Jakobus-Verehrung
Jakobus-Verehrung
Für die Römer war der Nordwesten der spanischen Halbinsel ein abgelegener Landstrich an der Grenze ihres Reiches. Sie nannten ihn finis terrae, das Ende der Welt. Finisterre heißt heute das Kap am Atlantischen Ozean. Dorthin soll nach der Legende der Leichnam des in Jerusalem unter Herodes Agrippa I. hingerichteten Jakobus (Apg. 12,1f) per Schiff in sieben Tagen gebracht worden sein. Landeinwärts wurde er bestattet. Das Grab geriet in Vergessenheit und wurde nach der Überlieferung in der Zeit der Feldzüge der Mauren zu Beginn des 9. Jahrhunderts wiederentdeckt. Der asturische König Alfons II. deklarierte ihn sogleich als Schutzpatron seines Reiches. Nur das nördliche Gebiet der asturischen Berge war in der Zeit der muslimischen Eroberung christlich und verstand sich als Hort der hispanischen Tradition. So hatte die Entdeckung des Apostelgrabes eine herausragende Bedeutung für das Selbstverständnis dieses spanischen Nordreiches.
Wer war dieser Jakobus, zu dessen Grab im frühen Mittelalter 400 000 Menschen pro Jahr aufbrachen und zu dem heute wiederum jährlich mehr als 100 000 per Flugzeug, Auto, Eisenbahn oder auch zu Fuß, mit dem Pferd oder dem Fahrrad aufmachen?
Jakobus begegnet uns in der Heiligen Schrift als Sohn des Zebedäus und Bruder des Johannes Er gehörte zu den ersten berufenen Jüngern Jesu (Mt 4,21) und mit Petrus und Johannes zu den dreien, die im Jüngerkreis eine besondere Stellung einnahmen (Mt 17.1; 26,37; Lk 8,51). Er war Fischer wie sein Vater und arbeitete mit Petrus und Andreas zusammen (Mt 4,21; Lk 5,10). Seine Mutter war wahrscheinlich Salome, die Schwester Marias, der Mutter Jesu, so dass Jakobus ein Vetter Jesu war. In den Apostellisten finden wir Jakobus stets neben Johannes, wobei der Name des Jakobus meist zuerst genannt weil, wohl weil er der Ältere war. Jesus gab den Zebedäussöhnen den Beinamen Donnersöhne, wohl um ihres Eifers wegen. Gegenüber Jakobus, dem Sohn des Alphäus, ebenfalls einem Jünger Jesu, der in der Geschichte den Beinamen der Jüngere erhält, wird der Zebedäussohn der Ältere genannt. Soweit die ursprünglichen schriftlichen Zeugnisse. Der mündlichen Überlieferung nach soll er die Botschaft Jesu in Spanien verkündet haben und dann nach Jerusalem zurückgekehrt sein, wo er den Märtyrertod fand.
Es liegt nahe, dass Christen, die das Grab des heiligen Petrus in Rom verehrten, und das Grab des heiligen Johannes in Ephesus in Kleinasien vermuteten, auch nach dem Grab des dritten besonders eng vertrauten Apostels Jakobus Ausschau hielten. In den Zeiten außergewöhnlicher Bedrängnis, als die Mauren fast die gesamte spanische Halbinsel erobert und bereits bis Südfrankreich vorgedrungen waren - das Abendland drohte muslimisch zu werden -, bedurften sie eines besonderes Beistands. Sie erhielten ihn in der Schlacht von Clavijo (844), als Jakobus den christlichen Rittern im Kampf gegen die Mauren erschien und ihnen zum Sieg verhalf. Seitdem stieg der heilige Jakob schnell zum Schutzpatron aller Kämpfer gegen die “Ungläubigen“ auf. In der Reconquista, der Rückeroberung Spaniens, nahm die Bedeutung der Jakobusverehrung und seines in Compostela aufgefundenen Grabes sprunghaft zu. Ab dem 10. Jahrhundert kamen bereits Pilger aus dem übrigen Europa. Im 12. Jahrhundert hatte Compostela den Rang der bisher großen Pilgerziele Rom und Jerusalem erreicht.
