Natur in Misburg
Misburgs spannende und versteckte Natur entdecken
Misburg ist nicht der Stadtteil Hannovers, der für schöne Natur bekannt ist. Eher bringt man dieses Gebiet im Osten der Stadt mit den Industrieanlagen der Erdölraffinerie Deurag Nerag und Heidelberg- Zement, früher einmal Teutonia und HPC, in Verbindung. Wegen seiner Industrieanlagen, die während des Zweiten Weltkriegs auch kriegswichtiges Material lieferten, war es zu dieser Zeit auch verstärkt Ziel von Bombenangriffen. Den einen oder anderen Krater kann man auch heute noch finden.
Aber man täuscht sich, denn Misburg hat nicht nur eindrucksvolle, sondern sogar eine außergewöhnlich eindrucksvolle Natur zu bieten, was den meisten Bewohnern Hannovers vermutlich kaum bekannt ist. Dabei geht es nicht um Parkanlagen, sondern um eine mehr oder weniger natürliche Natur. Und diese Natur ist eine ganz besondere, die es in anderen Stadtbereichen Hannovers nicht gibt. Das liegt am Mergelboden, der hauptsächlich aus Kalk und Ton besteht.
Mergel ist vor etwa 70 Millionen Jahren in der Kreidezeit aus den kalkhaltigen Resten von Meerstieren entstanden, deren Fossilien man dort überall finden kann. Man muss nur genau hinsehen. Das fast weiße Gestein ist so weich, dass man es in der Hand zerbröseln kann. Für die Industrie ist es ein wichtiger Baustoff. Es wird zu Zement verarbeitet. Und das ist der Grund, wie nebenan in Anderten und Höver auch, für diese ganz besondere Landschaft und Natur, die dadurch entstanden ist oder erst, nach Stilllegung der wüstenartigen Abbauflächen, entstehen wird.
Hat man von Hannover aus kommend den Mittellandkanal, der als Projekt für die Expo 2000 mit seinen Uferbereichen in eine schöne Grünanlage am Wasser umgewandelt wurde, überquert, so hat man Misburg erreicht. Ein erstes lohnendes Ziel dort ist die kleine Portlandstraße. An ihrem Ende befindet sich eine Aussichtskanzel, von der aus man einen Blick auf die Grube HPC 1 werfen kann. Und man ist beeindruckt, was der Mergelabbau zur Folge hat. Aus ursprünglichen Feldflächen wurde durch den Abbau eine große Grube, die einem Krater mit 40 Meter tiefen Wänden gleicht und etwa 300 bis 400 Meter im Durchmesser misst, ein einzigartiges, preisgekröntes Naturbiotop. Die Wände wirken teilweise wie die Kreidefelsen von Rügen. Weiß leuchten sie in der Sonne. Am flachen Grund des Kraters gibt es verschiedene Gewässer, um die sich eine spezielle Natur mit ganz speziellen Pflanzen entwickelt hat. Betreten werden darf das eingezäunte Gelände allerdings nicht. Der Blick muss genügen. Aber an einer Führung durch diese außergewöhnliche Landschaft kann jeder teilnehmen. Während die riesige Grube in Höver nach Stilllegung einmal in einen riesigen See umgewandelt werden soll (erst folgende Generationen werden davon etwas haben), bleibt die Grube HPC 1 als wertvolles Biotop erhalten. Allerdings muss dazu ständig Wasser abgepumpt werden, würde sie doch sonst volllaufen.
Anders hingegen ist es mit der hinter dem Stichkanal zum alten Hafen liegende Grube HPC 2. Auch hier ist der Mergelabbau inzwischen beendet. Aber die Grube soll zumindest zum Teil auf andere Art erhalten bleiben. Bis zum Jahr 2030 soll sie in eine große Freizeit- und Erholungslandschaft mit Badesee umgewandelt werden. Dazu haben die Arbeiten schon vor einigen Jahren begonnen. Teilweise ist die große Grube wieder zugeschüttet worden, ein anderer Bereich bleibt als See erhalten. Wir sind gespannt auf das, was da kommen wird.
Wer einen Blick auf diese sich im Entstehen befindende Landschaft werfen möchte, hat dazu vom Ende der Ludwig-Jahn-Straße Gelegenheit. Von dort führt ein betonierter Feldweg Richtung Wietzegraben. Nach rechts führen auf einen urwaldartig bewachsenen etwa fünf Meter hohen Damm kleine Trampelpfade. Von diesem aus hat man einen freien Blick auf die ehemalige Mergelgrube. Ein Foto in der Bildserie zeigt es.
Auf dem angesprochenen Damm fällt einem sofort eine Pflanze auf, die alles flächendeckend und, wie schon gesagt, urwaldartig überwuchert. Das ist die Waldrebe, eine Schlingpflanze. Bekannt ist sie auch unter dem Namen Klematis. Vermutlich mag sie den Mergelboden besonders gern, denn nirgend wo sonst habe ich sie so wuchern sehen, wie in diesem Gelände. Und damit kommen wir zur nächsten eindrucksvollen Natur Misburgs.
