um einen deutschen SA-Mann: man erkennt die typische Reithose, Reitstiefel, Koppel und die SA-Mütze. In verhöhnender Pose steht er breitbeinig vor dem gehenkten Opfer.
Dazu finden sich gegenübergestellt auf der rechten Tür ("Frieden") Bauern bei der Aussaat und bei der Ernte. Man erntet, was man säht.
In der zweiten Reihe folgen auf der linken Tür ein Totengräber bei der Arbeit, daneben eine Vergewaltigungsszene eines Soldaten gegen eine Frau.
Gegenübergestellt auf der rechten Seite eine Wiederaufbauszene und die Szene mit dem Titel "Frau , Mädchen und Kind spielen miteinander .
Dritte und vierte Reihe: auf der linken Tür die Szene "Frau rettet Kind aus brennenden Haus" und gleich darunter "...doch nicht vor dem Hungertod", auf dem Bild daneben fallen 2 Menschen von einem Panzer angegriffen zu Boden. Gegenübergestellt auf der rechten Seite "serviert der Tod dem Prasser ein Festmahl", und zwei Kriegsheimkehrer werden gezeigt.
Über den Flügeltüren wird der auferstehende, segnende Christus dargestellt.
Zu Pfingsten 1959 wurde das Portal eingeweiht und Wolckenhaar griff die alten Zweifel im Gemeindeblatt noch einmal auf:
"....und soll man solche schrecklichen Bilder auf einer Kirchentür festhalten ? Wie kommt das Bild eines Henkers mit seinem Opfer am Galgen an das Portal eines Kirchenhauses ?"
Und er gibt sich selbst die Antwort :
"Es ist das Abbild der Welt, in der wir leben....."
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© Bilder und Text : Ingo Oessel
alle Zitate aus :
Marcks, Gerhard: Portal der Marktkirche Hannover, Hannover u. Bremen 1986.
Anderl, dich kann man nicht in eine Ecke schieben, wenn du selber in diese davon krabbelst ;-)