Klöster, Kapellen, Hospize und Herbergen entstanden auf dem gesamten Weg, den die Spanier “camino“ nennen oder “camino francés“, weil ihn die Franken und Franzosen von Norden aus nahmen. Pilgern ist von der eigenen Haustür aus möglich, dennoch schälten sich in Frankreich vier Wege heraus, der erste, die Via Touronensis über Paris und St. Martin in Tours, der zweite, die Via Lemovicensis über Sainte Marie-Madeleine in Vezelay in Burgund und Saint Léonard im Limousin, der dritte, die Via Podiensis über Le Puy im Zentralmassiv und der vierte, die Via Tolosana über Arles in der Provence und Toulouse. In Puente La Reina vereinigten sich die drei über Roncesvalles kommenden Wege mit dem von Arles über den Somportpass kommenden vierten Weg zu dem einen „camino“. Aus dem Süden Spaniens führt die "Via de la Plata" als weiterer Pilgerweg über Sevilla, Merida, Salamanca nach Santiago.
Die norddeutschen Pilger werden, wenn sie nicht den Seeweg bevorzugten, vornehmlich die „Niederstraß“ über Köln - Aachen - Paris genommen haben. Die Pilgerfahrt aus Norddeutschland war im Mittelalter nicht weniger beliebt als in Süddeutschland. Davon zeugen die norddeutschen Patrozinien zu Ehren des heiligen Jakob in zahlreichen Hansestädten, von Archäologen gefundene Pilgermuscheln und Pilgerflaschen und Bürgertestamente, die aus Lübeck und Stralsund besonders zahlreich sind. Die Analyse der Testamente hat ergeben, dass Santiago de Compostela im 14. und frühen 15. Jahrhundert in der Spitzengruppe der Pilgerziele rangierte. Aber das Pilgern zum Jakobusgrab hat sicher im Norden auch schon Jahrhunderte früher begonnen. Hinweise darauf geben die Jakobuskirchen, von denen die meisten zwischen 1180 und 1320 geweiht wurden. Sie finden sich bis hinauf nach Skandinavien. Das Pilgern war für alle Stände attraktiv: für Priester und Laien, Kaufleute und Handwerker, Mägde und Knechte.
Pilgerfahrten wurden als Bitt-, Sühne- und Dankwallfahrten unternommen. Außer den freiwilligen Pilgerfahrten gab es auch von kirchlichen wie von weltlichen Gerichten auferlegten Buß- und Strafwallfahrten. Zu derartigen Pilgertouren wurden auch in den norddeutschen Hansestädten Delinquenten verurteilt. Religiöse Motive für die Pilgerfahrt verbanden sich oft mit wirtschaftlichen und kulturellen Interessen. Hansische Kaufleute trugen entschieden zur Verbreitung des Jakobuskultes bei. Viele verbanden ihre Handelsfahrten mit Pilgerreisen oder sie gingen mit Pilgern eine Symbiose ein. Pilger fuhren als Beifahrer auf den Koggen der Kaufleute, die Getreide, Bier, Heringe und Leinen in die blühenden Städte Brügge, Antwerpen, Bordeaux und Lissabon exportierten und von dort Wein, Gewürze, flandrische Tuche heimführten. Religion und Wirtschaft lassen sich im Mittelalter nicht immer eindeutig trennen.
Historiker nehmen bisher an, dass bis ins 13. und 14. Jahrhundert der Landweg als der sichere bevorzugt wurde. Erst infolge der hansestädtischen Militärbündnisse seien die Seefahrten risikoärmer geworden und seien dann oft als die schnelleren bevorzugt worden. Es gab auch kombinierte Land- und Seefahrten, auf der die Pilger bis Rouen (Normandie) und Bordeaux (Guyenne) den Landweg nahmen und von dort mit dem Schiff weiterreisten.
