Der süße Herbst des Lebens – Bremervörder Erfolgsautorin bringt neues Buch heraus
Elisabeth Keller im Gespräch mit der Bestseller-Autorin Simone Petzold
EK Guten Tag, Frau Petzold. Es freut mich, dass Sie sich Zeit genommen haben.
SP Kein Problem. Es macht mir immer wieder Freude, Sie zu treffen.
EK Nach Renata Komanetschy, einer Dorfnäherin, die zum Revuestar aufsteigt, einem wohlerzogenen, sehr christliche angehauchtem Mädchen, dass sich zum Lesbischsein bekennt und eine Firma leitet und einem Mädchen, das sich durch Mut und Einsatz zur Gründerin eines Hotelimperiums mausert, nun die Geschichte einer Frau, die ein Altenheim führt. Wie kommen Sie auf diese Geschichten?
SP Renata traf ich im Urlaub und verbrachte ein paar schöne Tage mit ihr. Ich war erstaunt darüber, was diese unscheinbare Frau erlebt hatte. Und ich dachte mir, mach dir Notizen. Obwohl sie schon sehr betagt war, strahlte diese Frau eine Lebensenergie aus, die ich bei weitaus jüngeren Frauen in dem Maße selten erlebt hatte. Tja, und dann ist aus den Notizen ein Buch geworden.
Ich bin damit hausieren gegangen, aber kein Verlag wollte es haben. Ich weiß nicht mehr, wie viele Manuskripte ich ausgedruckt und weggeschickt habe.
EK Aber es ist schlussendlich dann doch erschienen.
SP Ja, weil ich es Hansi vorgelegt habe und der hat dann den Stein ins Rollen gebracht.
EK Sie meinen den Autor und Herausgeber Hans Georg van Herste, nicht wahr?
SP Ja, der hat vielen Autoren den Weg in die Öffentlichkeit geebnet. Ohne den gäbe es die Reihe „Starke Frauen“ gar nicht.
EK Wie kam es zur ersten Begegnung mit Herrn van Herste?
SP Ich habe, als Kind, häusliche Gewalt erleben müssen. Nicht nur mein Vater und mein Großvater haben sich köstlich mit mir vergnügt. Nein, ich wurde auch dazu erzogen, den Kopf einzuziehen, mich unterzuordnen. Meine Wünsche, meine Sehnsüchte hatten nicht zu existieren. Ich habe nach der Schule eine Versicherungslehre gemacht. Da mir das aber nicht wirklich lag, bin ich anschließend Erzieherin geworden. Ich habe gespürt, dass ich in dem Beruf gebraucht werde, dass es Menschen gibt, denen es noch schlechter geht, als mir. Ich habe mich zum ersten Mal in meinem Leben wichtig gefühlt.
Allerdings konnte ich meine Kindheitserlebnisse noch so deckeln, immer wieder waren sie mir präsent. Und das Unglück stellte sich immer wieder ein. Ich funktionierte nach wie vor und es wurde mir klar, dass ich mein Elternhaus nur gegen etwas anderes eingetauscht hatte, ohne in mir etwas zu ändern.
Da Herr van Herste bekanntermaßen auf dem ayurvedisch-psychologischen Sektor sehr bewandert ist, besuchte ich einen seiner Vorträge und wurde schlagartig in eine Welt katapultiert, die auf Fakten setzte und nicht ausschließlich auf Gefühle. Er brachte Beispiele, in denen ich mich wiederfinden konnte. Heute bin ich schon über zwanzig Jahre mit ihm befreundet. Er hat mir Wege aus der Konditionierung gezeigt. Er hat mich in meiner Entwicklung bestärkt und stundenlang sämtliche meiner Kindheitserlebnisse aufgearbeitet. Er hat mir gezeigt, dass ein Opfer nicht für alle Zeiten ein Opfer bleiben muss. Es hat gedauert, aber nach und nach trat ich selbst an die Oberfläche und ich stellte mit Erstaunen fest, dass es auch für mich legitim ist, Wünsche und Sehnsüchte zu haben.
EK Seitdem fahren Sie Motorrad?
SP Ja, seitdem fahre ich Motorrad. Seitdem habe ich angefangen zu leben, das Leben zu genießen und es nicht nur als Abfolge von kleinen oder großen Katastrophen zu sehen. Auch das Schreiben der Bücher hat mir viel gebracht, da ich mich in einigen Geschichten wiedererkannte.
EK Wie sieht Ihre Zukunft aus? Sie haben jetzt ihr viertes Buch auf den Markt gebracht und einen Buchpreis eingefahren. Wollen Sie weiterschreiben?
SP Ich mache mir in der Hinsicht keinen Druck. Ich halte nach wie vor Augen und Ohren offen. Es gibt tausende von Frauen, die mutig sind, die etwas verändern oder bewegen. Es wird bestimmt nicht mein letztes Buch sein.
EK Gibt es die Michaela aus Ihrem aktuellen Buch wirklich?
SP Natürlich gibt es die. Allen Starken-Frauen-Büchern muss eine wahre Geschichte zugrunde liegen. Natürlich müssen wir Autorinnen der Starken-Frauen-Reihe Namen und Orte verändern, um zu vermeiden, dass unsere Heldinnen, zumindest die, die noch am Leben sind, erkannt werden. Herr van Herste ist da aufgrund eigener Erfahrungen sehr vorsichtig. Missgünstige Neider und Verleumder gibt es aller Orten. Wir wollen ja Mut machen und eine spannende Geschichte erzählen und niemanden zur Zielscheibe werden lassen.
