Bauen oder wohnen
Bauen oder wohnen
Aus der Reihe
Tücken des Alltags
Von
Margaretha Main
Nun habe ich schon so viele Jahrzehnte auf dem Buckel und da frage ich mich doch, ob es nicht irgendwann mal an der Zeit ist, etwas kürzer zu treten. Hin und wieder kommt mir da der Gedanke, mir ein ruhiges Plätzchen zu suchen und die Seele baumeln zu lassen.
Ich bin zwar in einem Dorf südlich von Hannover geboren und aufgewachsen, habe aber die meisten meiner Schulferientage am Rande des sonnigen Südharzes verbracht. Dort habe ich viele Freundinnen gefunden, per Fahrrad und später per Moped die Berge erkundet und den einen oder anderen schweren Blödsinn verzapft. So dachte ich mir, ob es nicht vielleicht ganz angenehm wäre, an die Orte meiner Kindheit zurückzukehren, um meinen hoffentlich noch langen Lebensabend dort zu verbringen.
Durch Kurzurlaube und Lesetermine in den Regionen Südhannover und Harz bin ich einigermaßen auf dem aktuellen Stand was die Veränderungen im Laufe der Jahre betrifft. Natürlich ist mir klar, dass ich die Zeit meiner Kindheit nicht zurückholen kann. Das liegt mir völlig fern, da jeder Lebensabschnitt seine hellen und dunklen Seiten hat. Ich bin gern so alt wie ich nun einmal bin und gehöre nicht zu denen, die verpassten Chancen nachtrauern und sich dadurch den Rest des Lebens zur Tortur machen. Natürlich hätte ich einiges anders machen können. Aber bei genauer Betrachtung sind das nicht gar so viele Dinge. Auch aus meinen Fehlern habe ich viel gelernt, z. B., dass frau die Sonne erst zu schätzen weiß, wenn sie auch Eis und Schnee erlebt hat.
Ehe ich mich jetzt hier zu philosophischen Ergüssen hinreißen lasse, möchte ich Euch mal erzählen, war mir auf der Suche nach einem schönen Ruhesitz so alles untergekommen ist.
Ich reiste also durch die oben genannten Regionen, um mir kleine Häuschen anzuschauen. Dorf oder Stadtrand waren erstmal egal, Hauptsache Alleinlage und flach, da wo das Haus steht, und die Berge nicht allzu weit entfernt. Damit schieden die Objekte im Oberharz schon mal aus, obwohl es da sehr schöne Grundstücke mit noch schönerer Bebauung gibt und ich mich immer wieder bremsen musste, ob der schönen Lage oder des noch schöneren Ausblicks. Aber ich musste realistisch bleiben. Wer wusste schon, wie lange Mila und ich noch so rüstig waren wie jetzt? Was nützt eine schöne Aussicht von einem Berg herab, wenn wir dann nicht mehr runterkommen oder andere nicht mehr hoch. Und bei Tiefschnee konnte sich so etwas zur Katastrophe ausweiten. Nachher saßen wir mutterseelenallein da oben und mussten verhungern, weil eine Versorgung nicht mehr stattfinden konnte. Oder der Ölwagen schaffte die Steigung nicht und der Erfrierungstod würde uns ereilen. Nein, so was geht gar nicht!
Endlich hatten wir das eine oder andere Objekt in die engere Wahl gezogen und erkundigten uns bei Maklern, Besitzern oder Nachbarn danach. Die Auswahl war gar nicht so klein, da einige Harzstädte – zumindest im Westharz – zu verwaisen scheinen. Manche Kleinstadt hat seit dem Mauerfall fast die Hälfte seiner Einwohner verloren. Manche Kneipe, manches Hotel, das ich von früher her kannte, gibt es nicht mehr. Abends sind diese Ansiedlungen wie ausgestorben.
Nachbar 1: „Watt! Hier wollnse hinziehn? Datt würd ich mir überlegen. Hier is doch der Hund begraben.“
Nachbar 2: „Nee ,nee, wir wolln hier keine Fremm. Die kenn wa nich und bring nur Unruhe hier rein.“
Nachbar 3: „Sie zwei Fraun wolln hier unser Nachbarhaus kaufen? Wo komm wa denn da hin? So watt! Datt ich das noch erlebm muss! Zwei Fraun! Bei Adolf…“
Den Rest erspare ich euch.
Besitzerin 1: „Main, Main? Irgendwoher kenn ich Sie doch. Waren Sie nicht letzt im Radio? Ach stimmt! Ich war ja auch mal auf Ihrer Vorlesung. Na, das ist ja eine Überraschung. Und Sie wolln hier einziehen? Na, das werd ich aber mal schnell meinen Freundinnen erzählen. Ich lasse Ihnen das Haus für 100 000,- Euro. Ist doch ein Wort oder?“
„In der Anzeige standen aber 79 000,- Euro“
„Ach, das war ein Schreibfehler. Und obendrein kann Ihnen das doch egal sein, wo sie doch so berühmt und reich sind.“
Besitzer 2: „Ja eigentlich wollte ich das Haus verkaufen. Meine Tochter sagt immer, dass ich zu alt bin, um hier allein zu bleiben. Aber wenn ich Euch beide so sehe, könnte ich mir vorstellen, drin zu bleiben, und mich von Euch pflegen zu lassen. Frauen in eurem Alter suchen doch immer mal einen Beischläfer…“
Schnell verzogen wir uns, um anderweitig weiterzusuchen. Ein Makler erklärte uns überschwänglich, dass er – natürlich – genau das richtige Objekt für uns hätte. Am Rande eines Dorfes gelegen machte es von weitem einen guten Eindruck. Das heißt, eigentlich sah frau gar nicht so viel von dem Haus, da alles zugewachsen war. Als wir näher kamen, stiegen schwere Erinnerungen in uns auf. Irgendwie kam es mir vor, als hätte ich gerade ein Déjà-vu. Hatte nicht unser jetziges Wohnhaus ähnlich ausgesehen? Hatten wir nicht Jahre damit zugebracht, es bewohnbar zu machen? Sollten wir uns noch einmal auf so ein Abenteuer einlassen? Ihr könnt euch bestimmt noch an unsere mehr oder weniger positiven Erfahrungen mit Altbauten, Umbauten, Maklern, Handwerkern und sonstigen Spitzbuben erinnern oder?
