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Als das Christkind vom Schlitten fiel - Eine Weihnachtsgeschichte

  • Weihnachtszeit ist Weihnachtsgeschichtenzeit.
  • hochgeladen von Kurt Wolter

Da lag es nun plötzlich im weichen Schnee. Verwundert setzte es sich auf und rieb sich die Augen. Es drehte sich um. Durch das Schneegestöber konnte es erkennen, wie sich der Schlitten mit dem großen Sack darauf schnell entfernte. Die Schellen wurden leiser, und bald war er in der Dunkelheit der Nacht vollkommen verschwunden, und es war still. Da nützte auch kein Rufen mehr, denn der Schnee verschluckte jedes Geräusch.

Was war passiert? Das Christkind brauchte einen Augenblick um zu begreifen, was geschehen war. Es hatte hinten auf dem Schlitten des Alten gesessen. Sie waren unterwegs, denn es gab in dieser besonderen Nacht jede Menge zu tun. Viele, viele Kinder mussten mit einem Geschenk versorgt werden. So war es immer um diese Zeit, jedes Jahr wieder. Und da der Alte nun auch in die Jahre gekommen war und ihm die Arbeit zunehmend schwerer fiel, hatte er es schon vor vielen Jahren gebeten, ihn dabei zu unterstützen und ihm etwas unter die Arme zu greifen. Natürlich hatte es zugesagt, denn es liebte Kinder und schließlich hatte es auch selber einen Auftrag zu erfüllen, einen solchen, der von ganz oben kam. Und das bereitete ihm Vergnügen.

Doch nun war es auf dem Schlitten eingenickt. Es hatte sich ein wenig Schlaf gönnen wollen, denn bis zum nächsten Dorf war es noch ein langes Stück Weges, und der Alte brauchte es beim Kutschieren nicht. Vielleicht war es eine Unebenheit im Boden gewesen, eine Wurzel oder ein Huckel. Vermutlich hatte der Schlitten einen Hopser gemacht, wie es immer wieder vorkam, und schon war es geschehen. Und nun saß es da in der kalten Winternacht im Schnee, und der Alte war fort, ohne das Geschehene bemerkt zu haben. Vielleicht waren ihm selber die Augen zugefallen, denn die Rentiere kannten den Weg. Viele Male waren sie ihn gelaufen, und er musste nicht einmal die Zügel halten.

Doch was nun? Es erhob sich, zog seinen Umhang fester, die Kapuze über die Ohren und klopfte erst einmal den Schnee von den Schultern. Die Spuren der Kufen waren deutlich zu erkennen, auch wenn es finster war. Ihnen musste es einfach nur folgen, auch wenn es im tiefen Schnee mühsam sein würde. Doch eine andere Wahl hatte es nicht. So stapfte es also los, in der Hoffnung, dass der Alte zurückkommen würde. Spätestens im Dorf, das sie angesteuert hatten, würde es ihm auffallen, oder es würde ihn dort wieder treffen. Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg. Gut, dass es die warmen Stiefel angezogen hatte, dachte es bei sich.

