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Wir alle sind Ukrainer – Woher kommen unsere frühen Vorfahren in Europa?

  • Mit diesem schnellen Fortbewegungsmittel, dem Botai-Pferd (das Przewalski-Pferd ist ein verwilderter Nachfahre), drangen die Bewohner der pontischen Steppe, auch dem Gebiet der heutigen Ukraine, nach Mittel- und Westeuropa vor, besiedelten es und wurden zu unseren hauptsächlichen Vorfahren.
  • Foto: Christel Wolter
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Gestern hat es Vladimir Klitschko bei einem überraschenden Besuch in Berlin flehentlich gesagt: „Entweder sind wir alle Ukrainer. Oder wir sind verloren.“ Natürlich wissen wir, wie er es gemeint hat. Nämlich dass wir alle dazu verpflichtet sind, die Demokratie und die freie Welt zu verteidigen. Dass er mit den Worten, dass wir alle Ukrainer sind, gar nicht mal so Unrecht hatte, war ihm dabei vermutlich nicht bewusst, und wohl auch den meisten Europäern nicht.

Es war im Jahr 2003 als die Wissenschaft etwas bekannt gab, dass weltweit für großes Aufsehen sorgte. Das menschliche Erbgut, unser Genom, konnte fast vollständig entschlüsselt werden. Mit dem Verstehen darum, wie unser menschlicher Körper funktioniert, brach damit ein neues Zeitalter der Medizin an. Es könnte in Zukunft dafür sorgen, dass Krankheiten wie Krebs irgendwann der Vergangenheit angehören. Allerdings auch, dass in die Evolution eingegriffen wird, was Vorteile und Risiken in sich bergen kann, indem optimierte Menschen geschaffen werden. Bis zu welcher Grenze wäre das moralisch vertretbar?

Aber die Entschlüsselung der DNA hat auch zur Folge, da sie unsere Erbinformationen enthält, dass die Wissenschaft seit Neuestem nun die Menschenströme und -wanderungen auf der Erde zurückverfolgen kann. Wer ist wann wohin gewandert, um den Globus zu erobern und zu besiedeln, und wer hat sich in welchem Verhältnis miteinander vermischt. So wissen wir nun auch, dass die Hautfarbe kein Indiz für einen Verwandtschaftsgrad ist. Ein Afrikaner kann uns z. B. genetisch näherstehen als irgendein anderer Weißer. Afrikaner, die südlich der Sahara leben und die in Europa eingewandert sind, werden sich innerhalb von vielleicht 10.000 Jahren aufgrund der Vitamin-D-Versorgung der Hautfarbe unserer nördlicheren Breiten angepasst haben. Andersherum werden Europäer, die Australien erst vor kurzer Zeit besiedelt haben, eine dunklere Hautfarbe annehmen. Dass sie den neuen Lichtbedingungen noch nicht angepasst sind, zeigt die hohe Hautkrebsrate dort. Die Evolution wird es in größeren Zeiträumen regeln. Sie passt den Menschen den Umweltbedingungen an.

Wir wussten schon lange vor der Entschlüsselung des Genoms, dass Menschen vor etwa 500.000 Jahren aus Afrika nach Europa eingewandert sind. Sie gehörten zur Gattung des Homo erectus, waren aber keine Vorfahren von uns. Irgendwann sind sie ausgestorben. Vor 45.000 Jahren besiedelten die ersten modernen Menschen, die Gattung des Homo sapiens, Europa. Auch sie sind nicht unsere Vorfahren. Erst mit einer zweiten Einwanderungswelle vor 40.000 Jahren kamen Menschen, die genetisch auch heute noch nachgewiesen werden können.

Doch die Haupteinwanderungswellen standen noch bevor. Es war vor etwa 8.000 Jahren, als Menschen, aus Anatolien kommend, zunächst die Balkanregion besiedelten, bevor sie sich über ganz Europa ausbreiteten und mit ihnen Sesshaftigkeit, Ackerbau und Viehzucht brachten.
Ein anderer Teil dieser Einwanderungswelle aus dem Nahen Osten hatte einen anderen Weg genommen. Diese Menschen zogen über den Kaukasus, der Engstelle zwischen dem Schwarzen Meer und dem Kaspischen Meer, in die pontische Steppe, einem riesigen Gebiet zu dem die Kasachische Steppe und das Gebiet der gesamten heutigen Ukraine gehören.