Man kann dem eben angesprochenem Feldweg bis zum Wietzegraben folgen. Von dort sieht man in der Ferne auf einen merkwürdigen Wald. Über Pfade ist er durch Felder erreichbar. Einen anderen und kürzeren Zugang hat man vom Ende der Seckbruchstraße. Von der Wietzebrücke führt nach rechts ein Trampelpfad über eine große Wiese. Und schon beim Näherkommen hat man diesen eigenartigen Wald vor Augen, den man zuvor noch nie irgendwo gesehen hat und durch den ein Weg führt. In diesem Wald hat die Waldrebe aber auch alles erobert. An jedem einzelnen Baum rankt die Schlingpflanze empor, und am Boden breitet sich ein undurchdringliches Dickicht aus. Manche Bäume sind tot. Hat ihnen die Waldrebe den Garaus gemacht? Ein Waldbereich, der sich nach links ausdehnt, gleicht einem unwirkliche Märchenwald. Man traut seinen Augen kaum, dass es so etwas wirklich gibt. Wir versuchen an manchen Stellen in den Wald einzudringen, von dichtestem Urwaldgrün umgeben. Aber nach einem kurzen Stück müssen wir aufgeben. Aber allein der Anblick genügt und beeindruckt uns. Es ist eine Natur, die sehenswert ist und die man nahe der Stadt schon gar nicht vermutet.
Weiter fahren wir mit dem Rad, mit dem man alles gut erkunden kann, in den Misburger Wald. Darin gibt es viele Nadelholzbestände aus Fichten, Lärchen und Kiefern und etliche alte Buchen. Ein Baum aber ist es, der besonders heraussticht und wegen seines hohen Alters ein Naturdenkmal ist. Stolze 320 Jahre soll diese Eiche erreicht haben. Der Stammumfang beträgt fast sechs Meter, und sie ist an die 40 Meter hoch. Allerdings hat ihr langsames Sterben längst begonnen. Man erkennt es, wenn man an ihrem Fuß steht und am Stamm hinaufblickt, von dem tote Äste abzweigen. Die Krone zeigt nur noch dürftiges Grün. Aber wer weiß schon, wie lange sie trotzdem noch stehen wird. Wir sind jedenfalls von diesem mächtigen Baum beeindruckt und überlegen, wie die Welt vor 300 Jahren aussah, und wie sie sich seitdem verändert hat.
Wer dieses Naturdenkmal besuchen möchte, muss es ein wenig suchen. Es befindet sich etwa 50 Meter südwestlich der Wietzegraben-Brücke, ist aber wegen der Stammdicke deutlich zu erkennen. Kleine Trampelpfade führen zu disem Baum.
Vorbei am Blauen See, an dem man im Naturfreundehaus auch einkehren kann, verlassen wir den Misburger Wald. Unser Ziel ist die Waldstraße, der wir über die A2 hinweg bis zum Sonnensee folgen. Dieser größere See ist allerdings nur für Mitglieder des dortigen FKK-Vereins zugänglich. Aber er interessiert uns auch nicht, obwohl wir gern mal einen Blick über die weite Wasserfläche geworfen hätten. Unser Ziel ist ein Waldbereich, der kurz dahinter liegt. Zur rechten, besonders aber zur linken Seite des Weges, der zum Ahltener Wald führt, befindet sich ein Auwald, wie er viel schöner nicht sein könnte. Meist steht er unter Wasser, was in den Trockenzeiten der letzten Jahre aber nicht immer der Fall war. Aber normalerweise bietet er einen eindrucksvollen Anblick. Auf Bulten stehen Erlen und Birken. Die Landschaft wirkt wie eine Urlandschaft aus einer längst vergangenen Zeitepoche. Fehlen nur noch Riesenlibellen, die sie durchschwirren. Aber auch so staunt man über so viel Schönheit der Natur, auch wenn man sie nur vom Rand aus betrachten kann. Anders ist es hingegen im Winter bei genügender Kälte. Dann kann man über das Eis den Wald betreten. Einige Fotos in der Bildserie können den Reiz dieser besonderen Natur sicher gut wiedergeben. Ein paar Kilometer weiter, nach Klein Kolshorn hin, befindet sich übrigens ein zweiter Auwald, wenn auch etwas anderer Art.
Nun zu einer letzten in Misburg wirklich versteckten Sehenswürdigkeit. Folgt man dem Lohweg bis zu dessen Ende, vorbei am Hannoverschen Motorboot-Club, so kommt man zu einem abgesperrten Gelände, das zur Mergelgrube HPC2 gehört. Kurz davor, auf der linken Seite zum Stichkanal hin, befindet sich ein urwaldartiges Walddickicht, das ebenfalls von der Waldrebe dominiert wird. Und darin steht eine Ruine aus rotem Backstein, etwa 15 Meter hoch. Erkennbar ist, dass sie einst Teil eines größeren Gebäudes war. Ihr Anblick ist faszinierend. Sie wäre ein Motiv für den Maler Caspar David Friedrich gewesen. Bisher habe ich nicht herausfinden können, um war für ein Bauwerk es sich einmal gehandelt hat. Eine Spaziergängerin, die mit ihren Hunden unterwegs war, konnte mir immerhin berichten, dass einmal eine Tante ihres Mannes darin gewohnt habe. War es vielleicht eine große Fabrikantenvilla? Wer kann mehr dazu sagen?
Damit sind wir am Ende unserer kleinen Rundreise durch Misburg angekommen. Sie hat uns viel Spaß gemacht und Landschaften eröffnet, die wohl nur die wenigsten Hannoveraner kennen. Und dabei handelt es sich um eine Natur von ganz besonderem Reiz. Man kann sie bei einer Radtour auch erweitern, indem man zum Altwarmbüchener See oder bei Kolshorn zum Altwarmbüchener Moor fährt. Auch dort gibt es schöne Natur. Aber die von Misburg ist eben doch eine ganz besondere.
Siehe auch:
- Die Mergelgruben von Misburg, Anderten und Höver
- Der verwunschene Waldrebenurwald von Misburg
- Auszeichnung für misburger Mergelgrube HPC1 als einzigartiges Naturbiotop
Beeindruckende Bilder!