Die dunklen Tannen zu beiden Seiten des Weges beugten sich unter der Last des Schnees tief zu ihm herunter. So war es dem Christkind, als wenn sie ihm zunickten und ihm etwas zuflüstern wollten. Doch die alten Bäume knarrten, leicht vom Wind bewegt, nur leise vor sich hin.
Irgendwann hörte das Rieseln des Schnees auf, der Himmel wurde freier und die ersten Sterne funkelten zwischen den Wolkenlücken hervor und spendeten etwas Licht. Doch die Schlittenspur wurde immer undeutlicher, und bald verlor sie sich ganz unter den Schneeverwehungen. Ab und zu kam sie noch zum Vorschein. Doch schließlich war sie vollkommen verschwunden. Das hatte gerade noch gefehlt. Immerhin konnte das Christkind in der Dunkelheit an der Schneise der Bäume den Weiterweg erkennen.
Doch dann kam ein großes, freies Feld. Kein Hinweis mehr. Was nun, dachte es? Welche Richtung nehmen? Es kannte den Weg nicht wirklich, fuhr es doch immer nur mit und brauchte sich darum nicht zu kümmern. Immerhin waren die Wolkenlücken nun so groß geworden, dass es den Polarstern ausmachen konnte. Und es wusste, dass das Dorf irgendwo in nördlicher Richtung lag. Also hielt es erstmal darauf zu, und es musste dabei daran denken, dass vor langer, langer Zeit auch andere in dieser besonderen Nacht einem Stern gefolgt waren.
Doch es wurde immer mühsamer. Wieder und wieder sackte es mit den Stiefeln tief in die weiße, verwehte Oberfläche ein. Manchmal bis zu den Knien. Vielleicht hast du diese Erfahrung selber schon gemacht und weißt, wieviel Kraft so etwas kosten kann. Und dem Christkind erging es nun nicht anders. Vor Erschöpfung wurde es immer langsamer, und es sehnte sich seinem Ziel, dem Dorf entgegen. Schließlich lehnte es sich gegen den dicken Stamm einer knorrigen Tanne, um ein wenig zu verschnaufen. Über ihm saßen zwei schwarze Raben auf einem Ast, die neugierig zu ihm hinunter blinzelten und die sich wohl darüber wunderten, dass in einer solchen Nacht jemand ganz allein unterwegs war.
Doch dann musste es weiter, so anstrengend es auch sein mochte. Auf der freien Fläche blies ihm dazu noch ein eisiger Wind um die rote Nase, der den Schnee immer wieder aufwirbelte und ihm in die Augen trieb, so dass es die Hände schützend vors Gesicht halten musste. Und die Fingerspitzen wurden trotz der dicken Fäustlinge schon etwas taub. Aber dann hatte es Glück. In der Ferne hoben sich die schwarzen Umrisse eines einsam stehenden Hauses von der fahlen Schneelandschaft ab.
Beim Näherkommen bemerkte es eine Rauchsäule, die in den nun klaren Himmel, an dem unzählige Sterne funkelten, hinaufstieg. Dort schien noch ein wärmendes Feuer zu brennen. Das konnte ihm nur recht sein, denn dort konnte es sich vielleicht ein wenig aufwärmen und erholen. Neugierig stapfte es darauf zu.

