Der Berggarten – ein Botanischer Garten
Die prächtigsten Gartenanlagen Hannovers sind natürlich die Herrenhäuser Gärten. Für Touristen ist es darunter in erster Linie der Große Garten mit seinen eindrucksvollen Barockanlagen, der als erste Adresse gilt. Doch viele Hannoveraner bevorzugen den Berggarten, der genau das Gegenteil von schnurgraden Heckenreihen und streng geometrisch angelegten Beeten und Wasserbecken darstellt. Dort gibt es natürlich wirkende Landschaften. Buschdickichte mit verschlungenen Wegen, weite Wiesenflächen, Bachläufe mit Sumpflandschaften, Moorgebiete oder die Schauhäuser mit ihrer tropischen Pflanzenvielfalt. Alles das ist bunt durcheinandergemischt, und gerade das macht den Reiz dieser völlig unregelmäßigen Natur aus. Einzig und allein die schnurgerade Lindenallee, die auf das Mausoleum zuläuft, hebt sich davon ab. Aber auch das passt irgendwie, denn das alles zusammen macht die Attraktivität dieser besonderen Gartenanlage aus.
Entstanden ist der Berggarten im Jahr 1666, angelegt auf der Fläche einer abgetragenen eiszeitlichen Sanddüne - deswegen sein Name - durch den Welfenherzog Johann Friedrich. Er benötigte für die Bewirtschaftung seiner Sommerresidenz, Schloss Herrenhausen, einen Küchengarten. Doch die Frau seines Bruders und Amtsnachfolgers Ernst August, Kurfürstin Sophie, deren Sohn Georg König von Großbritannien und Irland werden sollte, hatte andere Pläne. In Sachen Gartenbau sehr tatkräftig, was sie schon beim Großen Garten unter Beweis stellte, ließ sie nun im Küchengarten Gewächshäuser errichten. Sie hatte ein besonderes Fable für exotische Pflanzen. So verwandelte sich der Garten im Laufe der Zeit langsam zu einem Botanischen Garten, und der Küchengarten wurde 1750 schließlich nach Linden verlegt. Und natürlich versuchte man nun auch selbst Pflanzen zu züchten, die, gehörte man doch durch eine Personalunion mit England bald zum größten Weltreich, das die Erde je gesehen hatte, aus fernen exotischen Ländern angeliefert wurden. Der Reisanbau misslang zwar. Doch mit dem Tabak und auch mit den Maulbeerbäumen klappte es. Deren Blätter dienten sogar der Ernährung einer Seidenraupenzucht, die allerdings nicht besonders erfolgreich war.
Im Jahr 1727 wurde dann durch Gartenbaumeister Ernst August Charbonnier die Lindenallee angelegt, die heute nun so in die Jahre gekommen ist, dass sie eigentlich abbruchreif ist und durch Neuanpflanzungen ersetzt werden müsste. Doch ein kleines Käfertier, der seltene Juchtenkäfer, machte dem einen Strich durch die Rechnung. Nun wurden die brüchigen Bäume erst einmal gestutzt und dürfen noch eine Weile stehen bleiben.
Ein knappes Jahrhundert später, 1817 bis 1820, wirkte ein anderer großer Baumeister im Berggarten, Georg Ludwig Friedrich Laves. Allerdings hatte dieser nicht viel mit Botanik am Hut. Sein Material war Stein, und mit dem hatte er die Hauptstadt des Königreichs Hannover schon ordentlich aufgepeppt, hatte er doch jede Menge repräsentativer Gebäude errichtet. Hier nun, am Ende der Lindenallee, sollte für König Ernst August und Königin Friederike, die gerade gestorben war, eine Grabanlage entstehen. So errichtete Laves ein Mausoleum, in dem aber nicht nur das Königspaar beigesetzt wurde, sondern auch andere Welfenherrscher, die vom Leineschloss umgebettet wurden. So hat an diesem romantischen Ort allerhöchster europäischer Welfen-Adel seine letzte Ruhestätte gefunden, der mit fast allen nur möglichen Königshäusern verbandelt ist.