Aber diese Menschen der Kupferzeit blieben nicht in der Gegend. Mit ihren schnellen Pferden, den Botai-Pferden, (deren verwilderte Nachfahren die heutigen Przewalski-Pferde sind), machten sie sich vor 5.000 Jahren auf den Weg nach Westen und breiteten sich in kurzer Zeit über ganz Europa aus. Zum Teil besetzten sie dünn besiedelte Gebiete, zum Teil wird es zu Verdrängungskämpfen gekommen sein. Aber sie brachten für die Ansässigen tödliche Krankheiten mit, wie die Pest. Wohl der hauptsächliche Grund des Verschwindens dieser. Allen diesen Umständen waren die Menschen, die 3.000 Jahre zuvor über die Balkanroute gekommen waren, wohl auch auf Grund ihrer Unterzahl und kämpferischer Unterlegenheit, nicht gewachsen. Die Neuankömmlinge waren großgewachsene Menschen, ein Hirten- und Reitervolk. Mit Pfeil und Bogen, aus dem Sattel schießend, waren sie den sesshaften Bauern weit überlegen. So waren die Einwanderer aus der pontischen Steppe sehr erfolgreich, übernahmen auch Ackerbau und Viehzucht und die Pferde der bisherigen Europäer, verdrängten sie fast vollständig und wurden damit zu unseren hauptsächlichen Vorfahren. Und so können wir heute tatsächlich sagen, dass wir eigentlich, bis auf kleinere Gruppen, fast alle irgendwie Ukrainer sind, sind doch die meisten unserer Vorfahren vor fünf Jahrtausenden aus der Ukraine aufgebrochen, um Europa in rasendem Tempo zu besiedeln.

Bis zum Jahr 2003 dauerte die Entschlüsselung des ersten menschlichen Genoms noch über 10 Jahre. Heute können mit derselben Sequensziermaschine über 300 an einem einzigen Tag decodiert werden, und das Tempo wird immer schneller. Das ergibt natürlich ganz neue Möglichkeiten und das für jeden Einzelnen von uns. Wer heute wissen möchte woher seine Vorfahren stammen, kann seine eigene DNA sequenzieren lassen. Dann wird, je nach Qualität des Unternehmens, bei dem man es in Auftrag gibt (auch eine Kostenfrage) aufgedröselt, wie viele prozentuale Anteile man von z. B. einem Skandinavier, Engländer, Deutschen, Osteuropäer oder was auch immer in sich trägt. Und dabei stellt sich dann heraus, dass wir, was wir natürlich auch schon vor Beginn der Genforschung wussten, aber noch nicht wirklich beweisen konnten, auf irgendeine Art alle mehr oder weniger miteinander verwandt sind. Und natürlich auch fast jeder von uns mit Karl dem Großen.
Auch rechnerisch kann man das schnell begreifen. Verdoppelt man jeweils die Zahl unserer Eltern, Großeltern, Urgroßeltern u.s.w., so kommt man schon nach relativ wenigen Rechengängen auf astronomisch hohe Zahlen. Auf eine Anzahl von gigantisch vielen Menschen, die es nicht annähernd auf der Erde, wie lange die Menschheit auch existieren mag, geben wird. Und mit jedem Rechenvorgang verdoppelt sich die Zahl weiter. Ein Beispiel: Stelle man sich einmal vor, man könnte ein Blatt Papier 50mal übereinanderfalten - theoretisch. Bis zu Karl dem Großen sind es etwa 50 Generationen. Wie dick mag es dann wohl geworden sein? Es ist kaum zu glauben. Aber es entspricht ungefähr der halben Entfernung von der Erde bis zur Sonne, rund 75 Millionen Kilometer. Eine solche Verdopplung kann also nur bedeuten, dass die einzelnen Linien des eigenen Stammbaumes, nachdem sie sich zunächst verzweigt haben, irgendwann und irgendwo immer wieder zusammenführen. Und je weiter man zurückgeht, auf immer weniger Menschen.

