Estland: Wasser, Wald und zwanzig Schürzen
Der zur Hälfte mit Wald bedeckte kleinste baltische Staat Estland bietet Natur, Brauchtum, Badestrände und die ehemals unter dem Namen Reval zur Hanse gehörende Hauptstadt Tallinn, die sich 2011 als Europäische Kulturhauptstadt rühmen durfte und erneut ihr „Sänger- und Tanzfest“ veranstaltet.
Klug sind sie, die Esten, oder sparsam oder beides. Die Schneeschuhe etwa, die sie sich im weißen Winter unter die Füße schnallen, benutzen sie im Sommer für Wanderungen durch die Sumpflandschaft im Nationalpark Soomaa. Denn, so Wanderführer Aivar, das Eigengewicht verteile sich so gut, dass selbst ein Schwergewichtiger den moorigen Untergrund federnd wie auf einem Trampolin durchschreiten kann. Und es macht Spaß dazu. Vorsorglich baute man auch Holzstege über den Sumpf, damit jeder die Landschaft genießen kann. Einen der Moorseen haben die Esten als Badeteich erkoren, beim Einsteigen hilft eine Holzleiter. Ganz schön clever.
Obwohl sie reichlich Wasser haben, bauen sie ihre Saunen möglichst auf den Fluss und nennen sie „Schwimmende Sauna“ oder ans Ufer, wenn es sich um eine Rauchsauna handelt. Ein Kaltwasserbecken oder Duschen erübrigen sich. Aufgeheizt, springt der Saunagänger gleich ins saubere fließende Nass.
Der Fluss ist aber auch als Wasserstraße gut - ein Dorado für die Kanuten, die sich zahlreich einfinden. Was heißt „der Fluss“. Der Soomaa-Nationalpark im Landesinnern ist von unzähligen Flüssen durchzogen. Dagmar aus Hamburg machte hier ein freiwilliges ökologisches Jahr - und blieb. Sie leitet jetzt das Informationszentrum des Parks.
Das kleinste Land der baltischen Staaten mit der längsten Küste entlang des Finnischen Meerbusen und der Rigaer Bucht, ist gesegnet mit Wasser und Wald. Besonders breit, feinsandig und von Dünen begrenzt, zeigt sich der Strand von Pärnu, der Sommer-Hauptstadt im Westen Estlands und einstige Hansestadt wie auch Tallinn, das hanseatische Reval. Schmucke Holzhäuser mit Erkern und Schnörkeln sind hier prägend. Wer first Class wohnen will, wählt die Villa Ammende in perfektem Jugendstil.
Wer aber Kontakt zu den Einwohnern sucht, fährt mit der Fähre auf die vorgelagerte Insel Kihnu (gesprochen Kichnu). Reist man in der Gruppe, lädt einen am Hafen ein Lkw auf seine Ladefläche mit Sitzbänken und transportiert einen über die 500 Seelen zählende Insel. Zu sehen gibt es außer einem Leuchtturm und einem Heimatmuseum nicht viel. Doch die Einheimischen zeigen dem Fremden gern ihr Brauchtum. Sie singen und sie tanzen für ihn - in ihren Trachten aus leinengewebten Röcken und Blusen. „Unsere Frauen haben etwa 20 Schürzen, für jede Tätigkeit eine.“ So brauchten sie ihre Trachten nie zu waschen. Sie erzählen, dass sie niemals still dasitzen, sondern immer ihre Handarbeit dabei haben und Strümpfe stricken, Mützen oder Pullover. Fertige Ware ist zum Verkauf ausgestellt, und - erstaunlich - alle Touristen kaufen. Damit tragen die Frauen zum Einkommen bei. Die Männer sind durchweg Fischer.
Singen und Tanzen kennzeichnet das ganze estnische Volk, ob jung, ob alt. Seit 1869 feiern sie alle fünf Jahre in Tallinn, der Kapitale Estlands am Finnischen Meerbusen, ein Sänger- und Tanzfest, an dem Zigtausende teilnehmen dürfen. Über 150.000 internationale Gäste sind als Zuschauer und Zuhörer dabei. Vom 4. bis 7. Juli 2014 findet in der Unesco-Welterbe-Stadt erneut das Sänger- und Tanzfest statt.
Tallinns Altstadt ist ein Juwel. Vorbildlich restauriert, verliebt man sich gleich in die Pflasterstein-Straßen und Gässchen mit den Treppengiebelhäusern, der intakten wuchtigen Stadtmauer und den nicht weniger mächtigen Tortürmen. Ungewöhnlich platzierte Straßencafés laden zur Pause, schicke Restaurants zum Speisen, und auch an Abendlokalen und Diskos herrscht kein Mangel. Da erregt der Marktplatz mit gotischem Rathaus, Gilde-Häusern und der wohl ältesten Apotheke der Welt aus dem Jahre 1422 Aufsehen, dort das kleinste Haus Tallinns und dieser und jener hübsche Innenhof. Von der Unterstadt führen „Kurzes Bein“, das heißt eine Treppe, und „Langes Bein“, eine Fahrstraße, zur Oberstadt auf dem Domberg. Der mit Wappen und Sarkophagen, etwa dem des Weltumseglers Adam Johann Krusenstern, überladene evangelisch-lutherische Dom aus dem 13. Jahrhundert will bewundert werden, genauso wie die orthodoxe Alexander-Newskij-Kathedrale. Das Ziel auf dem Domberg ist jedoch die Aussichtsterrasse, die den Blick auf die Stadt der Türme freigibt. Den mit 139 Metern höchsten Turm trägt die Olai-Kirche, das wertvollste Gemälde, der Tallinner Totentanz von Bernt Notke, später geschaffen als der Lübecker Totentanz (1463), hängt in der Nikolaikirche. Noch mehr Notke, nämlich sein hölzerner Flügelaltar von 1483, ist in der Heiliggeistkirche zu sehen, das ist die mit dem achtkantigen Barockturm.
Das schönste Barockensemble aus der Zarenzeit ist in Katharinental zu besichtigen, einem Stadtteil Tallinns. Benannt ist das Schloss samt Parkanlage nach der Frau von Zar Peter I. und späteren Zarin Katharina I. Seit 1921 beherbergt es das Staatliche Estnische Kunstmuseum.
Pauschalreisen: z. B. Schnieder Reisen in Hamburg, Tel. (040)380206, www.baltikum24.de, Estonian Tourist Board in 20095 Hamburg, Tel. (040)30387899, hamburg@eas.ee, www.visitestonia.com
Habe ich auch, mehrere sogar. Mal sehen.