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Ein kleines Theater-Wunder in der Provinz: Das Autonome Goethe- und Schiller-Theater in Neu-Ulm wird 15

Frühjahr 1994. Zwei freie Schauspielprofis, Claudia Riese und Heinz Koch, waren plötzlich ganz frei: nämlich
ohne Engagement. 15 Jahre hatten sie für eine in der Region bekannte Privatbühne die Kohlen aus dem Feuer
geholt und mit ihrem Engagement und ihrem Können wesentlich dazu beigetragen, dass diese Bühne lebendig
blieb. Auf einmal wollte man sie nicht mehr, fürchtete um eigene Dominanz, wollte mögliche Konkurrenten
ausschalten. Das Duo stand irgendwie mit leeren
Händen da – einerseits. Andererseits war da aber
offenbar ein absolut zukunftsträchtiges Potential.
Und tatsächlich: Die zunächst vage Idee,
Theatermacher zu werden, einfach ein erstes
Programm auf die Beine zu stellen, für
Auftrittschancen Klinken zu putzen, mangels eines
festen Hauses zu spielen, wo mehr als vier
Quadratmeter „aufgeschlagen“ wurden, und sich in
jeder Hinsicht durchzubeißen, war von einem dollen
Erfolg gekrönt. Aus dem völlig Ungeplanten, total
Unsicheren wurde binnen kurzer Zeit eine
erfolgreiche, freie Privatbühne.
Offiziell am 1. April 1994 gegründet, drei
Jahre als Wanderbühne geführt und dann im
„Konzertsaal“ in Neu-Ulm fest etabliert, ist das AuGuSTheater (Autonomes Goethe- und Schiller-
Theater) heute das größte professionelle Privattheater der Region. Und das hat sich inzwischen
einen Ruf erworben, der Publikum aus der Region zwischen Stuttgart und Augsburg, zwischen
Aalen und Memmingen lockt.
In Neu-Ulm ging es im Herbst 1997 los mit der eigenen Bühne, damals knapp 80 Plätze. Im heutigen
„Studio“ startete das AuGuST in Neu-Ulm mit „Sex – aber mit Vergnügen“ von Franca
Rame und Dario Fo (der damals gerade den Literaturnobelpreis bekommen hatte). Ein fulminanter
Start mit einer fulminanten Darstellerin: Co-Intendantin Claudia Riese sorgte ein Vierteljahr
für ständig ausverkauftes Haus. Jetzt läuft die zwölfte Spielzeit in Neu-Ulm mit scheinbar ungebremstem
Elan.
Dabei ist es gar nicht so einfach, gerade das Ulmer Publikum über die Donau zu locken. Als Neu-
Ulm noch gar nicht Neu-Ulm hieß, vor 200 Jahren, war das Gebiet auf der anderen Seite der Donau
„eine Insel der Erholung für den Bürgersmann in der noch mittelalterlich geprägten Enge
seiner Stadt“. Schreibt die Neu-Ulmer Chronik. Schattige Alleen, gepflegte Gärten, ein kleines
Paradies im Grünen luden die Ulmerinnen und Ulmer ein zum Spazierengehen und Einkehren.
Dann schenkte Napoleon Ulm den Württembergern, machte die Donau zum Grenzfluss und
schnitt damit die Ulmer von Ihrem Naherholungsgebiet ab. Wenig später wurde mit der
Friedrichsau Ersatz geschaffen. Und irgendwie gingen die Ulmer praktisch nicht mehr nach Neu-
Ulm, musste man da doch durch die Passkontrolle und eine Zollschranke überwinden. Die
„Grenze in den Köpfen“ hat sich irgendwie bis heute gehalten. Na, beinahe…
Seit Beginn der 1980er Jahre nahmen die Anreize (wieder) zu, Freizeit auf Neu-Ulmer Seite zu
verbringen. Der Konzertsaal war auch einer der Magneten, erst wegen regelmäßiger Konzerte
und dann wegen noch regelmäßigerer Theatervorstellungen. Und seit seinem Wechsel an diese
Adresse zieht das Theater Neu-Ulm ein Buntes Gemisch von Theatergängern, in erster Linie aus
Neu-Ulm und dem Landkreis, dann aber vermehrt auch Ulmerinnen und Ulmer, die das Spielplan-
Angebot der Profi-Bühne in der Silcherstraße 2 sehr wohl zu schätzen wissen.