Wir alle auf dem Globus sind also mehr oder weniger miteinander verwandt. Alle Abstammungslinien, jedes Einzelnen von uns, lassen sich heute beim weiblichen Geschlecht genetisch auf eine einzige Vorfahrin zurückverfolgen. Diese Ur-Eva hat vor rund 160.000 Jahren gelebt. Allerdings ohne den Ur-Adam, denn den gab es schon 200.000 Jahre zuvor, nämlich vor etwa 360.000 Jahren. Und beide hatten damals eine sehr dunkle, wenn nicht sogar schwarze, Hautfarbe.

Wer mehr über dieses sehr interessante Thema erfahren möchte, das ja schließlich unser aller Herkunft, unseren Ursprung betrifft, empfehle ich das Buch „Die Reise der Gene“. Johannes Krause, einer der weltweit profiliertesten Paläogenetiker, beschreibt darin nach neuesten genetischen Erkenntnissen die Wanderbewegungen der menschlichen Spezies von Afrika nach Europa. Und die Erkenntnis daraus ist, dass wir alle Migranten sind. Wanderbewegungen von Menschen sind zu allen Zeiten das Normalste von der Welt. Selbst wir jetzigen Europäer könnten in Zukunft wieder davon betroffen sein, wenn wir durch den Klimawandel und Ausbeutung mit anschließender Versteppung von Agrarlandschaften Gebiete Europas unbewohnbar machen. Dann werden wir es vielleicht sein, die sich andere bewohnbare Gegenden der Erde suchen müssen. Und dann werden wir die Fremden, die Eindringlinge sein.

Wer mehr über die Reitervölker im angesprochenen Gebiet der pontischen Steppe erfahren möchte, für denjenigen eine kurze Zusammenfassung einer Ausstellung aus dem Jahr 2010 im Landesmuseum Hannover mit dem Titel "Nomadenvölker am Schwarzen Meer", die ich kurz nach deren Besuch geschrieben habe.