Als es das Haus, das nicht mehr als eine einfache Hütte mit einem kleinen Stall und mit einem Garten darum war, der von einem Staketenzaun umgeben war, erreichte, sah es durch das Fenster neben der Eingangstür. Dort drinnen saß an einem lodernden Herdfeuer eine Frau, weit vornüber gebeugt mit einem kummervollem Gesicht, die eine Wiege schaukelte. Das Christkind wunderte sich. So spät noch, fast mitten in der Nacht? Da schläft doch die ganze Welt. Es sei denn jemand hat, so wie es selbst, Aufträge zu erledigen. Vorsichtig klopfte es gegen die Scheibe. Die Frau wandte sich erschrocken dem Fenster zu. Als diese erstaunt ein junges, freundliches Gesicht hinter der matten Eisblumenlandschaft erkannte, schritt sie zur Tür und öffnete sie. Der unerwartete Besuch lächelte sie freundlich an: „Gute Frau, darf ich eintreten? Ich würde mich gern an Eurem Feuer ein wenig aufwärmen. Es ist ein kalter Wind draußen, und ich habe noch ein gutes Stück zu gehen.“
Verwunderung sprach aus den geröteten Augen der Frau, aus denen sie einige Tränen fortwischte. „Ja bitte, kommt nur herein. Was macht Ihr dort draußen und so allein in solch einer kalten Winternacht?“
Das Christkind klopfte den Schnee von seinem Umhang, zog die Kapuze von den hervorquellenden blonden Haaren und trat über die knarrenden Dielen ein, sich auf den angebotenen Stuhl am flackernden Herdfeuer setzend. Kurz erzählte es der Frau, dass es mit einem Fuhrman unterwegs sei und was ihm geschehen war.
„Na, dann ruht Euch erst einmal aus. Aber müsst Ihr denn unbedingt weiter? Ihr könnt in der Kammer nebenan schlafen. Da sind zwar alle Betten belegt. Mein Mann und unsere anderen Kinder schlafen dort. Doch einen Strohsack könnte ich euch noch dazu legen.“
„Gute Frau, habt vielen Dank. Aber wichtige Geschäfte treiben mich, die unbedingt noch in dieser Nacht erledigt werden müssen. Sie dulden keinen Aufschub.“
Ungläubig schaute die Frau in das freundliche Gesicht, fragte aber nicht weiter nach, wollte sie doch nicht neurgierig erscheinen. Sie nahm einen Steinbecher vom Regal, schöpfte mit einer Kelle aus dem auf den Herd stehenden dampfenden Eisentopf heißen Punsch und reichte ihn dem mitternächtlichem Gast. Dieser schloss die Hände um den Becher, hob ihn vorsichtig an die Lippen und schlürfte von dem heißen Getränk. Eine angenehme Wärme durchströmte dessen ganzen Körper, bis in jede einzelne Pore.
„Das tut gut“, atmete das Christkind wohlig auf, „das weckt meine Lebensgeister“.
Dann hielt es die Hände über das Herdfeuer, die leicht zu kribbeln begannen.
„Doch nun sagt mir, gute Frau, warum sitzt Ihr mitten in der Nacht bei eurem Kind, warum schlaft Ihr nicht wie die anderen auch?“
Mit glasigen Augen blickte diese den unerwarteten Besuch an: „Seit Tagen ist unser kleiner Jacob krank. Er hat starkes Fieber und wird immer schwächer. Abwechselnd wachen mein Mann und ich Nacht für Nacht an seinem Bettchen", wobei sie die Wiege wieder schaukelte. „Jacob macht uns größte Sorgen. Wir wissen nicht, ob er die nächsten Tage überstehen wird. Und schon gar nicht können wir bei diesen winterlichen Verhältnissen mit ihm den weiten Weg ins Dorf zum Doktor fahren. Das würde er nicht überleben.“
Eine kleine Falte zeigte sich auf der Stirn des Christkindes: „Lasst mich doch einmal nach ihm schauen. Oder habt ihr etwas dagegen?“
Und ohne eine Antwort abzuwarten, ob es das denn dürfe, beugte es sich über die Wiege. Es legte seine schmale Hand auf die Stirn des Kindes, und es fühlte die Hitze des kleinen Körpers auf seiner Handfläche. Ganz nah kam es dem Gesichtchen und flüsterte diesem, ohne dass die Frau die Worte verstehen konnte, etwas zu, so dass das Kind den warmen Atem spürte. Und dann merkte das Christkind, wie dessen Wärme in seine eigene Hand überströmte. Das Kind öffnete die Augen. Ein kurzes Aufleuchten schien daraus zu sprechen, und das Christkind wusste, was das zu bedeuten hatte. Dann schloss der kleine Jacob die Augen wieder und drehte sich ruhig und nun gleichmäßig atmend zur Seite.
„Ich denke“, sagte das Christkind der Mutter zugewandt, „dass es ihm gar nicht so schlecht geht, ich habe ein gutes Gespür dafür, das könnt Ihr mir glauben. In ein paar Tagen wird sich euer Kind wieder erholt haben.“
Nachdenklich und etwas ungläubig sah die Frau in das freundliche Gesicht, war aber nicht sicher, was diese Worte zu bedeuten hatten. Doch irgendwie, und sie konnte sich nicht erklären warum es so war, hatte sie das Gefühl, diesem jungen Menschen mit den langen blonden Locken und den weichen Gesichtszügen glauben zu müssen.
Eine Träne wischte sie von der Wange: „Ich danke Euch für eure tröstenden Worte. Ihr gebt mir etwas Hoffnung.“
Und sie sah nun selber in die Wiege und meinte bei ihrem Kind eine Veränderung wahrzunehmen. Aber konnte das denn möglich sein? Sie schaute zu dem freundlichen, jungen Gesicht auf, und das lächelte sie an, wobei diesem eine blonde Locke ins Gesicht fiel.