Ebenfalls von Laves erbaut wurde ein prächtiges 30 Meter hohes Palmen-Schauhaus mit Galerie aus Stahl und viel Glas, das leider im Krieg dem Bombenhagel zum Opfer fiel. Außerdem stammt von ihm das am Eingang des Berggartens stehende Gartenmeisterwohnhaus, in dem seit 1952 die einst „Königliche Gartenbibliothek“ untergebracht ist. Seit dem Jahr 2007 befindet sich diese in öffentlichem Besitz und wird von der Wissenschaft erforscht und katalogisiert.
Wer den Berggarten an diesem historischen, gelb getünchten Gebäude vorbei betritt, dem fällt nun nach links als erstes ein anderes Gebäude auf. Es ist mit seiner flachen, futuristischen Kuppel einem Raumschiff nicht unähnlich, passt sich aber, zum Teil mit langen Gräsern eindrucksvoll begrünt, trotzdem harmonisch in die Landschaft ein. Zur „EXPO 2000“ entstanden, beherbergte es zunächst einen brasilianischen Regenwald. Leider konnte der aus Kostengründen nicht lange bestehen. Doch dann ist die Unterwasserwelt „Sea Live“ eingezogen, und zumindest ein großer Teil des Dschungels konnte damit erhalten werden. Doch diese ebenfalls sehenswerte Aquarium- und Pflanzenwelt ist an einem anderen Tag einen eigenen Besuch wert.
Aber auf tropische Pflanzen muss man deswegen noch längst nicht verzichten, gibt es doch in den Schauhäusern zur Rechten am Schmuckhof jede Menge davon. Ob Kakteen-Wüstenwelten, tropische Dschungelgebiete, Orchideensammlungen oder das Kanaren-Haus. Viel Exotisches kann bewundert werden. Und auch nebenan gibt es noch kleinere Gewächshäuser, in denen verschiedenste Pflanzen gezüchtet werden. Über 800 Pflanzenarten wurden von den Botanikern des Gartens im Laufe der bald drei Jahrhunderte erstmalig beschrieben und benannt. Zu den bekanntesten gehören wohl die Flamingoblume und das Usambaraveilchen.
Hat man das feuchte Tropenklima verlassen, kann man unter freiem Himmel wieder so richtig durchatmen, und das in schönster Umgebung. Durch verschieden Kleingärten mit jeweils einem ganz speziellen Pflanzenwuchs geht es an einer freien Wiesenfläche vorbei. Zum rechten Gartenrand hin breiten sich dabei Rhododendrondickichte aus. Im Mai und Juni ist es eine Freude, durch dieses bunte Feuerwerk zu spazieren. Es ist dann eine einzige Blütenpracht.
Doch für meinen Geschmack wesentlich reizvoller ist das Paradies, in das man als nächstes gelangt. Es bildet eine Art Mittelpunkt des gesamten Berggartens und ist dessen schönster Bereich. Um ein freies Oval herum sind verschiedenste kleine und lauschige Wege angeordnet, die einen durch ein exotisches Pflanzendickicht von Sträuchern, Bäumen und Farnen verschiedenster Art führen. Und Pflanzen wuchern dort, wie im ganzen Garten auch, aus aller Welt. Nur die wenigsten davon kennt man. Aber sie sind natürlich, wie es sich für einen Botanischen Garten gehört, mit Erklärungstafeln versehen. Ob aus China, Kanada, Indien, Brasilien, Japan oder sonst woher. Man hat das Gefühl, dass jedes mehr oder weniger exotische Land irgendwie vertreten ist, und man wundert sich darüber, was es doch alles für fantastischen Wuchsformen, Blätter- und Nadelarten gibt. Und wer im Paradies die nötige Geduld aufbringt, Vogelfutter auf der Handfläche haltend, eine Weile ruhig dazustehen, den setzt sich vielleicht eine der halbzahmen Meisen auf die Hand.
