Stirbt der deutsche Wald?
Naja, ganz so schlimm wird es hoffentlich nicht kommen. Aber insgesamt ist die Situation des deutschen Waldes nach der „Waldzustandserhebung“ des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung bedenklich bis sehr schlecht, und für die Forstwirtschaft sogar eine große Katastrophe. Wohl die wenigsten Menschen unseres Landes haben eine Vorstellung davon, wie dramatisch die Lage wirklich ist.
Die Fläche Deutschlands besteht zu rund einem Drittel aus Wald, wobei ein großer Teil davon ökologische Forstwüsten sind, in denen Kiefern und Fichten, die den größten Anteil der Wälder ausmachen, in einer Altersgruppe dicht in Reih und Glied stehen, sodass sie dem Waldboden das Licht nehmen, ihn zum Teil mit dicken, braunen Nadelteppichen belegen und dadurch ein Leben für Tiere und andere Pflanzen kaum möglich machen. Sie sind im Grunde nichts anderes als die Palmölplantagen in Brasilien, für die der Urwald gerodet wird und über die wir uns aufregen. Wir machen es in Deutschland also selbst nicht anders.
Besser sieht es da in den Laubwäldern aus, in denen die häufigsten Bäume Buche und Eiche sind. Aber insgesamt hat der Großteil aller Bäume ein Problem: Die Kronen mit dem Blätterdach werden immer lichter. Die Bäume sind im Klimastress. Vermehrte Hitzewellen und ausbleibender Regen sorgen dafür.
Besonders die letzten drei Jahre machen dem Wald zu schaffen. Im zweiten Halbjahr 2017 die enormen Niederschläge, die den Boden mit Wasser übersättigten und aufgeweicht haben, danach mehrere schwere Stürme. Sie setzten vielen Bäumen durch heftige Böen so zu, dass große Wurzelstränge rissen und so die Aufnahme von Nährstoffen stark eingeschränkt wurde. Danach kamen die extremen Hitze- und Trockensommer 2018 und 2019, die die Wälder stark stressten. Und auch in diesem Jahr sieht es nicht besser aus. Zwar gab es im Februar überdurchschnittlich hohe Niederschläge. Doch sie reichten längst nicht aus, den fehlenden Wasserbedarf in den Böden auch nur annähernd auszugleichen. Und die nachfolgenden Monate bis heute, zum Ende des Mai 2020 hin, waren wieder extrem trocken. Niederschläge in den meisten Bereichen Deutschlands Fehlanzeige. Kommt jetzt ein zusätzlicher Hitzesommer auf uns zu? Es ist nicht absehbar. Aber Forstleute und die Landwirtschaft schlagen längst Alarm. Und die Waldsituation könnte noch dramatischer werden. Der Kronenzustand der Bäume, der als Maßstab für einen gesunden Baum gilt, war noch nie so schlecht wie im Jahr 2019. Und durch dieses neue Jahr wird er nun noch schlechter.
2019 waren 80 Prozent der Wälder in unserem Land geschädigt. 25 Prozent der Bäume wiesen in den Verlichtungen der Baumkronen starke Schäden auf, 42 Prozent mittelschwere Schäden und 25 Prozent erreichten immerhin die erste Warnstufe. Nur der kleinste Anteil des Waldes wies keine Schäden auf. Wenn es weitere Hitzejahre geben wird, stirbt dann der deutsche Wald? Das ist natürlich nicht absehbar, aber die Lage ist schon jetzt dramatisch.
Nun wenden so manche Klimaskeptiker ein, dass alles nicht so schlimm ist, haben die Bäume das große Waldsterben der Neunzehnhundertachtzigerjahre durch den sauren Regen doch auch überstanden und dass das damals doch alles nur Fake-News waren. Dabei übersehen sie allerdings, dass sich der Zustand der Wälder nur deswegen erholt hatte, weil die Emissionen stark eingeschränkt werden konnten. Rauchgasentschwefelungsanlagen wurden in Kohlekraftwerke, neben dem Autoverkehr die Hauptverursacher der Luftverschmutzung, eingebaut. Nach der Wende wurden außerdem viele Braunkohlekraftwerke der ehemaligen DDR geschlossen, die größtenteils ohne Filter gearbeitet haben. So war zu Beginn der Zweitausender Jahre zunächst keine Rede mehr vom Waldsterben. Aber in diesem neuen Jahrtausend ist der Temperaturanstieg besonders hoch. Ein Rekordjahr, seitdem es Wetteraufzeichnungen gibt, folgt dem anderen. Und so werden gerade in der letzten Zeit die für den Kohledioxidhaushalt der Atmosphäre so wichtigen Wälder wieder zum Thema für die Öffentlichkeit, für die Medien. Natürlich betrifft das auch die anderen Bereiche der Erde. Hauptsächlich aber Europa und Nordamerika. Gerade hier sind die Schäden außergewöhnlich hoch. Und in wiederum anderen Teilen der Erde werden die Tropenwälder für die Anlegung von Feldern wie Soja oder für die Viehhaltung großflächig und radikal abgeholzt und abgefackelt. Das ergibt insgesamt ein trauriges Bild und wird den Klimawandel zusätzlich beschleunigen.
Wie sich alles weiterentwickeln wird, ist nicht absehbar. In jedem Fall werden sich unsere Wälder in Zukunft verändern. Andere Baumarten, die mit der Trockenheit besser zurechtkommen, werden angepflanzt werden müssen. Aber die Forstwirtschaft braucht einen langen Atem. Dort wird nicht in Jahren, sondern in Jahrzehnten und sogar Jahrhunderten gerechnet. Erst dann wird sich herausstellen, wie mehr oder weniger erfolgreich sie vorgegangen ist.
Eines steht jedoch fest. Auch wenn die Wissenschaft nicht genau weiß, wie groß der Anteil des menschengemachten Klimawandels an der Erderwärmung ist, wieviel davon durch Wetter oder eine natürliche Erderwärmung zustande kommt, so gilt es heute doch als gesichert, dass der Mensch der größte Verursacher dafür ist. Während sich das Klima seit der letzten Eiszeit pro Jahrtausend um ein Grad erwärmt hat, nimmt es seit Beginn der Industriellen Revolution pro Jahrhundert um ein Grad zu, wobei sich der Trend nun sogar beschleunigt. Und nur der Mensch könnte es ändern und das Klima halbwegs retten – wenn er es denn wollte. Doch der tut es bisher nicht wirklich. Und das ist traurig. Profit, Konsum und ein hoher Lebensstandard stehen für ihn im Vordergrund. Ein Weiterso ist für viele, trotz des Verstehens um den Klimawandel, aus Bequemlichkeit Normalität. Realistischer sind da die großen Rückversicherungen, wie es kürzlich durch die Medien ging. Sie stellen sich auf einen Temperaturanstieg von bis zu vier Grad in den nächsten 50 Jahren ein. Von 1,5 Grad, von denen bisher immer die Rede war, wird es in diesem Jahrhundert wohl nicht bleiben. Es sei denn, es kommt doch noch, was zurzeit kaum vorstellbar ist, zur großen Kehrtwende. Man soll die Hoffnung ja nie aufgeben. Unsere Kinder und Kindeskinder werden es erfahren.
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