Als die beiden vor die Tür in die klare Winternacht hinaustraten, breitete sich über ihnen ein glänzendes Firmament aus. Und wenn man genau hinschaute, dann konnte man die einzelnen Sterne in allen Farben funkeln sehen. Auch wenn sich hier unten auf der Erde so viel veränderte. Dort oben sah es doch immer noch so aus wie früher. Seit unzähligen Generationen schauten die Menschen zum Himmelsgewölbe hinauf, und manchmal wurden Vorstellungen und Träume wahr, die sie sich bei diesem Anblick wünschten. Als eine Sternenschnuppe vorbei huschte, die ihre Gesichter für einen kurzen Moment erhellte, wusste das Christkind, dass es auch in dieser Nacht so sein würde. Der Wunsch der Frau würde in Erfüllung gehen. Und die Frau spürte, dass etwas Ungewöhnliches vor sich ging.
„Dort im Norden hinter dem Wald, da liegt das Dorf. Es ist zwar noch ein langes Stück Weges, doch Ihr könnt es gar nicht verfehlen.“
„Ich danke Euch für die freundliche Bewirtung“, entgegnete das Christkind. „Nun ist mir wieder warm, und ich fühle mich kräftig genug dazu.“
„Und ich danke Euch für euren mitternächtlichen Besuch. Ihr gebt mir Hoffnung, und ich fühle mich jetzt besser. Und was auch kommen mag, unsere Familie wird es durchstehen.“
Das Christkind nickte und schenkte der Frau noch ein letztes Lächeln. Dann wandte es sich ab und stapfte in die weite, tief verschneite Winterlandschaft hinaus, während ihm ein Augenpaar, das jetzt zuversichtlicher war, noch lange verwundert nachblickte.

Das Christkind freute sich darüber, dass es der guten Frau und ihrem kleinen Kind helfen konnte. Und helfen musste es nun aber auch dem Alten, gab es doch bis zur Morgendämmerung noch so viel zu tun. Es konnte ihn ja schließlich nicht alles allein machen lassen. Spätestens im Dorf würde es wieder zu ihm stoßen. So schritt es zügig drauflos und in die weite, tief verschneite Nacht hinaus.

Es kam gut voran. Und schon bald sah es in der Ferne die schwarzen Umrisse mehrere Häuser und dünner Rauchsäulen, die aus deren Schornsteinen in den funkelnden Nachthimmel hinaufstiegen. Es war in dieser besonderen Nacht so, als wenn sich ein außergewöhnlicher Glanz wie eine weite Glocke über der tief verschneiten Welt ausbreitete. Und wenn du selber in dieser Nacht unterwegs gewesen wärest, dann hättest auch du ihn gespürt, diesen ganz besonderen Geist. Den Geist der Weihnacht.

Auch weihnacht- oder winterlich:

- Der verlorene Sack

- Wo bleibt denn der Schnee, hat Frau Holle etwa verschlafen? - Die Weihnachtszeit in den Fünfzigerjahren - Kindheitserinnerungen - Am warmen Ofen

  • Weihnachtszeit ist Weihnachtsgeschichtenzeit.
  • hochgeladen von Kurt Wolter
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  • Und natürlich gehört eine schöne Schneelandschaft dazu.
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  • In einer solchen spielt auch die Geschichte vom Christkind.
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  • Nach langer Wanderung durch den tiefen Schnee...
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  • ...freut man sich auf eine gemütliche Einkehrmöglichkeit.
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  • Doch irgendwann muss es weitergehen. Und ein verzauberter Wald stimmt am besten auf Weihnachten ein.
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3 Kommentare

Danke für die schöne Geschichte und die tollen Winterbilder.

ich schließe mich Shima an - Romi

meine allerschönste Weihnachtsgeschichte ist diese:
Truman Capote „Eine Weihnachtserinnerung“

Sie ist auch in meinem uralten Lieblingsbuch:
„Die Nacht des 24. Dezember“ Elisabeth Antkowiak v. St. Benno-Verlag

Das Buch gibt es sogar noch antiquarisch – ich heute nachgesehen…

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