Nomadenvölker am Schwarzen Meer

Bei dieser Ausstellung geht es um die Nomadenvölker, die einst auf dem Gebiet der heutigen Ukraine gelebt haben, nördlich des Schwarzen Meeres. Nur wenig ist über diese Völker bekannt, hinterlassen doch Nomaden nur dürftige Spuren. Sie zogen in ihrem kargen Lebensraum von einem Gebiet zum anderen, um die Böden optimal auszunutzen. Gehört hat man vielleicht schon einmal von den Skythen oder Awaren und natürlich den Hunnen. Alle anderen der neun vorgestellten Völker, die nacheinander in dieser Region gelebt haben, sind mir völlig unbekannt. Wer hat schon einmal etwas gehört von der Katakombengrabkultur, von Pecengen, Polovzer, Kimmerier oder Chazaren?
Staunen ist sogleich angesagt über das erste vorgestellte Volk der Katakombengrabkultur, das über viele Jahrhunderte (evtl. sogar über drei Jahrtausende?) existierte. Sie haben ihre Toten in Grabhügeln beigesetzt, die im Inneren mit einer mit Holz verkleideten Kammer ausgestattet waren. Von ihnen sind neben Gebrauchsgegenständen einige Totenschädel ausgestellt, die etwa viereinhalbtausend Jahre alte sind und die jeweils ein Loch in der Schädeldecke aufweisen. Diese Menschen wurden damals - man glaubt es kaum - am Gehirn operiert. Das kennen wir zwar schon aus dem alten Ägypten (siehe Sinuhe der Ägypter). Doch diese Menschen haben die Operationen tatsächlich überlebt und noch etliche Jahre weiter gelebt. Man erkennt es an den Knochenpartien, die von den ursprünglich gutabgegrenzten Lochrändern nach innen nachgewachsen sind. Solche Operationen, die schon vor 10 000 Jahren nachgewiesen sind, wurden vermutlich wegen irgendwelcher Verletzungen durchgeführt. 80 Prozent aller so Behandelten sollen überlebt haben. Wer so etwas überaus Schwieriges vollbrachte, der muss sich in der Medizin und mit den Heilmethoden sehr gut ausgekannt haben.
Ebenso beeindrucken die Kunstarbeiten der Skythen, die danach das Gebiet besiedelt haben und dort ab etwa dem 4. Jahrhundert v. Chr. lebten. Ihre Arbeiten bestehen zum Teil aus purem Gold oder sind mit Blattgold versehen. Menschliche Figuren haben sie kaum dargestellt, hauptsächlich tierische. Natürlich als Reitervolk Pferde. Aber auch den Hirsch, der in ihrem Leben wohl eine wichtige Rolle einnahm. Und dann – davon bin ich besonders beeindruckt – Fabelwesen, die an Babylon denken lassen. Tiere mit einem Löwenkörper und Flügeln. Darauf der Kopf eines Greifvogels oder eines Pferdes. Es sind fantastische Arbeiten der Handwerkskunst, die man einem Nomadenvolk in dieser frühen Zeit nicht zutrauen würde.
Auch die anderen Völker haben einiges zu bieten. Neben Schmuckstücken (Armreifen, Ohrringen, Fibeln, Gürtelschnallen und Halsschmuck) sind auch Schwerter, Dolche und Helme, einer mit Augenschutz, in den Vitrinen zu bewundern. Weitere Gegenstände aus dem Alltäglichen und auch Goldschmuck und verschiedenste Trensen für die Pferde.
Alle diese Völker waren Nomadenvölker, die auch nichts Schriftliches über sich hinterlassen haben, weshalb man über sie so gut wie nichts weiß. Spuren haben sie nur in ihren Gräbern hinterlassen. Und zumindest ein wenig weiß man über sie durch historische Geschichtsschreiber wie z. B. Herodot, der über die Skythen, Awaren und die Amazonen berichtet hat, die in einem dieser Völker zum Teil mit aufgegangen sein sollen. Doch haben diese damaligen Berichterstatter nicht viel Gutes über die Nomadenvölker berichtet. Für sie waren diese, die nicht greifbar waren, da sie sich immer woanders aufhielten, unheimliche und grausame Barbarenvölker. So hieß es einmal über eines dieser Völker: Niemand konnte sie finden, wenn sie sich nicht finden lassen wollten. Sie widersetzten sich jedem sesshaften Staat, und Landesgrenzen bedeuteten ihnen nichts. Bis fast heute ist es so geblieben, wie es das Beispiel der Tuareg in der Sahara zeigt. Erst seit einigen Jahrzehnten werden diese gezwungen, sich den jeweiligen Staaten unterzuordnen und werden mit Macht integriert.
Alle diese Völker waren auf Mobilität angewiesen. Und womit ginge das besser als mit Pferden. Sie bildeten ihre Lebensgrundlage. Ihre Pferde waren weithin über ihre Gebiete berühmt und begehrt. So forderte der Makedonienkönig Philipp II. einmal, nachdem er die Skythen besiegt hatte, von diesen als Siegpreis 20 000 Pferde. Und natürlich waren alle diese Völker perfekte Reiter, die aus diesem Grunde und wegen ihrer Waffen gefürchtet und anderen oft überlegen waren. Ihre Waffenkombination bestand aus Schwert und Bogen. Während des Reitens konnten sie sogar ihre Pfeile abschießen. So kämpften sie sogar erfolgreich gegen die Römer. Auch wurden sie, so die Hunnen, von diesen als Söldner eingesetzt. Diese waren es auch, die die Steigbügel in Europa bekanntmachten, und sie waren es auch, die im 4. Jahrhundert v. Chr., obwohl sie mit ihrem Anführer Attila nur 75 Jahre lang eine Großmacht waren, die die Völkerwanderung in Gang setzten, da sie nach Westen drängten und andere Völker vor sich herschoben.

  • Mit diesem schnellen Fortbewegungsmittel, dem Botai-Pferd (das Przewalski-Pferd ist ein verwilderter Nachfahre), drangen die Bewohner der pontischen Steppe, auch dem Gebiet der heutigen Ukraine, nach Mittel- und Westeuropa vor, besiedelten es und wurden zu unseren hauptsächlichen Vorfahren.
  • Foto: Christel Wolter
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  • Über den Nahen Osten, die Balkanroute vor 8.000 Jahren und vor allem über die pontische Steppe vor 5.000 Jahren, sind die meisten unserer heutigen Vorfahren nach Europa eingewandert.
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  • Die unterschiedlichen Hautfarben der Menschen sagen nichts über einen genetischen Verwandtschaftsgrad untereinander aus. Die Hautfarbe hat sich durch Evolution der Vitamin-D-Produktion den verschiedenen Breitengraden angepasst.
  • Foto: Christel Wolter
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  • Der Ursprung fast sämtlicher europäischer Sprachen liegt vor ca. 8.000 Jahren im heutigen Iran.
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