Beschneidung – ein nun verbotenes Ritual?
Elisabeth Keller im Gespräch mit dem Schmerztherapeuten (DGNS), ayurvedischen Lebensberater und Autor Hans Georg van Herste
EK Das Kölner Landgericht hat entschieden, dass die Beschneidung, also die Entfernung der Penisvorhaut, als Körperverletzung zu werten ist. Wie stehen Sie dazu?
vH Ein weiser Mann hat einmal gesagt: kontrolliere die Sexualität eines Volkes und du beherrscht es. Dieser Satz scheint auch heute noch zu gelten. Wenn man sich die Anfänge der Beschneidung vor Augen führt, handelt es sich – zumindest in dem seit der Zeit der monotheistischen Religionen vorherrschenden Patriarchat – um nichts anderes als Machtgebaren.
EK Sind Sie absolut gegen eine Beschneidung?
vH Jeder, der volljährig ist und nicht von außen unter Druck gesetzt wird, kann tun und lassen, was er will. Wenn ein Mann seine Vorhaut entfernen lassen möchte – aus welchen Gründen auch immer –, so soll er das tun. Wenn Frauen ihre Schamlippen verkleinern lassen wollen, um besser sitzen zu können oder weil sie sich dann hübscher fühlen, kein Problem. Für eine Katastrophe halte ich es, wenn derlei Dinge an Kindern verübt werden, die nicht selbst in der Lage sind, darüber zu entscheiden.
EK Wer hat denn die Beschneidung erfunden?
vH Aus den Matriarchatsgebieten in grauer Vorzeit im heutigen Indien ist bekannt, dass sich Frauen die Klitorisvorhaut entfernen ließen, um ihre Lust zu steigern. Diese in meinen Augen noch einigermaßen sinnvolle Operation wurde während der Übergangszeit vom Matriarchat zum Patriarchat immer mehr erweitert, um Macht auszuüben. Schon vor der Zeit der Pharaonen wurde Frauen nicht nur die Vorhaut, sondern gleich die ganze Klitoris entfernt. Die nächste Stufe beinhaltete die Entfernung der kleinen Schamlippen. Als letzte Stufe gilt die auch heute noch angewendete Pharaonische Beschneidung. Dabei werden nicht nur Klitoris und die kleinen Schamlippen entfernt, sondern die großen Schamlippen werden aufgeraut und zusammengehalten. Stück für Stück wachsen sie zusammen und verschließen damit die Vaginalöffnung. Menstruationsblut und Urin können nur noch über eine winzige Öffnung entsorgt werden.
Beim ersten Geschlechtsverkehr wird dann mit einem Messer die Scheide geöffnet und danach wieder vernäht. Kurz vor der Geburt wird die Scheide erneut geöffnet, um nach der Geburt wieder verschlossen zu werden. Welche Qualen das bei der Frau auslöst, ist wohl kaum in Worte zu fassen. Nicht nur dass die Sexualität, also die Lustgefühle nicht mehr stattfinden können, erstickt jedes frohe Leben im Keim, auch die Angst vor der nächsten Penetration und der darauffolgenden Geburt, macht das Leben zur Hölle.
EK Was haben diese Grausamkeiten mit Macht zu tun?
vH Sexualität ist eine wunderbare Erfindung der Natur. Im Ur-Ayur-Veda gibt es sogar ein eigenes Chakra dafür. Dieses Chakra beinhaltet nicht den Sex zwischen zwei Personen, sondern ausschließlich die eigene Sexualität. Das heißt. Sexualität ist genauso wichtig für uns, wie z. B. Essen und Trinken.
Wenn ich den Menschen ihre Sexualität nehme, bringe ich ihr Leben aus dem Gleichgewicht. Der Mensch wird kontrollierbar. Die katholische Kirche tut das, in dem sie z. B. Masturbation zur Sünde erklärt und mit Höllenqualen bestraft. Steht nun ein Priester vor unwissenden Menschen und erklärt diese abstrusen Zusammenhänge überzeugend, löst er bei seinen Zuhörern Schuldgefühle aus. Um ihre imaginären Sünden wieder gutzumachen, müssen sie etwas tun, da der Priester natürlich Lösungen anbietet. Schon findet man willige Arbeiter für den Kirchenbau oder edle Ritter für den Kreuzzug, die den Machtbereich der Kirche ausweiten, ohne dass ein Priester selbst zum Schwert greifen müsste. Verbreitet man diesen Blödsinn lange genug, dann mutiert er nach und nach zum Kulturgut. Auch spätere Generationen halten sich noch an diese Vorgaben, obwohl sie von deren Entstehung gar nichts mehr wissen.