Das Theater Neu-Ulm hat immer gespielt und spielt, was aktuell ist. Für eine Privatbühne, die
dringend auf die Kasseneinnahmen angewiesen ist, stehen erstaunlich viele Uraufführungen auf
dem Programmzettel, also Stücke, von denen man gar nicht weiß, ob und wie gut sie beim Publikum
„ankommen“ – unter anderem „Freundinnen“ von Maximilian & Pauli, „Die Frau seines
Lebens“ von Felix Huby und Boris Pfeiffer oder auch Schillers „Die Räuber“ in der Fassung von
Alma Zorn. Andererseits haben die Neu-Ulmer so manches Stück aufgeführt, was sich dann später
in der ganzen Republik als Publikumsrenner entpuppte („Drei Mal Leben“, „Männerhort“,
„Sekretärinnen“, „Ladies Night“ …).
Risiko auch in anderer Hinsicht: Die Neu-Ulmer Theatermacher haben viele Stücke selbst geschrieben.
Dabei hatten sie allerdings meist ein „Händchen“, schrieben sie doch überwiegend absolute
Kassenmagneten! Wie das derzeit nochmals wieder aufgenommene „Machos, Memmen
und Mimosen“, die immer wieder gezeigte allererste und ständig aktualisierte Produktion „Liebe
& andere Katastrofen“ (die längst so etwas wie Kult im AuGuST ist), „Alles nur aus Liebe“ oder
auch das (neuerdings an anderen Theaterstandorten gefragte) „Schixen in the City“.
Die Neu-Ulmer haben schon vor 15 Jahren „Loriot“ gespielt, der heute bundesweit zu den zehn
meistgespielten Autoren gehört. Aber neben großer Theaterliteratur wie Goethes „Faust“ und
Schillers „Die Räuber“ oder auch Dostojewskis „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ waren es
auch immer wieder tolle Stoffe lebender Autoren, mit denen das Publikum begeistert wurde, wie
„Salzwasser“ (als Tournee durch 20 Kneipen in der Region) und „Port Authority“ von Conor
McPherson oder „Kelly Briefe“ von Wolf Wondratschek (UA) oder jetzt gerade der außergewöhnliche
Abend „Über Männer“ von Xavier Durringer.
Am liebsten ist es den Neu-Ulmer Theatermachern, wenn sie ihre erzkomödiantische Ader zeigen
und ihr Publikum gut unterhalten können. Dabei halten Sie es auch John Cleese (Monthy
Python), der mal gesagt hat: "Vielleicht gibt es etwas Schwierigeres, als gute Komödie zu machen
- aber ich weiß nicht, was es ist."
Anlässlich der letzten Komödienpremiere des Theater Neu-Ulm Ende 2008, „Ganze Kerle“ von
Kerry Renard in der Bearbeitung von Matthias Freihof, zog die Neu-Ulmer Zeitung das "Fazit:
Das AuGuSTheater hat mit dieser Inszenierung wieder mal bewiesen, dass es in der Komödien-
Sparte weit und breit kaum zu toppen ist."