Das nächste besonders interessante Landschaftsgebiet ist das Moor. Wenn man über den Damm geht, der durch den großen Teich führt, federt der Boden unter den Füßen. Daran schließt sich ein Sumpfgebiet an, und daran der hinter dem Mausoleum liegende Eichenhain, der zu dessen Bau angepflanzt wurde. Die 36 Stieleichen sollten damals aber schon so groß wie nur irgendwie möglich sein. Und so grub man die bereits etwa 60 Jahre alten Bäume an verschiedenen Orten aus und brachte jeden einzelnen mit speziell konstruierten Wagen, denen 16 Pferde vorgespannt waren, an diesen Ort. Sie überstanden das Umpflanzen tatsächlich schadlos.
Hat man das Mausoleum, dessen Standort in dieser schönen Umgebung für eine Fürstengruft kaum passender sein könnte, umgangen, steht man vor dessen Eingangsportal mit den korinthischen Säulen. Ehrfurchtsvoll liest man auf einer Bodenplatte die Namen der Welfen, die in diesem romantischen Gemäuer ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Die bekanntesten von ihnen sind wohl Johann Friedrich, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg. Er war es, der aus dem Vorwerk seines Vaters die Sommerresidenz Herrenhausen entstehen ließ. Natürlich der frühe Ernst August, der mit viel Geschick die Kurwürde erlangte, die zur Berechtigung des Königsthrons von Großbritannien und Irland führte. Noch bekannter ist dessen Frau Kurfürstin Sophie, die den Großen Garten prägte, die die Ursprünge des Berggartens schuf und die das Anrecht auf den englischen Thron erwarb, den Sohn Georg nach ihrem Tod bestieg. Auch der erste Welfenkönig des Inselreichs liegt in der Gruft. Und natürlich auch König Ernst August von Hannover, dessen Anblick uns durch das Reiterstandbild auf dem Bahnhofsvorplatz so vertraut ist und dessen Frau Königin Friederike.
Sie alle, und noch einige andere, liegen in ihren Särgen unten in der Gruft. Die leeren Sarkophage des letztgenannten Königspaares aber befinden sich in der Etage darüber. Und diese eine Etage wurde vor einigen Jahren vom Welfenhaus an einem Wochenende der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Für mich war es damals mehr als eindrucksvoll, nach Durchschreiten der dorischen Vorhalle in der zwei Etagen hohen Kapelle aus glänzendem Marmor zu stehen. Unter einer Kuppel im Mittelpunkt die beiden schneeweißen Marmorsarkophage des Königspaares. Ernst August darauf in Paradeuniform, Friederike in faltenreichem Kleid. Allerfeinste Marmorarbeiten, bis ins kleinste Detail präzise gearbeitet. Lange und andächtig stand ich davor.
Auch einige Meter vor dem Mausoleum findet man zwischen Blumenstauden zwei Grabplatten. Ein anderes berühmtes Herzogspaar liegt an diesem Ort begraben. Ernst August III., Herzog von Braunschweig und Lüneburg und Prinz von Hannover war der letzte regierende Monarch des Welfenhauses. Wohl noch bekannter ist für die Älteren von uns dessen Ehefrau Viktoria Luise. Sie war eine Tochter Kaiser Wilhelm II., der wiederum ein Enkelsohn der großen Viktoria war, die nach vier Herrschern als letzte Vertreterin des Welfenhauses Hannover auf dem englischen Thron saß. Die Tochter des Herzogspaares, Friederike Luise, sollte Königin von Griechenland werden. Enkeltochter Sophia Königin von Spanien und Enkelsohn Constantin König von Griechenland.