Während Renaissance und Reformation trat ein Wandel der Frömmigkeit ein. Nach mittelalterlichem Denken war Pilgern und Beten mit guten Werken verbunden. Aus diesem Grund erfolgten die zahlreichen Stiftungen. Es gab stellvertretendes Beten und Pilgern. Pilger gingen für andere gegen Bezahlung auf Pilgerschaft. Gegen diese Form des Pilgerns und der Heiligenverehrung wandten sich die Humanisten. Luther stand mit seiner Kritik nicht allein. So kam es, dass mit der Durchsetzung der Reformation in Norddeutschland die Jakobusverehrung fast völlig verschwand. Gnadenorte als objektivierte und lokalisierte Zeichen des Glaubens wurden aus dem Bewusstsein verdrängt. Klöster als Orte stellvertretenden Betens erschienen nutzlos. Nach reformatorischem Verständnis musste jeder selber fromm sein und er bedurfte keiner sichtbaren Zeichen für seinen Glauben. Glaube wird seitdem als individueller Akt verstanden und gelebt.
Die berechtigten Anliegen der Reformatoren haben sich durchgesetzt. So sind heute die Gründe und Gegengründe der Reformationszeit im allgemeinen öffentlichen Bewusstsein vergessen. Das eröffnet eine neue Chance des Pilgerns, nicht allein für katholische, sondern auch für evangelische Christen des Nordens. Pilgern ist kein Widerspruch mehr zum individuellen Vollzug des Glaubens und Betens. So wird das Pilgern zu einem individuellen Erlebnis. Viele sehen es auch nicht als notwendig an, den gesamten Weg nach Santiago de Compostela zu gehen. Auch auf Teilstrecken kann man sich selbst intensiv erfahren und dabei Erfahrungen machen, die über das eigene Selbst hinausweisen, dieses Selbst überschreiten, transzendieren. Transzendenz ist die Erfahrung, dass es etwas gibt, das mehr ist als das eigene Selbst.
Und selbst wenn der eine oder andere Pilger sich dann aufmacht, bis zum Grab des Heiligen Jakobus in Compostela, so bedeutet dies für einen modernen Menschen doch weithin etwas anderes als für den mittelalterlichen Menschen. Seine Mühen und Strapazen fasst er nicht als gutes Werk, sondern als ein zeitweiliges Ausbrechen aus dem lähmenden Einerlei des Alltags, aus dem starren Gitter gesellschaftlicher Gepflogenheiten und Konventionen. Es wird für ihn unwichtig, ob er in Santiago tatsächlich das Grab des Heiligen antrifft. Aber er kann sich berühren lassen von dem Faszinosum, das von dieser Kathedrale über dem vermeintlichen Grab ausgeht. Er erfährt sich zusammen mit Tausenden anderer individueller Pilger auf der Pilgerschaft seines Lebens. In dieser Weise erlebt er etwas von der Kraft des Heiligen, des Geheimnisvollen, das von diesem Ort einer mehr als tausendjährigen Jakobusverehrung ausgeht.
siehe auch den Beitrag
http://www.myheimat.de/hamburg/kultur/pilgern-heut...
Hallo Manfred
Der Jakobsweg ist eine sehr faszinierende "Reise". So traf ich im letzten Jahr in Köln auf dem "Monte Troodelöh", einer tatsächlich vom Alpenverein anerkannten Erhebung, eine große Pilgergruppe. Diese erzählten mir, das sie in zwei Tagen mit anderen zusammentreffen und sich auf den Jakobsweg machen würden. Der Monte Troodelöh liege am Rande dieses Weges und man könnte schon behaupten, er sei ein Teil des Weges. Sie fanden es jedenfalls reizvoll und sinnig,ihn einzubeziehen und als Vorstufe zu nutzen.
Gruß aus Köln
Elisabeth