Dabei gab es auch manche sehr ambitionierte Produktion außerhalb der Komödiensparte - wie
manches schon bereits erwähnte Stück fremder AutorInnen, dazu unter anderem „EiferSucht“
von Esther Vilar, „Marlene“ von Pam Gems oder „Klamms Krieg“ von Kai Hensel; und zusätzlich
verließ das AuGuSTheater sichres Terrain mit beispiellosen Versuchen, auf Theater-Weise
zeitgenössische Themen aufzugreifen: Sechs Monate nach „11 / 9“ wurde mit einer Riesenanstrengung
in der Petruskirche Neu-Ulm „Drei Wochen nach dem Paradies“ des New Yorker Autors
Israel Horovitz der Terroranschlag auf das World Trade Center erinnert. Mehrmals gab es
Programme zum Thema „Der 9. November im 20. Jahrhundert“, mit „Philosophischen Märchen
(nicht nur) für Kinder“, „Kunkelstube“ sonntags nachmittags (vorwiegend) für Senioren; und die
Monats-Reihe „Ohne Netz…“ faszinierte in mehr als einem Dutzend höchst unterschiedlicher
Programm-Varianten jeweils ein (naturgemäß) kleines Publikum. Und solch künstlerisches Engagement
wirkte sogar handfest weiter:
http://theater-neu-ulm.de/lobbycard.html
So richtig gefeiert wird nicht am 1. April, obwohl 15 Jahre für eine freie Bühne eine verdammt
lange Zeit sind. Über die Jahre hin einen derartigen Spielplan, wie oben skizziert (ein keinesfalls
vollständiger Überblick: http://theater-neu-ulm.de/history.html ), bei dem Mini-Etat hinzulegen,
ist vermutlich beispiellos. Sich künstlerisch weiterentwickelt und materiell über Wasser gehalten
zu haben, grenzt an ein Wunder, vor allem unter dem Aspekt, dass die Region nicht gerade arm
an Künstlerischen und Kulturellen Angeboten ist. Wenn man die wirtschaftliche (allgemeine Krisen-)
Situation berücksichtigt, ist es alles andere als leicht, Prognosen für weitere 15 Jahre zu wagen.
Das Theater Neu-Ulm – das ist immerhin mal sicher – will sich keinesfalls auf seinen Lorbeeren
ausruhen.
Als eine Art „Ersatz-Geburtstagsfeier“ darf man die Premiere am 3. April ansehen. Da bringt das
AuGuSTheater Neu-Ulm sein neues Stück heraus: "Novecento - die Legende vom Ozeanpianisten“.
Die Textvorlage gehört zu der Sorte von Romanen, „die uns mit ihren Worten noch lange verfolgen,
uns dazu verhelfen, die Welt einmal mit anderen Augen zu sehen oder neue zu eröffnen“, so
Alexandra Kelpin in „wortlaut.de Göttinger Zeitschrift für neue Literatur“. Die Rezensentin fährt
fort: „Ein solches Kunststück ist Baricco mit 'Novecento’ gelungen, einer 'laut vorzulesenden Erzählung’,
die eigentlich als Theaterstück konzipiert war, sich aber jeder eindeutigen Klassifizierung
entzieht.“ Und sie behauptet: „Novecento ist sicherlich eine der großen europäischen Geschichten
- mit einem außergewöhnlichen Helden und ohne Happy End - die die Gratwanderung
zwischen Melancholie und lebensklugem Witz meistert."
»Solange du eine gute Geschichte auf Lager hast und jemanden, dem du sie erzählen
kannst, bist du noch nicht am Ende.« (Novecento)
Danny Boodmann T.D. Lemon Novecento – das Findelkind in der Zitronenkiste auf dem Klavier
im Ballsaal der Luxus-Klasse eines Überseedampfers Anfang des Jahres 1900 (novecento) – er
wird sein Leben lang an Bord bleiben, nicht einen Schritt aufs Land setzen. Er liest in den Augen
und den Geschichten der Menschen alles über die Welt, die er nie betreten hat. Er selbst wird
weltbekannt. Als der legendäre Ozeanpianist verzaubert er nicht nur alle an Bord: Der „Erfinder
des Jazz“, Jelly Roll Morton, bucht als Passagier, um Novecento zum musikalischen Duell herauszufordern…
Das AuGuSTheater Neu-Ulm spinnt mit „Novecento“ den Faden in puncto modernes Erzähltheater
weiter, zu dem frühere Inszenierungen gehören wie "Sex - aber mit Vergügen" von Franca
Rame und Dario Fo, „Salzwasser“ und "Männerseelen“ von Conor McPherson, „Aufzeichnungen
aus dem Kellerloch“ von Dostojewski, "Die Frau seines Lebens" von Boris Pfeiffer / Felix
Huby, "Executor 14" von Adel Hakim oder auch „Kelly-Briefe“ von Wolf Wondratschek –
um nur ein paar AuGuST-Produktionen in diesem Genre zu nennen.

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