Gesehen in Bothfeld: Alte Siedlungshäuser im neuen Glanz
Ja, es gibt noch Siedlungshäuser, die nach ihrer Fertigstellung im Laufe der Jahrzehnte nur wenig verändert wurden. Einige sollen, erbaut zwischen 1908 und 1930, in einer Fotostrecke vorgestellt werden. Ihre Besitzer renovierten sie liebevoll. Türen und Fenster sind zwar dem heutigen (energetischen) Standard angepasst worden, behielten aber häufig die alte Fassaden-Position. Im Eingangsbereich (selten ebenerdig, meist Treppen) verzichtete man dagegen fast immer auf eine originale Wiederherstellung, oft sind Stufen aus Wasch-Beton, Modestein der 1970-er Jahre, zu sehen. Auch einige Gauben sind im Zuge einer neuen Dachdeckung verschwunden. Grundsätzlich kann man sagen, dass oft um- und ausgebaut wurde.
Rentengutskolonien
Die erste Besiedlung Bothfelds außerhalb des historischen Ortskerns begann in den Jahren 1908-1911 mit Errichtung der Rentengüter „Im Heidkampe“ und „Hartenbraken“.
Der Errichtung von Rentengütern ging der Grundgedanke voraus, den Auswanderungsbestrebungen vieler Menschen in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts durch den Erwerb von Eigentum (innere Kolonisation) zu begegnen. Allerdings war es nur ein bedingtes Eigentum, denn die Erwerber zahlten eine Rente, die nur mit Zustimmung beider Teile (Ausgeber/Annehmer) abgelöst werden konnte.
Erstmalig wurde die Form des Rentenguts im Jahr 1886 für Posen und Westpreußen geschaffen, später dann für ganz Preußen.
Die Hannoversche Wohnungsgenossenschaft (gegründet am 23. März 1908 vom Evangelischen Arbeiterverein) errichtete 1908/1909 vierzig Einfamilienhäuser auf Rentengütern. Die Wege der sogenannten „Heidkamp-Kolonie“ bekamen erst die Hausnummern der Straße Im Heidkampe, aber bereits 1910 erfolgte eine Umbenennung in: Auf den Kräken, Lahwiesen und Krähenberg (alte Flurbezeichnungen).
Es sollte noch zu einer 2. Baustufe kommen. Senator Fritz Beindorff, Alleininhaber der Farbenfabrik Günther Wagner („Pelikan“) stellte im Jahr 1909 eine rund 26 Morgen große Ackerfläche an der Hartenbrakenstraße zur Verfügung. Mit dem Bau der „Hartenbrakenkolonie“ wurde im darauf folgenden Jahr begonnen. Schon Mitte Mai 1911 gab es 45 glückliche Besitzer von Rentengütern. Heute erinnern die Straßen Osterforth, Kleine Heide und Hägerweg an diesen Koloniebereich.
Die Parzellengröße bei beiden Kolonien beträgt pro Rentengut zwischen 1250 und 1300 qm. Kleintierhaltung und Bodenkultivierung gehören zur Rentenguts-Philosophie. So hielten die „Kolonisten“ 1 oder 2 Schweine, 1 Ziege, Geflügel (Hühner, Gänse, Enten und Puter), einige auch Tauben und Kaninchen. So konnte, neben der Eigenversorgung, ein nicht geringer Nebenverdienst erzielt werden, der durch den Absatz von Gartenfrüchten noch gesteigert wurde.
Heute gehört das Grundstück nebst Haus in der Regel voll und ganz dem Besitzer. Selbstversorgung, aus der Not geboren, ist erfreulicherweise für die Siedler heute kein Thema mehr. Die alten, oft provisorischen Stallungen sind längst verschwunden.
Die Heimstätten-Bewegung
Nach dem 1. Weltkrieg gründeten sich im Deutschen Reich vermehrt Wohnungsbaugenossenschaften und Wohnungsfürsorgegesellschaften mit dem Ziel, die Wohnungsnot als Folge des Krieges zu überwinden. Das Preußische Wohnungsgesetz vom 28. März 1918, aber noch mehr das Reichsheimstättengesetz vom 20. Mai 1920 schufen Rechtssicherheit für eine enorme Siedlungstätigkeit, die zwischen 1921 bis 1940 und, nach dem 2. Weltkrieg, in den Jahren 1950-1965 ihre Blütezeit hatte.
Auch die "Heimstätter" betrieben Selbstversorgung. Beim Erwerb einer Heimstätte bekam jeder Siedler noch zusätzlich 1 Schwein, für den Garten 1 Apfelbaum, 1 Birnbaum, 1 Kirschbaum, 1 Pflaumenbaum und Arbeitsgeräte wie Spaten, Schaufel, Forke und 1 Schubkarre.
Wittekind-Siedlung
Ein weiterer Bau-Schwerpunkt entwickelte sich in den 1920-er Jahren an der Langenforther Straße mit den Nebenstraßen Friedastraße, Baldurstraße, Auf dem Limbrinke und An den Hilligenwöhren. Im Volksmund ist sie als „Wittekind-Siedlung“ bekannt. Planung und Bauausführung - zunächst auch auf Rentenguts-Basis, ab 1922 Verkauf der Grundstücke durch die Stadt Hannover - lag in den Händen der „Siedlungsgemeinschaft zur Hebung Deutscher Volkskraft“, gegr. am 10. März 1919. In einer Broschüre stellt sie sich so vor:
„Wir sind eine Gemeinschaft von Volksfreunden aller Stände, hervorgegangen aus einem Kreise von Lebensneugestaltern, Volkserziehern und Wandervögeln. Deutschgesinnte Männer und Frauen sind wir, die von der Überzeugung leben, daß der Siedlungsgedanke, wenn er ernst und zielbewußt durchgeführt; d.h., wenn die Siedlung nicht etwa als Ruheplätzchen für satte oder stumpf und müde gewordene Menschen, sondern als Heimat eines neuen tatkräftigen Geschlechts, als wahres, echtes Kinderland angesehen wird, die beste Gewähr bietet für die Wiedergeburt unseres Deutschen Volkes.“
Provozierender Text? Nun ja, man muss ein wenig die Siedlungsgemeinschaft verstehen: Das Traumata des verlorenen 1. Weltkrieges war noch allgegenwärtig, der Versailler Vertrag knebelte erheblich, dennoch: Teile des Vokabulars übernahmen später die Nationalsozialisten nur allzu gerne.
Auch für diese Siedler stand an erster Stelle die Selbstversorgung.
Literatur:
Von Botvelde 1274 bis Bothfeld 2009, 991 Seiten, Band 1, Stoffert, G., Band 2, Sperlich, B., Selbstverlag, 2009, Textpassagen > „Rentengutskolonien“, "Die Heimstätten-Bewegung" und „Wittekind-Siedlung“ > Manuskript: Sperlich, B.
@Christiane: Danke.
@Katja: ">Es ist bewundernswert, mit wie viel Fleiß diese Generation sich nach dem Krieg aufgerappelt hat."< Ja, nach beiden Kriegen, bewundernswert. Wo lebte denn Deine Oma, Katja? @Shima: Es freut mich, dass Dir der Bericht gefallen hat. @M.: Danke, und schöne Grüße ins Unstruttal.