Wer an Ernst August und Viktoria Luise denkt, der denkt natürlich an die Jahrhunderthochzeit der beiden 1913 in Berlin. Dort kam der europäische Hochadel zusammen, um bei der Trauung der beiden, die aus einst verfeindeten Adelshäusern kamen und die sich immer noch nicht grün waren, hatte doch Preußen das Königreich Hannover 1866 nach der Schlacht von Langensalza annektiert, dabei zu sein. Doch bei dieser großen Feier, die die Massen mobilisierte, war schon klar, dass es mit Friede, Freude und Eierkuchen bald vorbei sein würde. Und so brach im Jahr darauf der Erste Weltkrieg aus, in dem sich die verschiedenen Familienmitglieder auf den zwei Seiten feindlich gegenüberstanden.
So mancher Hannoveraner, und auch ich gehöre dazu, haben Viktoria Luise früher sogar ab und zu gesehen, fuhr sie doch auf so manchem Schützenausmarsch im offenen Wagen an den jubelnden Zuschauern vorbei. Und heute macht es ihr ihr Urenkel Ernst August, der jetzige Welfenchef, nach. Er hält die Ehre des Welfenhauses hoch und gibt dabei, auch wegen der Aufarbeitung der Welfengeschichte während der Nazizeit, eine gute Figur ab.
Wenn man nun vor den Gräbern der beiden steht und sich einmal umdreht, dann sieht man die lange Lindenallee hinunter, die nun in die Jahre gekommen ist. Bis vor wenigen Jahren konnte man in dieser langen Achse noch die Große Fontäne des Großen Gartens ausmachen. Doch das ist vorbei. Nun steht wieder die Fassade des einst im 2. Weltkrieg zerstörten Schlosses dazwischen. Aber dieser attraktive Bau steht Herrenhausen gut zu Gesicht.
Setzt man den Weg fort, wählt man anstatt der Allee am besten den Staudengrund, der sich rechts davon befindet. Durch diese idyllische Landschaft plätschert in sanften Schlangenlinien ein kleiner Bachlauf, bevor dieser in eine Teichlandschaft mündet. Auch dieses ist eine Wohlfühlgegend, in der man sich auch immer mal wieder auf einer Bank niederlassen kann, um die schöne Natur in Ruhe auf sich wirken zu lassen.
Zuletzt quert man dann die Lindenallee, die nun, nachdem die morschen Bäume beschnitten wurden und die Sperrung aufgehoben ist, wieder ungefährdet betreten werden kann. Besonders Eltern mit Kindern haben dabei Haselnüsse in der Tasche, denn die Eichhörnchen sind so an Menschen gewöhnt, dass sie die Nüsse von der Hand holen.
Damit sind wir nun am Ende des Rundgangs angekommen, den ich nur im Groben beschrieben habe. Natürlich gibt es auf den vielen verschlungenen Wegen viel Natur mit interessanter Botanik zu erforschen. Da man das alles nicht bei einem einzigen Besuch schaffen kann, kann man immer mal wieder kommen. Am besten geht das in der Woche, wenn der Garten nicht so voll ist. Und wer noch nicht genug hat, der hat sich ein Kombi-Ticket gekauft und geht noch mal zu den Fontänen in den Großen Garten hinüber. Die Herrenhäuser Gärten haben eine Menge zu bieten, auch an Veranstaltungen. Und sie sind mit ihren drei so unterschiedlichen Gartenanlagen, denn Georgen- und Welfengarten gehören auch dazu, eine einzigartige Kombination von verschiedenen Landschaftsformen. Und die machen mit ihrer besonderen vom Menschen geschaffenen Natur einfach Freude.
Siehe auch: Parkanlagen und Grüngebiete in und um Hannover
Gut recheriert, gute Fotos. Eines taucht aber selten auf eine: Hannover ist die Großstadt mit der höchsten Dichte an Kleingartenanlage. Es gibt kaum einen Stadtteil, in dem nicht mindestens eine Kleingartenanlage verzeichnet ist und das mitten in einer Großstadt.