EK Und was hat das mit Beschneidung zu tun?
vH Um die Masturbation zu ver- oder mindestens zu behindern, wird Kindern ohne Betäubung etwas abgeschnitten. Ob es sich dabei „nur“ um die männliche Vorhaut handelt oder um das ganze äußere weibliche Genital, ist völlig gleichgültig. Diese Operation, die in früheren Zeiten mit scharfen Steinen oder stumpfen rostigen Klingen ausgeführt wurde, ist dermaßen schmerzhaft, dass eine Art Schockzustand erreicht wird. Dieses Trauma brennt sich dermaßen stark in die Psyche ein, dass ein Vergessen unmöglich wird. Jede eventuell später aufkommende Lust wird dann sofort mit Schmerz assoziiert und unterdrückt. Eine solche Vorgehensweise unterstreicht die Sündhaftigkeit der Sexualität nachhaltig. Sexualität wird zur reinen Fortpflanzung degradiert. Die Macht braucht Soldaten oder Kirchensteuerzahler, aber bestimmt keine Menschen mit eigener Meinung.
EK Gab es denn schon früher die Beschneidung auch in Deutschland?
vH Auch in Europa hat man sich einiges einfallen lassen, um die Sexualität zumindest zu behindern. Schnitt man Jungen nicht gleich die Vorhaut ab, so ließ man sie doch mit Dornengürteln herumlaufen, die sofort in den Penis stachen, sobald sich eine Erektion auch nur anbahnte. Mädchen kamen auch nicht besser davon.
Selbst renommierte Ärzte waren bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts davon überzeugt, dass Masturbation Gehirnerweichung oder Schwindsucht auslöst. Da für die Fortpflanzung der weibliche Orgasmus nicht nötig ist, wurden die Mädchen und Frauen grausamen Folterungen ausgesetzt, um einen Höhepunkt zu vermeiden. Reichten Drohungen nicht aus, mussten Dornen im Genitalbereich getragen werden. Reichte auch das nicht, wurde die Klitoris mit Säure verätzt oder abgeschnitten. Manche Ärzte gingen noch einen Schritt weiter und entfernten die Gebärmutter, da dort der Sitz der weiblichen Hysterie vermutet wurde. So wird die Gebärmutter auch heute noch in der Fachsprache „Hyster“ genannt.
Heute ist klar, dass die Hysterie meistens durch selbst erlebten sexuellen Missbrauch in der Kindheit ausgelöst wird und mit der Entfernung der Gebärmutter bestimmt nicht neutralisiert werden kann.
Diese Methoden waren gerade in der gehobenen Gesellschaft weit verbreitet und hielten sich in England, Frankreich, Deutschland und den USA bis weit über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus. Erst in den 1970er Jahren wurde die weibliche Beschneidung in den USA gesetzlich verboten. Evangelikale Christen möchten dieses Gesetz am liebsten wieder kippen, da sie der Meinung sind, dass weibliches Smegma bei Männern Krebs erzeugen kann und auch sonst die eine oder andere Krankheit auslöst. Sie werben sogar in einem Film im Internet dafür.
EK Wissenschaftliche Gegenbeweise scheinen an einigen Leuten vorbeizugehen.
vH Jede wissenschaftliche Erklärung wird beiseite gewischt, um die Macht nicht zu gefährden. Das Unglück der Menschen spielt dabei keine Rolle. Jede Beschneidung hinterlässt nicht nur körperliche Spuren, sondern auch – und das nicht zu knapp – psychische Störungen. Eine nicht ausgelebte Sexualität kann Symptome herausbilden, die allgemein der Borderline-Störung zugeschrieben werden. Depressionen, Angstzustände, Süchte etc. bis hin zum Selbstmord können auftreten und ein Leben nicht nur zur Hölle machen, sondern sogar vorzeitig beenden.
EK Das heißt, dass Sie persönlich gegen jede Einschränkung der Sexualität sind?
vH Solange niemand geschädigt wird und alles freiwillig passiert, muss Sexualität erlaubt sein. Nur Menschen, die ihre Sexualität leben, sind glückliche Menschen. Lesben dürfen Lesben lieben und Schwule Schwule. Transsexuelle dürfen sich aussuchen, wie sie leben wollen und Intersexuelle dürfen niemals zwangsweise einem Geschlecht zugeordnet werden. Wer würde Schaden davon tragen, wenn jemand heute als Mann auftritt und morgen als Frau? Wer gibt Menschen das Recht, über andere zu richten?
EK Die Befürworter berufen sich auf heilige Bücher.
vH Diese Bücher sind von Menschen geschrieben worden – und das in Zeiten, in denen noch niemand etwas über den menschlichen Organismus und seine Funktionen wusste. In der heutigen Zeit gehören solche Methoden verboten. Erwachsene mögen tun, was sie für richtig halten.
Buchtipp
Lena Birkthal
Leben im Matriarchat
ISBN: 9783839147849
Life in Matriarchy
ISBN: 9783839168554
E-Book ISBN: 9783842304826
> "Ich würde mir Beides nicht aufzwingen lassen wollen."
Kannst du immer und überall rumlaufen, wie du willst?
Mit Klamotten - und wenn, freie Auswahl - oder auch mal ohne Klamotten?
Überall wird man gezwungen oder mind. genötigt...
Würdest du für die absolute Freiheit in der Hinsicht deine Geschlechtsorgane zerschneiden lassen?