EK Hat es Sie persönlich mitgenommen, was diese Michaela Ihnen erzählt hat?
SP Naja, mitgenommen ist vielleicht übertrieben, aber es hat mich nachdenklich gemacht. Es ist ja seit vielen Jahren bekannt, was um uns herum alles passiert, ohne dass jemand Notiz davon nimmt. Auch die Misere in den Altenheimen ist lange bekannt, ohne dass wirklich jemand etwas dagegen unternimmt.
Ich habe mir aufgrund der Geschichte das eine oder andere Altenheim angeschaut und fand die Aussagen der Michaela leider überwiegend bestätigt. Altenpflegerinnen malochen sich für einen Hungerlohn fast zu Tode und werden wie Dreck behandelt. Sie werden selten als Menschen wahrgenommen, sondern eher als Arbeitstiere, die widerspruchslos ihre Aufgaben zu erfüllen haben. Unter diesen Zuständen leiden natürlich auch die Bewohner der Altenheime. Jedes Bett muss belegt werden und am besten ruhigstellen, um Arbeit zu sparen, um die hirnrissigen Taktungen einzuhalten, die sich Leute ausgedacht haben, die nie in der Pflege gearbeitet haben. Der Bewohner wird zum reinen Geldbringer und die Pflegekraft zur meinungslosen Erfüllungsgehilfin.
Pflege findet im ursprünglichen Sinne nicht mehr statt. Der Profit regiert das Heim. Man sollte die zuständigen Politiker mal für einen Monat dort einquartieren oder mitarbeiten lassen. Dann würde sich bestimmt etwas ändern. Wenn diese Leute aber nur angekündigt kommen, um sich in einem Heim feiern zu lassen, das man zuvor auf Hochglanz gewienert hat, wird man mal wieder feststellen, dass doch alles chic ist.
Ich möchte den Politiker mal sehen, der rund um die Uhr ans Bett gefesselt wird, dem man zehn Medikamente zwangszuführt, dem man in einer Art und Weise den Unterleib wäscht, dass ihm die Tränen in die Augen schießen. Mal sehen, ob der dann immer noch sagt, wir kümmern uns drum. Sie können sicher sein, dass der sich anschließend nicht nur kümmert. Der wird etwas verändern und zwar grundsätzlich.
EK Wenn ich mir die Liste der Starken-Frauen-Bücher so anschaue, stelle ich fest, dass es etliche Geschichten gibt, die ganz in unserer Nähe spielen. Gräfin von Schöngau-Brixendorfs „Sara, das Wiesel“ spielt in Bremerhaven und zum Schluss in Hannover. „Goldenes Stroh in meinem Haar“ spielt in der Nähe von Bremervörde. „Vera, die Moorfrau“ erzählt die Geschichte einer Frau, die in der Nähe von Gnarrenburg aufwächst. Ihre Bücher „Mein weiter Blick aufs Meer“ spielt in Ostfriesland und „Der süße Herbst des Lebens“ spielen in Bremen und Rotenburg an der Wümme.
SP Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah. Ich denke, ich könnte auf der ganzen Welt herumreisen und hätte kein Problem damit, die eine oder andere Geschichte auszugraben. Wenn mir diese Storys aber quasi vor der Haustür zugetragen werden, muss ich gar nicht erst los.
EK Sie leben nun schon seit vielen Jahren in Bremervörde.
SP Ja, ich stamme eigentlich aus der Braunschweiger Ecke, bin aber durch meinen damaligen Ehemann nach Hamburg gekommen und habe mich nach der Scheidung im Raum Stade niedergelassen. Dort bin ich dann Herrn van Herste begegnet und anschließend nach Bremervörde gezogen. Die Stadt bietet mir alles, was ich brauche. Ich mag keine Großstädte. Das Ländliche gefällt mir besser.
EK Hier können Sie auch ungestört ihrem Hobby, dem Motorradfahren, nachgehen. Mir wurde zugetragen, dass Sie sich zu Ihrem fünfundsechzigsten Geburtstag eine neue Maschine geschenkt haben.
SP Ja, das stimmt. Im letzten Jahr hat die Firma Honda ein paar Mittelklassemotorräder auf den Markt gebracht, die erstens sehr niedrig, also auch mir im Stand einen festen Stand ermöglichen, und mit einer Automatik ausgestattet sind. Ich bin halt nicht mehr ganz die Jüngste und nehme solche Dinge gerne mit. Ich bin schon mehrere tausend Kilometer in diesem Jahr gefahren und habe inzwischen zwei Harztouren hinter mir. Das Kurvengeschlängel bereitet mir besonders viel Freude.
EK Frau Petzold. Vielen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen noch viele unfallfreie Kilometer auf ihrer Maschine und freue mich schon auf Ihr nächstes Buch.
Buchtipp:
Simone Petzold
Der süße Herbst des Lebens – aus dem ereignisreichen Leben einer Altenpflegerin
Renata Komanetschy – Mein buntes Leben – eine Dorfnäherin erobert die Weltstadt Berlin
Die Wende meines Lebens – christlich erzogenes Mädchen schwimmt sich frei
Mein weiter Blick aufs Meer – armes Mädchen gründet ein Hotelimperium