Vulkanausbruch vor 200 Jahren führte zum „Jahr ohne Sommer“ – und drei Jahre später zum Kinderfest
Im April des Jahres 1815 brach der Vulkan Tambora auf der indonesichen Insel Sumbava (östlich von Java) aus. Neben zehntausenden Todesopfern vor Ort hatte der Vulkanausbruch aber noch viel mehr Opfer auf der ganzen Welt zur Folge: Das vom Vulkan ausgeworfene Material bewirkte globale Klimaveränderungen vor allem in Nordamerika und Europa. Es kam 1816 zum „Jahr ohne Sommer“: Missernten, die gestiegene Sterblichkeit unter Nutztieren, erhöhte Getreidepreise und schließlich auch noch Überschwemmungen bis ins Jahr 1817 hinein verursachten die schlimmste Hungersnot des 19.
Jahrhunderts. Nachdem das schlimmste überstanden war, wurde das erste Leipheimer Kinderfest gestiftet. Als Dank für die überstandenen Hungerjahre, als Zeichen der Hoffnung für die Zukunft. Und als Freudenfest für die
Kinder, die unter dem Hunger besonders gelitten hatten. Im Jahre 1818 fand das erste offizielle Leipheimer Kinderfest statt, immer wieder gab es zwischendurch kurze, meist kriegsbedingte Pausen. So gab es zwischen 1940 und 1948 kein Kinderfest – umso größer die Freude bei allen, die 1949 das erste
Nachkriegskinderfest feiern konnten (siehe Bild).
Fünfzig Pfennige erhielt jedes Schulkind damals von der Stadt und es gab für alle Kinder zusätzliche Lebensmittelrationen. Die Erwachsenen wurden aber ebenso gelockt, man versprach „schöne und billige Festfreuden“
66 Jahre später sind wie 1949, und auch schon das Jahrhundert davor, immer noch die Kinder die Hauptakteure des Leipheimer Kinderfests, das 2015 vom 11. bis 13. Juli gefeiert wird. Bereits Monate vorher studieren die etwa 450 Schulkinder verschiedene Tänze ein, die Jüngeren orientieren sich dabei
durchaus an ihrem eigenen Musikgeschmack, den älteren Jahrgängen der Leipheimer Schulen ist der traditionelle Schnitterreigen vorbehalten. In einer einfachen schwäbischen Tracht bieten die Schülerinnen und Schüler der 7. Klasse diesen Schreittanz dar. Der Schnitterreigen, der sowohl am Fest-
Sonntag als auch -Montag aufgeführt wird, zählt zu den Höhepunkten des Festes, das von der Vereinigung historischer Volksfeste in Baden-Württemberg und Bayern anerkannt wurde.
Das Leipheimer Kinderfest ist also ein Freudenfest. Es ist für die Kinder aber auch eine Herausforderung insbesondere für die wenigen, die dazu auserwählt werden, die Sprüche aufzusagen. Mittags und abends
müssen sie frei vor zahlreichem Publikum eine nicht gerade kurze Weise vortragen – entweder auf Hochdeutsch oder im schwäbischen Dialekt. Eine Leistung, die fürs Leben erhalten bleibt. Kaum ein erwachsener
Leipheimer kann nicht sofort und voller Bewunderung jenen Mitschüler nennen, dem in seinem Jahrgang die Ehre zu teil wurde, einen der Sprüche aufzusagen.
Neben den Spielen, Tänzen und Umzügen, bei denen die jüngeren Schulkinder prächtig geschmückte Blumenbögen tragen, charakterisiert der Festplatz am Donauufer dieses Leipheimer Großereignis. Für die Kinder gibt es historische Spiele, die auch den Wertewandel zwischen gestern und heute zeigen. Zum Beispiel die Wurstschnappe – über einen Balken gilt es sich vorwärts zu bewegen, um an die Wurst zu kommen. Heute ein Spaß, bis in die 50er-Jahre für den erfolgreichen Sieger ein wirklicher Gewinn – denn Wurst war damals etwas ganz Besonderes.
Das Leipheimer Kinderfest hat mit den meisten anderen historischen Festen eines gemein: Ohne das Engagement der Bevölkerung gäbe es dieses Fest nicht. Die Leipheimer tragen das Kinderfest, für sie ist es die fünfte Jahreszeit: Jung und Alt sind auf den Beinen und schon legendär ist der Ruf der Leipheimer
in der Region, dass sie das Fest mit der gleichen Hingabe zelebrieren, auch wenn es mal regnet. Der Besuch auf dem Sportplatz bei der Aufführung des Schnitterreigens, Trinken und Essen auf dem Festplatz
gehören quasi zum Pflichtprogramm – egal, wie sich das Wetter am zweiten Juli-Wochenende gestaltet. Man sieht es, wenn man am zweiten Juli-Wochenende durch die Leipheimer Straßen geht. Mit Blumen
geschmückte Häuser und Fahnen zeigen: das ist unser aller Fest!