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Die Schneewitwe - eine Erzählung

Die Schneewitwe

Tschiwana war siebzehn, da trat ihr Vater in ihr Zimmer und sagte: "Tschiwana, morgen wirst du heiraten!"
"Schön!" antwortete sie und bürstete sich ihr Haar.
"Ein Bräutigam wird morgen früh vorkommen. Gehe ruhig mit ihm mit. Der Pfarrer ist für zwölf Uhr bestellt. Bis dahin bin ich wieder zurück."
Tschiwana war am nächsten Morgen sehr früh aufgestanden und hatte das Zimmer geheizt, denn der Winter kam dort immer schon im August. Gegen sieben klopfte es. Tschiwana öffnete.
"Guten Morgen, Herr Bräutigam, komm doch herein! Der Vater ist gegen Mittag zurück."
"Ich bin nicht der Bräutigam. Ich bin der Bote," stotterte der Mann, " ich soll dir ausrichten, dass die Bräutigame es leid sind zu kommen. Sie betrinken sich." Dann ging er erleichtert. Tschiwana wurde krank, und ihr Vater pflegte sie zwanzig Jahre. Er starb an dem Tag, an dem sie zum ersten Mal wieder die Stube heizen konnte.
Die nächsten Tage verbrachte Tschiwana damit, sich die Haare auszubürsten. Dazu hörte sie Musik. Sie hatte jetzt ein Radio, das seinen Strom von dem Lawinengenerator bekam. Lawinen gab es dort wie anderswo Wasserfälle.
Am zweiten Sonntag nach ihrer Genesung machte sie sich auf, stapfte durch den Schnee und
kam in die Kneipe, in der sich die Bräutigame betranken.
"Wirt, ein Bier für mich, damit ich mit meinem Bräutigam anstoßen kann!"
Die Männer lachten so schallend, dass sich eine Lawine löste.
"Sie sind guter Dinge", freute sich Tschiwana und setzte sich zu ihnen. "Pfui!" sagte sie zum Bürgermeister, der aus einem Stiefel soff. "Nach der Hochzeit hört das aber auf!"
Der Bürgermeister verschluckte sich.
"Deine Braut ist sehr streng", foppte ihn der Frisör.
Tschiwana stieß mit dem Bürgermeister an. "Und jetzt wisch dir den Schaum aus dem Bart", befahl sie ihm, "der Pfarrer ist für zwölft bestellt!" befahl sie ihm.
Der Bürgermeister grinste von Sinnen in die Runde seiner Saufbrüder und lallte: "Der Pfarrer ist schon da. Er liegt dort unter dem Tisch."
Der Wirt rieb dem Gottesmann das Gesicht mit Schnee ab, und dann wurde es etwas mit Trauung. Danach spendierte der Bürgermeister eine Runde und danach spendierte der Frisör eine Runde, und danach spendierte jeder eine Runde. Und es wurde laut gesungen. Und zum Schluss spendierte sogar der Wirt eine Runde, aber nur eine kleine.
Am späten Abend lud sich Tschiwana den Bürgermeister auf und trug ihn zu sich in die gut geheizte Stube.
Am nächsten Morgen war er verschwunden.
"Er wird wohl regieren," tröstete sich Tschiwana.
Aber am folgenden Sonntag machte sie sich wieder auf zur Kneipe. Denn wenigstens am Sonntag braucht eine Frau einen Mann. "Sonst kann es ja nicht weiter gehen mit der Welt,"
erklärte sie der Photographie ihres Vaters auf dem Kamin.
"Komm jetzt heim," befahl sie dem Bürgermeister, doch der widersetzte sich, weil er an Pfarrers Statt rotgetrunken unter dem Tisch lag.
Tschiwana war ratlos.
"Schönes Fräulein! Es ist noch nicht aller Tage Abend. Lesen Sie dies, dann fassen Sie wieder Mut," sprach ihr der Frisör zu und gab ihr ein Schreiben, das ein Siegel trug.
"Frau, guter Mann, oder sollte es den letzten Sonntag nicht geben haben," belehrte ihn Tschiwana und das schon ein wenig spitz.
Sie zerbrach das Siegel und las.
Der Rat des Ortes hat einstimmig beschlossen, das künftig ein Bräutigam nach vollzogener Trauung und glaubhaft gemachter ehelicher Pflichterfüllung in den Stand des Bräutigams zurückfällt. Dieser Stand bleibt aber nicht an den verehelichten Mann gebunden, sondern wird an die anderen Männer freigegeben. Der Segen der Kirche ruht darüber."
"Das verstehe ich nicht", sagte Tschiwana nervös.
"Frau, das ist einfacher als ein Faconschnitt", besänftigte sie der Frisör. Nach dem Bürgermeister sind wir auch mal dran. Heute ich.
"Na, meinetwegen!" gab sich Tschiwana einverstanden. Der Pfarrer traute sie und zog sich danach sogleich unter den Tisch zurück, wo der Bürgermeister lag. Er war verliebt. Später, nach dem alle viel getrunken und gesungen hatten, lud sich Tschiwana den Frisör auf und trug ihn in ihre gut beheizte Stube. Auch er war am nächsten morgen verschwunden.
"Als Frau muss man schon sehen, wie man durch das Leben kommt. Und wenn man so widerspenstige Haare hat wie ich, kommt man mit einem Frisör schon etwas leichter durch", erklärte sie ihrem Vater auf dem Kamin.
So bekam Tschiwana jeden Sonntag einen neuen Ehemann, einmal sogar wieder den Bürgermeister, nur der Pfarrer blieb ihr versagt.
"Ich glaube, ich liebte ihn, und er mich auch. Ich weiß das, weil er immer unter den Tisch fällt, wenn er mich getraut hat", beichtete sie ihrem Vater. "Aber es wird wohl nichts aus. Wer sollte uns denn trauen?"
An einem Tag im frühen August hörte sie im Radio, dass eine Gruppe von Männern, offenbar betrunken, von einer Lawine verschüttet worden sei. Und Tschiwana wusste gleich, dass sie nun Witwe war und sich sonntags den Weg in die Kneipe sparen konnte.
Stattdessen ging sie jetzt jeden Sonntag immer zur Stelle, an der die Lawine ihre Männer begraben hatte, stocherte da und dort mit einem Stock im Schnee, der dort ewig war, denn an den Gedanken, dass eine Frau am Sonntag keinen Man haben sollte, wollte sie sich nicht gewöhnen.
Die Männer wurden nie gefunden.

"Schöne Geschichte! So, wir können los. Der Nagellack ist trocken."
"Zieh dir Handschuhe an! Es ist sehr kalt draußen."
"Glaubst du etwa, ich hätte mir jetzt eine Stunde die Nägel lackiert, um sie in Handschuhen zu verstecken. Mann!"

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