Ehe wir wegrennen konnten, hatte der Makler schnell die windschiefe Gartenpforte hinter uns zugemacht. Da er auch noch davor stand, saßen wir in der Falle. Nun gehöre ich nicht gerade zu den ängstlichen Personen auf diesem Planeten, aber ein wenig mulmig wurde mir schon, als der Mann da so drohend vor uns stand. Würde er zuschlagen, wenn wir „nein“ sagten oder uns in den zugigen Keller sperren?
Um gewappnet zu sein, holte ich schnell schon mal die Kalaschnikow unter meinem Minirock hervor. Frau konnte ja nie wissen, wie fremde Makler so ticken, nä?
Der Mann schaute mich erstaunt an und hob die Hände. Meine Güte, war das ein Trottel. Er hätte doch sehen können, dass ich noch gar kein Magazin eingeschoben hatte. Ich öffnete meine Handtasche, holte ein volles Magazin heraus und schob es in die Kalaschnikow. Dann zog ich den Hahn zurück und schon rutschte die erste Kugel in den Lauf.
Diese logische Folge führte beim Makler zum ersten Schweißausbruch. Er lief rot an und tropfte vor sich hin. Was hatte der nur? Ich tat ihm doch gar nichts. Noch nicht mal den Lauf hatte ich auf ihn gerichtet. So was tut frau ja nicht – außer es wird wirklich brenzlig. Aber davon konnte nun wirklich keine Rede mehr sein.
Da ich ihn offensichtlich schwer erschreckt hatte, machte ich es mir leicht und steckte die Waffe wieder unter meinen Rock. Ist doch etwas unhandlich so ein Ding auf die Dauer.
Nun hatte ich beide Hände wieder frei und den Makler eingeschüchtert. Der würde nun nie mehr im Leben auf die Idee kommen, uns in irgendwelche zugigen Keller zu sperren. So drehte ich mich um und strebte auf den ausgetretenen und teilweise zerbrochenen Waschbetonplatten dem Hause zu.
Erst als wir direkt vor dem Eingang angekommen waren, fiel mir auf, dass der Makler fehlte. Als ich in Richtung der Pforte spähte, sah ich, dass er immer noch mit erhobenen Händen dort stand. Ich rief ihm zu, er könne nun kommen und müsse sich nicht fürchten. Mühsam nahm er die Hände runter und folgte uns vorsichtig. Dabei ließ er meinen Minirock keine Sekunde aus den Augen. Hatte er zuvor aus anderen Gründen darauf gestarrt, so starrte er jetzt nur noch aus Angst vor dem, was sich darunter verbarg.
Ich ließ das zitternde Bündel an mir vorbei. Er zog im Zeitlupentempo einen Schlüssel aus seiner Tasche und hielt ihn mir vor Augen. Wahrscheinlich wollte er mit dieser Geste zeigen, dass es sich nur um einen Schlüssel handelte und nichts anderes. Er öffnete die Tür und ein flauer Geruch schlug uns entgegen. Hier war offenbar lange nicht gelüftet worden. Er schaltete im Flur das Licht ein, bat uns, dort stehenzubleiben, ging voraus und querab in alle Zimmer und zog die Rollläden hoch. Nun brandete eine Helligkeit herein, die uns fast erblinden ließ.
Die Raumaufteilung ging in Ordnung, der Rest leider nicht. Alle Tapeten waren zerschlissen, der Fußboden eine einzige löchrige Katastrophe und die Lichtschalter und Steckdosen schienen noch aus den Anfängen der Elektrifizierung zu stammen. Prompt verabschiedete sich eine Glühbirne mit lautem Knall. Im oberen Stockwerk sah es auch nicht besser aus. Als wir in einer Ecke dann auch noch auf Mäuse-AA stießen, stand für uns fest, dass wir hier genau zweimal waren, nämlich zum ersten und zum letzten Mal.
Schnell trabten wir die knarrende Holztreppe hinunter, noch schneller standen wir auf dem Hof und am aller schnellsten verabschiedeten wir den immer noch zittrigen Makler.
Na ja, da müssen wir wohl noch weitersuchen.
Wenn Sie noch mehr über Rethas Tücken des Alltags lesen möchten, sei Ihnen das „Große Margaretha-Main-Buch“ empfohlen. Damit sind lustige Festtage vorprogrammiert.
Margaretha Main
Das Große Margaretha-Main-Buch Teil 1
ISBN: 9783839141519 564 Seiten 49,90 Euro
Das Große Margaretha-Main-Buch Teil 2
ISBN: 9783839118177 412 Seiten 39,90 Euro
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