EXODUS - Rettung ja, aber nicht in unser Land!
Der sonntägliche Frühschoppen bei Charly war gut besucht.
Er hatte zum Preisskat eingeladen.
Doch der Stammtisch für unser Trio blieb reserviert. Es interessierte sich mehr für Politik.
"Was gibt es Neues aus unserer Hansestadt?" fragte Walter. "Ich war zehn Tage verreist und habe mal ganz abgeschaltet, nur Bücher und keine Zeitung gelesen. Die 'Glotze' blieb auch aus!"
"Später!" sagte Karl. "Erstmal Weltpolitik! Waren Gauck und Lammert nicht mutig mit dem Begriff 'Völkermord'?"
"Sie waren zumindest ehrlich!" antwortete Ralf. "Die schwarz-rote Koalition war da vorsichtiger; sie fürchtete Proteste aus der Türkei."
"Die sind ja auch gekommen. Die beiden Präsidenten sollten sich am Strand von Antalya nicht mehr sehen lassen!" Karl lachte. "Aber die Ergebnisse des EU-Sondergipfels zur Flüchtlingspolitik hast du im Urlaub mitbekommen?"
Walter nickte. "Ja, die Rettungshilfe soll verdreifacht werden; das ist doch schon mal was!"
"Das ist ein lächerlicherBetrag!" protestierte Ralf. "120 Millionen pro Jahr aus der EU. Für die Rettung maroder Banken und dem Verbleib Griechenlands in der EU werden hunderte von Milliarden bereitgestellt!"
"Aber die Seenotrettung soll doch wieder verstärkt anlaufen", verteidigte sich Walter.
"David Cameron will sogar das größte Kriegsschiff ins Mittelmeer entsenden!"
"Ja, und die geretteten Flüchtlinge sollen nach Italien gebracht werden. Kein einziger darf Großbritannien betreten. Und noch schlimmer ist, dass sich viele Länder dieser Linie angeschlossen haben!"
Walter konnte darauf nichts mehr erwidern. Trotzdem legte Ralf noch nach:
"Karl hat vollkommen recht! In Anbetracht dieser mageren Beschlüsse ist die vorausgegangene Schweigeminute pharisäerhaft!"
Sie prosteten einander zu und betrachteten einen kurzen Moment die Skatspieler, die ihre Karten verbissen auf die Tischplatten ballerten.
"Nun zu Hamburg!",
setzte Karl das Gespräch fort. "Was willst du von Lokalpolitikern in puncto Flüchtlingspolitik erwarten? Beschäftigt sich die rot-grüne Koalition noch mit den "Lampedusa-Flüchtlingen"? Ende Mai muss die Bürgerschaft die Verfassung geändert haben. Es geht um das Referendum für die Olympiade 2024."
"Das ist nun wirklich unwichtig!" Walter wollte Boden wieder gut machen. "Ob nun 50 oder 90 Prozent der Hamburger für Olympia stimmen, ist doch egal, wenn Paris den Zuschlag erhält!"
"Wieso Paris und nicht Boston, Rom oder Konstantinopel?" fragte Karl.
"Weil ich immer schon mal nach Paris wollte!"
"Du als dementer Greis nach Paris?" Ralf lachte schallend, dass die Skatspieler sich verwundert nach ihnen umsahen.
"Ja, warum nicht? Und warum sprichst du, Karl, von Konstantinopel?"
"Solange Istanbul den Völkermord an den Armeniern nicht anerkennt, ist sie für mich wieder Konstantinopel!"